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Aus: Ausgabe vom 18.12.2024, Seite 12 / Thema
Klimawandel

Eine dreckige Lüge

Die Industrie ist bemüht, Erdgas ein grünes Image zu verschaffen. Die Realität aber sieht anders aus
Von Wolfgang Pomrehn
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Protest gegen den World LNG Summit (Berlin, 10.12.2024)

Erdgas ist in den letzten Jahren zu einem großen Thema geworden – und zu einem großen Geschäft. Der aus Eon hervorgegangene Konzern Uniper, der Gas-, Kohle und Atomkraftwerke (in Schweden) betreibt und im großen Stil mit Erdgas handelt, hat zwar durch den Wegfall der russischen Lieferungen im Jahr 2022 zunächst enorme Verluste gemacht. Nachdem ihn aber der Bund mit 13,5 Milliarden Euro gestützt und letztlich verstaatlicht hatte, fuhr er 2023 schon wieder 4,4 Milliarden Euro Gewinn ein und konnte zusätzlich über zwei Milliarden Euro zurückstellen. Doch statt ein derart profitables Unternehmen mit seinen Ressourcen für den Umbau der Energieversorgung zu nutzen und unter öffentlicher Kontrolle zu behalten, soll es nun, da saniert, wieder privatisiert werden. Schon jetzt, noch unter staatlicher Regie, beteiligt sich das Unternehmen eifrig an Lobbykampagnen, die dem Erdgas ein grünes Image andichten wollen. Ein Image, das irreführender kaum sein könnte.

Von der Flaute zum Boom

Noch vor wenigen Jahren sah es mit dem Gas- und vor allem dem Frackinggasgeschäft ganz anders aus. Ende des letzten Jahrzehnts hatte es den Anschein, als wären die Preise dauerhaft im Keller und der Frackingboom in den USA vorbei. Fracking wird ein Verfahren genannt, mit dem Gas gewonnen wird, das nicht in größeren Höhlungen, sondern in kleinen Gesteinsporen eingeschlossen ist. Sie werden unter hohem Druck mit einem Gemisch aus Wasser und allerlei Chemikalien aufgebrochen, dessen genaue Zusammensetzung als Geschäftsgeheimnis behandelt und damit auch den Betroffenen in der Nachbarschaft der Bohrungen vorenthalten wird. Die Methode wird seit Mitte der 2000er Jahre im großen Stil in den USA eingesetzt und ist berüchtigt wegen hoher Schadstoff- und Treibhausgasemissionen. Auch in Argentinien kommt das Verfahren zur Anwendung, stößt aber wie in den USA auf heftigen Widerspruch von Anwohnern und Umweltschützern. Im US-Bundesstaat New York konnte zum Beispiel ein Frackingverbot durchgesetzt werden.

Wegen anhaltend niedriger Gaspreise gab es zahlreiche Bankrotte der kleineren Förderfirmen, die in den ersten Boomjahren wie Pilze aus dem Boden geschossen waren. Der Prozess führte schließlich zu Konzentrationsprozessen, und ab 2021 begann sich das Blatt zu wenden – nicht zufällig parallel zu den wachsenden Spannungen zwischen der NATO und Russland. Die Preise für Erdgas und dessen per Schiff beförderte Variante Flüssigerdgas (LNG, Liquified Natural Gas) zogen stark an und explodierten dann förmlich – spätestens seit Saboteure im September 2022 drei der vier North-Stream-Pipelines unter der Ostsee sprengten und auch der Überlandgasimport aus Russland eingestellt wurde.

Quasi über Nacht sah sich Deutschland nach neuen Gaslieferanten um und stampfte dafür Flüssiggasterminals aus dem Boden. So eilig hatte man es damit, dass dafür qua Sondergesetzgebung das Umweltrecht ausgehebelt wurde. Unter dem Vorwand einer Gasmangellage wurde auf Anhörungen und Umweltverträglichkeitsprüfungen weitgehend verzichtet. Geregelt wird das im »Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases«, das schon im Mai 2022 verabschiedet und zuletzt im Juli 2022 geändert worden war. Die Sprengung der Ostseepipelines war also keinesfalls ursächlich für das Umschwenken Deutschlands auf LNG-Einfuhren, sondern hat es bestenfalls beschleunigt und ein erneutes Umkehren schwieriger gemacht.

Den LNG-Exporteuren bescherte Deutschlands plötzlicher Sinneswandel sowie die steigende Nachfrage in anderen EU-Ländern 2022 einen prächtigen Profit. Für weniger zahlungskräftige Länder wie etwa Pakistan bedeutete der westeuropäische Nachfrageboom jedoch erheblich steigende Kosten und Versorgungsschwierigkeiten. Für die LNG-Verkäufer lohnte es sich nämlich zeitweise, Lieferverpflichtungen aus langfristigen Verträgen zu missachten und Vertragsstrafen zu zahlen. Schließlich lagen die Preise, die die Westeuropäer auf einmal bereit waren, für LNG zu zahlen, deutlich höher.

Wie sah hierzulande Anfang 2022 die Ausgangslage aus? Werfen wir einen Blick in die Statistiken des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Im Mai hatte Russland noch 37 Prozent des deutschen Gasbedarfs abgedeckt, danach ging dieser Anteil rasch zurück und war im September 2022 bei null angekommen – zumindest, was die Lieferungen über Pipelines anging. Entsprechend wurden die Einfuhren aus anderen Ländern ausgebaut. 2023 bezog Deutschland 43 Prozent seiner Gasimporte aus Norwegen, das vor seiner Küste im großen Stil Öl und Gas fördert, aber kaum etwas davon selbst verbraucht. 26 Prozent kamen aus den Niederlanden, 22 Prozent aus Belgien, und sieben Prozent aus direkten LNG-Einfuhren über die neuen Terminals im Inland. In den ersten elf Monaten 2024 stammten 87 Prozent dieses LNG aus den USA.

Auch in den über das europäische Pipelinenetz bezogenen Importen aus Belgien und den Niederlanden dürfte ein erheblicher Teil LNG stecken, der allerdings nicht ausgewiesen wird. Nicht einmal die Herkunftsländer werden benannt, und so ist Deutschland seit neuestem in unbekannten Ausmaßen auch Importeur russischen LNGs. Es wird von den Nachbarn nämlich weiter angelandet, und zwar vermutlich im gesteigerten Umfang, denn Russland hat seine Gasausfuhren mit LNG-Schiffen seit 2022 deutlich erhöht. In den ersten elf Monaten 2024 hat sich laut BDEW an den jeweiligen Anteilen kaum etwas geändert. Unterm Strich lässt sich also sagen, dass der LNG-Import über die neuen Terminals in Deutschland nur eine Nebenrolle spielt und Norwegen mit Abstand zum größten Lieferanten aufgestiegen ist. Das Gas wird von dort durch Pipelines nach Deutschland gepumpt, die am Boden der Nordsee liegen.

2021 hatte der hiesige Erdgasverbrauch nach BDEW-Angaben mit rund 1.000 Milliarden Kilowattstunden einen Höhepunkt erreicht. Davon war rund ein Prozent Biogas, das in Erdgasqualität gereinigt und ins Netz eingespeist wurde. Weitere fünf Prozent stammten aus heimischer Erdgasförderung, die seit vielen Jahren rückläufig ist und bisher vor allem in Niedersachsen stattfindet. Dort sowie in Bayern gibt es Bestrebungen, neue Lagerstätten zu erschließen, aber noch bewegt sich die inländische Förderung auf dem Niveau von 2021 und wird auch kaum wesentlich zu steigern sein. Ende 2023 betrugen die deutschen Erdgasreserven nach Angaben des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl, Geoenergie 34,3 Milliarden Kubikmeter, die als sicher oder wahrscheinlich förderbar gelten. Rein rechnerisch würden diese Reserven ausreichen, um die Erdgasförderung für die kommenden acht Jahre auf dem heutigen Niveau zu halten.

Der Verbrauch ist in den vergangenen beiden Jahren in allen Sektoren erheblich zurückgegangen. 2023 war er um ein Fünftel geringer als 2021 und lag bei knapp 800 Milliarden Kilowattstunden. Davon wurden 34 Prozent in der Industrie, je 13 Prozent in öffentlichen Kraftwerken sowie im Gewerbe, sieben Prozent für Fernwärme und 32 Prozent in den privaten Haushalten verbraucht.

Lösung: Fernwärme

Alles in allem haben sich die Anteile in den vergangenen Jahren kaum verschoben, aber wie sind sie zu bewerten? Zur Stromerzeugung im öffentlichen Netz tragen die oft erst in den letzten Jahrzehnten gebauten Gaskraftwerke zwar nur rund zehn Prozent bei, sind aber wegen ihrer Flexibilität im Augenblick noch sehr wichtig. Anders als Atom- und Kohlekraftwerke können sie schnell hoch- und runtergefahren werden und sind daher als wichtige Ergänzung für die ungleichmäßig anfallende Solar- und Windenergie unverzichtbar, solange nicht genügend Speicher vorhanden ist und der Stromverbrauch von Großverbrauchern nicht dort, wo das möglich ist, an das Grünstromangebot angepasst wird.

Ebenso ist Gas im Wärmesektor kurzfristig kaum ersetzbar, zumal oft auch die Fernwärme in Gaskraftwerken gewonnen wird, was die Abhängigkeit vom Erdgas erhöht. Immerhin haben die Gaskraftwerke im Fernwärmenetz aber gegenüber der Verbrennung in den Haushalten den Vorteil, dass die im Gas gebundene chemische Energie deutlich besser ausgenutzt wird. Diese Kraftwerke erzeugen nämlich meist auch Strom. Geheizt wird mit der dabei ohnehin anfallenden Abwärme.

Fernwärme beziehen bisher allerdings nur etwa neun Prozent der deutschen Haushalte. Rund 50 Prozent haben hingegen eine Gasheizung, was auch damit zu tun hat, dass es dafür im großen Umfang staatliche Förderung gab und immer noch gibt. Auch im Jahr 2024 wurden noch staatliche Zuschüsse gezahlt, wenn der Einbau der im Zusammenhang mit erneuerbaren Systemen wie Wärmepumpen erfolgt oder auf Wasserstoff umgestellt werden kann. Letzteres ist allerdings Augenwischerei. Wasserstoff wird im großen Umfang in der Industrie benötigt und kaum jemals zu erschwinglichen Preisen in großem Umfang klimaneutral mit Grünstrom hergestellt und eingeführt werden können.

Sinnvoller als die individuellen Lösungen, die für viele Wohnungen sowieso vollkommen unsinnig wären, ist natürlich die Fernwärme. (52,5 Prozent der Wohnungen befinden sich hierzulande in Mehrfamilienhäusern und ein ebenso hoher Prozentsatz ist vermietet.) Doch deren Ausbau wird seit mindestens 30 Jahren vernachlässigt, ganz anders übrigens, als es beim Nachbarn Dänemark der Fall ist oder als es in der DDR üblich war. Nördlich von Flensburg werden 68 Prozent, in der Hauptstadt Kopenhagen sogar 98 Prozent der Haushalte mit Fernwärme versorgt, heißt es auf der Plattform Wärmewende der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. In Dänemark wurde bereits 2013 der Einbau von Öl- und Gasheizungen in Neubauten verboten. Seit 2016 dürfen außerdem alte, mit fossilen Brennstoffen betrieben Heizkessel nicht mehr gegen neue Öl- oder Gasheizungen ausgetauscht werden.

Hierzulande werden zumindest in Neubauten kaum noch Gasheizungen eingebaut. In diesem Sektor überwiegen inzwischen bei weitem strombetriebene Wärmepumpen. Die lassen sich klimafreundlicher betreiben, sofern die elektrische Energie von erneuerbaren Energieträgern geliefert wird. Das war in den ersten elf Monaten 2024 zu 56 Prozent der Fall. Ansonsten müssen die Kommunen nach neuester Gesetzeslage in den nächsten Jahren Wärmepläne ausarbeiten, was immerhin die Grundlage für den Ausbau der Fernwärme legen könnte.

Richtig absurd wird es allerdings, wenn, wie jüngst zu beobachten, die Heizölbranche beginnt, sich Hoffnung auf eine unionsgeführte Bundesregierung zu machen. Die solle doch bitte künftig den Einsatz von pflanzlichen Ölen zum Heizen möglich machen. Das würde im Ergebnis den Druck auf die ohnehin knappen landwirtschaftlichen Flächen sowie den dortigen Pestizid- und Düngemitteleinsatz weiter verstärken und zudem noch mit ähnlichen Plänen der Luxusautobranche konkurrieren.

Milliarden Kilowatt für Plaste

Und wie sieht es beim größten Erdgasverbraucher aus, der Industrie? Größter industrieller Energie- und Erdgasverbraucher ist die chemische Industrie. Dort wird Erdgas nicht nur für Prozesswärme und Stromerzeugung eingesetzt, sondern auch stofflich verwertet. Hauptbestandteil des Erdgases ist nämlich Methan, das aus Kohlen- und Wasserstoff besteht. Letzterer wiederum wird im großen Umfang für verschiedene Produkte der Chemieindustrie benötigt. Methan wird also aufgespalten, wobei ähnlich wie bei der Verbrennung das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) als Abfallprodukt entsteht.

Insgesamt haben 2022 alle Branchen der deutschen Industrie laut BDEW 970 Milliarden Kilowattstunden Energie eingesetzt, wovon 274 Milliarden auf Erdgas entfielen. Zu etwa zwei Dritteln wurde dieses Gas für Prozesswärme gebraucht. Dieser Posten ließe sich prinzipiell durch Wärmepumpen oder, wenn große Hitze benötigt wird, durch elektrische Heizsysteme ersetzen. Ein weiteres rundes Sechstel wurde in werkseigenen Gaskraftwerken für die Stromgewinnung verbrannt. Dieser Anteil könnte wegfallen, wenn vermehrt auf Wind- und Solarenergie in Verbindung mit Speichermöglichkeiten gesetzt würde.

In etwa ein Sechstel des Erdgasverbrauchs der Industrie wird – ganz überwiegend in der Chemiebranche – für verschiedene Produkte verwendet, deren Sinnhaftigkeit zweifelhaft ist. Da ist zum Beispiel die exorbitante Produktion von Verpackungs-, das heißt meist Plastikmaterialien, für die Wasserstoff eingesetzt wird. Nach einer Studie des Bundes für Umwelt und Naturschutz verschlingt allein die Herstellung von Verpackungsprodukten stofflich wie energetisch hierzulande jährlich 77 Milliarden Kilowattstunden Energie. Die stammt neben Erdgas auch in größerem Umfang aus Erdölprodukten. Zum Vergleich: Das entspricht etwa dem Primärenergiebedarf Sloweniens oder rund 15 Prozent des deutschen Strombedarfs.

Neben den gewaltigen Problemen mit der globalen Verbreitung von Plastikabfällen und der Zunahme von Mikroplastik, das inzwischen auch in den meisten menschlichen Körpern zu finden ist, gäbe es also noch zusätzliche Gründe, den Verpackungs- und Plastikmüll drastisch zu reduzieren. Eine umfassendes Pfandsystemen und die Normierung von Behältern, wie seit den 1980er Jahren von Umweltverbänden gefordert, könnte helfen, den Energie- und Erdgasbedarf und damit auch die Treibhausgasemissionen deutlich zu senken.

Doch was ist am Erdgas eigentlich so schlimm? Während sich die Industrie eifrig um ein grünes Image bemüht und so tut, als könne sie schon morgen all ihre Umweltprobleme lösen, vermitteln Umweltschützer und Anwohner der Anlagen ein ganz anderes Bild der gepriesenen Technik. In Brunsbüttel an der Mündung des Nord-Ostsee-Kanals in die Elbe ankert zum Beispiel das schwimmende LNG-Terminal nur 500 Meter von den nächsten Wohnhäusern entfernt. Windräder müssen hingegen in einigen Bundesländern 1.000 Meter Abstand von Häusern haben und sind sicherlich nicht im entferntesten so laut wie die Maschinen, die das LNG wieder in gasförmigen Zustand bringen. Die dafür nötige, nicht geringe elektrische Energie wird in Mukran auf Rügen von Dieselgeneratoren geliefert und nicht, wie es eigentlich in der Betriebsgenehmigung steht, aus dem öffentlichen Netz bezogen. Auch dort klagen die Nachbarn über Lärm und Abgase.

Aus Freeport im US-Bundesstaat Texas berichtet Manning Rollerson vom Freeport Haven Project for Environmental Justice, wie es auf der anderen Seite der Lieferkette aussieht. In seiner Heimatstadt wurde ein LNG-Terminal für die Einfuhr gebaut. Jetzt wird dort allerdings Gas verflüssigt und ausgeführt. Immer wieder komme es zu Leckagen und zu größeren Problemen. Dann werde das Gas abgefackelt, mit der entsprechenden Lärm-, Abgas- und auch Lichtbelastung für die Anwohner. Die Krebsrate in der Gemeinde sei hoch, selbst bei Kleinkindern. Von den Behörden würden die Probleme heruntergespielt, Unterstützung gebe es nicht.

Zuviel Methan

»Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge«, hatte Greenpeace entsprechend vergangene Woche in Berlin an die Fassade des Nobelhotels Adlon projiziert, als sich dort die internationale Erdgaswirtschaft traf, um hinter verschlossenen Türen den hiesigen Politikern die Marschrichtung zu erklären. Zur gleichen Zeit hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Betroffene und Umweltschützer von drei Kontinenten eingeladen, um über die Auswirkungen der boomenden LNG-Industrie zu sprechen. Rollerson war aus diesem Anlass angereist.

Was aber macht das Erdgas für die Umwelt so bedenklich? Je nach Quelle besteht es zu 75 bis 99 Prozent aus Methan (CH4), was eine Verbindung eines Kohlenstoffatoms mit vier Wasserstoffmolekülen ist. Daneben enthält es kleinere Anteile komplexerer Kohlenwasserstoffverbindungen. Zudem kann das Erdgas auch Quecksilber und Schwefelwasserstoff enthalten. Letzteres ist laut Bundesverband Erdöl, Erdgas und Geoenergie bei 40 Prozent der inländischen Vorkommen der Fall. Der Schwefel muss dem Gas entzogen werden, bevor es ins Netz eingespeist werden kann. Nach Angaben des Verbandes fielen hierzulande 2023 immerhin rund 300.000 Tonnen Schwefel an. All diese Stoffe entweichen im kleineren oder größerem Umfang an den Förderstellen des Gases. Auch in Deutschland, wie Anwohner in Niedersachsen beklagen.

Aber das größte Problem am Methan und damit am Erdgas sind die Folgen für das Klima. Dabei galt die Verbrennung von Erdgas lange als relativ harmlos. Von allen fossilen Energieträgern hat Methan das günstigste Verhältnis von Kohlenstoff zu Wasserstoff, das heißt wenig Kohlenstoff und viel Wasserstoff. Bei seiner Verbrennung setzen beide Elemente ihre chemische Energie frei und es entstehen in Verbindung mit Sauerstoff Wasser und Kohlendioxid, letzteres allerdings wegen des geringen Kohlenstoffanteils im Vergleich zur Verbrennung von Kohle oder Erdöl in geringen Mengen. Damit ist eigentlich – wenn andere Faktoren außer acht gelassen werden – der Einsatz von Erdgas in Kraftwerken deutlich weniger klimaschädlich, als wenn Strom und Wärme in einem Kohlekraftwerk gewonnen werden. Insbesondere weniger schädlich als in einem Braunkohlekraftwerk, das pro erzeugter Kilowattstunde nicht nur den höchsten CO2-Ausstoß hat, sondern auch noch besonders viel Feinstaub, giftige Schwermetalle, Arsen, Stickoxide, Quecksilber und Schwefel in die Luft bläst. Aber auch Erdgas zu verbrennen ist auf keinen Fall nachhaltig, wie es der Energiekonzern Eon den Verbraucherinnen und Verbrauchern weismachen will, denn es handelt sich um einen endlichen Rohstoff, dessen Lagerstätten millionenfach schneller geleert werden, als sie sich durch geologische Prozesse wieder auffüllen können.

Der große Haken an Methan: Es ist selbst ein Treibhausgas, und zwar ein hocheffektives. Im Vergleich von Molekül zu Molekül ist Methan etwa 80 Mal so wirksam wie CO2. Zum Glück ist es nicht so langlebig wie dieses und wird in der Atmosphäre innerhalb weniger Jahrzehnte abgebaut. Dass seine Konzentration trotzdem immer weiter steigt und damit auch sein Beitrag zum menschlich verursachten Treibhauseffekt, liegt daran, dass immer mehr davon viel schneller in die Atmosphäre gelangt, als es abgebaut werden kann.

Und hier kommt die Erdgasindustrie ins Spiel: Methan hat viele natürliche und auch von Menschen verursachten Quellen. Aber in den frühen 1990er Jahren schien es so, als sei das Methanproblem mehr oder weniger gelöst. Die Konzentration des Gases stieg zumindest nicht mehr weiter an. Doch der Optimismus in dieser Hinsicht war verfrüht: Seit Mitte der 2000er Jahre steigt auch die Methankonzentration wieder, und dieser erneute Anstieg fällt zeitlich ziemlich genau mit dem Beginn des Frackingbooms in den USA zusammen. Schon bald mutmaßten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass im Fracking die Ursache für die erhöhten Werte zu suchen ist und wurden fündig. Diverse Studien kommen auf der Grundlage von Messungen aus der Luft und mittels Satelliten für die unterschiedlichen Fördergebiete in den USA zu Verlustraten von 0,2 bis 40 Prozent der Fördermenge. Meist liegen die Werte im einstelligen Bereich. Hinzu kommen in den USA weitere Emissionen in Höhe von 1,7 bis 3,5 Prozent in den Städten und bei den Endverbrauchern. Auch in Deutschland haben Messungen der Deutschen Umwelthilfe in der Nähe von Pipelines und Anlagen für den LNG-Umschlag erhöhte Methanemissionen festgestellt.

Klimabombe

Es ist deshalb besonders bedenklich, dass derzeit in diversen Ländern in großem Stil in Gasinfrastruktur investiert wird. Terminals und Pipelines werden gebaut, neue Vorkommen erschlossen. Auch deutsche Banken vergeben reichlich Kredite dafür. Die britische Zeitung Guardian berichtet von 213 Milliarden US-Dollar, die für neue Gasprojekte ausgegeben werden sollen und warnt vor einer »Klimabombe«. Diese gewaltigen Summen werden entweder dazu benutzt werden, zu lange an den fossilen Brennstoffen festzuhalten oder aber sie sind – im besseren Fall – schlicht in den Sand gesetzt, weil die errichteten Anlagen schon im nächsten Jahrzehnt wieder stillgelegt werden müssen. Bisher liegen in verschiedenen deutschen Häfen nur Terminalschiffe, aber in Planung sind stationäre Anlagen, die nicht mehr unter das Beschleunigungsgesetz fallen, für die Standorte Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven. In Stade hat im Sommer bereits der Bau begonnen. Auf Rügen, rund um Brunsbüttel und an den verschiedenen Standorten in Niedersachsen haben sich bereits Initiativen gebildet, die sich gegen diese und andere Gaspläne wehren.

Wolfgang Pomrehn schrieb an dieser Stelle zuletzt am 4. Juli 2024 über Zeppeline

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  • Leserbrief von Peter Tiedke aus Golzow (19. Dezember 2024 um 12:06 Uhr)
    Wolfgang Pomrehn liefert einen interessanten Beitrag zu der Diskussion: die »Rettung der Welt vor dem Klimakollaps«. Ich weiß nicht, wer bei den Statistiken mehr lügt: Die Propagandisten der Großaktionäre, die ihre Riesenprofite aus der Ausbeutung der fossilen Energieträger »machen«, oder jene, die die Multimilliarden an Land ziehen, die der so genannte »Green Deal« aus den Werktätigen weltweit bereits jetzt schon presst.
    Fakt aber ist, dass es beiden Gruppen nicht um die Lebensbedingungen der Menschen geht, sondern um das Wesentliche in der herrschenden Ökonomie – »Wachstum«! Merkel hatte es gut verstanden, was die ganz großen Bosse erwarteten – »Wachstum«, forderte sie bereits am Anfang ihrer Kanzlerschaft, »dem müssen wir alles unterordnen!« Volkstümlicher gesprochen, der Gier nach Superprofit (in Zeiten fallender Profitraten). Coronavirus, Kohlendioxidkonzentration, Methan pupsender Kühe, Waffen für die »Freiheitskämpfer« sind vor allem Mittel zum Zweck. (Bei Waffen natürlich auch zum »höheren« Zweck.) Und natürlich sind sie somit geheiligt, so kontraproduktiv sie real auch zum angeblichen Ziel wirken. Tempolimit zum Beispiel bringt kein Wachstum. »Kostet doch aber nichts?«, sagt der fragende Arbeiter. Ja. Eben! Nicht nur die Plasteproduktion, ein Großteil der Produkte weltweit (von Rüstung gar nicht zu reden) wird nicht produziert, weil sie gebraucht werden. Sie werden mit irrsinnigem Aufwand auf einen überfüllten »Markt« gepresst, weil riesige Kapitalien sich verwerten müssen, bei Strafe ihres (unseres) Untergangs. Das spielt in der Klimadebatte aber kaum eine Rolle. Mit diesem System kann die Menschheit nicht überleben!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (17. Dezember 2024 um 22:15 Uhr)
    Die Anzeichen zusammengenommen deuten darauf hin, dass die Klimabombe gezündet und ihre Wirkung mit teuren Mittelchen gemildert werden soll (»Netto-Null-Industrie-Gesetz«: »Das Gesetz vereinfacht die Bedingungen für die Produktion solcher Technologien – für eine starke Cleantech-Industrie in Europa und einen zügigen Ausbau der CO2-Speicherkapazitäten.« https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/european-green-deal/green-deal-industrial-plan/net-zero-industry-act_de). Die EU ist sehr bestrebt, zusätzliche Milliarden Euro für weitere Gasprojekte auszugeben, für Abgasprojekte nämlich. Ein Blick in »Shaping the future CO2 transport network for Europe« lohnt sich. Man muss die Schwarte (85 Seiten) nicht volständig lesen. Die Szenarien »CTP 2040« und »Fit-for-55« sollte man sich anschauen um die Zusammenhänge zu verstehen. Ein Blick auf das Netz von Pipelines, Quellen und Senken des CO2 (Seiten 18, 19) und dieses Zitat reichen aber auch: »The study shows that the future European CO2 transport network could reach a length of 6.700-7.300 km by 2030, and might extend to between 15.000 and 19.000 km by 2050. Its deployment could cost between about EUR 6.5 billion and EUR 19.5 billion by 2030, rising to between EUR 9.3 billion and EUR 23.1 billion in 2050.« (Deepl: »Aus der Studie geht hervor, dass das künftige europäische CO2-Verkehrsnetz bis 2030 eine Länge von 6.700-7.300 km erreichen könnte und bis 2050 auf 15.000 bis 19.000 km anwachsen könnte. Die Kosten für die Errichtung des Netzes könnten bis 2030 zwischen 6,5 und 19,5 Mrd. EUR liegen und bis 2050 auf 9,3 bis 23,1 Mrd. EUR ansteigen.«) Kurz gesagt: Es sollen dutzende bis hunderte Milliarden Euro für die weiter Nutzung fossiler Energie ausgegeben werden, die auf der erneuerbaren Seiten dann fehlen. Man stelle die berühmte Frage: Wem nützt es? Und: Wozu braucht man CO2-Leitungen im Jahre 2050? Da soll dich kein CO2 mehr produziert werden?
    • Leserbrief von Hagen Radtke aus Rostock (19. Dezember 2024 um 08:28 Uhr)
      Sehr geehrter Herr H., die Abscheidung und Speicherung von CO2 wird nach 2050 nötig sein, gerade wegen der Notwendigkeit der Klimaneutralität. Denn für einige wenige Prozesse wie die Herstellung von Beton oder Glas gibt es noch keine technischen Alternativen, die ohne CO2-Emissionen auskommen. Das gilt selbst dann, wenn die verwendete Energie vollständig aus erneuerbaren Quellen stammt. Aber die Kapazität solcher Speicher oder Kompensationsmöglichkeiten für freigesetztes CO2 ist arg begrenzt, so dass es aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt nicht infrage kommt, für gut ersetzbare Dinge wie fossile Stromerzeugung die wertvollen Kapazitäten aufzubrauchen. Leider mögen Union und FDP das anders sehen und die wertvollen Speicher für kurzfristiges nichts-tun-müssen mit vermeidbarem CO2 vollballern wollen. Das ist dann aber nicht im Sinne derer, die diese Möglichkeit wissenschaftlich untersuchen.

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