Gericht macht Druck
Von Lou BrennerWegen versuchten Mordes soll die Antifaschistin Hanna S. am Oberlandesgericht München angeklagt werden. Zum Aufmarsch am »Tag der Ehre« in Budapest im Februar 2023 soll sie »als Teil einer linksextremistischen Vereinigung« drei Neonazis angegriffen haben. S. wurde im Mai in Nürnberg festgenommen. Mit dem Prozess vor dem OLG München, der am 19. Februar beginnen soll, scheint zumindest eine Auslieferung nach Ungarn vom Tisch. Den Angriff als Mordversuch zu verhandeln, stelle »eine bewusste Eskalation des Verfahrens« dar, heißt es in einer Erklärung des Solikreises Nürnberg vom vergangenen Freitag. Das Gericht wiederum wies darauf hin, dass auch eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Betracht kommen könne. »Offenbar ist dem Gericht selbst klar, dass der Vorwurf des versuchten Mordes an Absurdität kaum zu überbieten ist und deshalb nicht haltbar sein wird«, so Alex Schmidt vom Solikreis Nürnberg.
Der seit 1997 in Budapest stattfindende »Tag der Ehre« hat sich zu einem der bedeutendsten Vernetzungstreffen europäischer Faschisten entwickelt. Hunderte Neonazis erinnern jährlich an den versuchten Ausbruch von Wehrmachts- und Waffen-SS-Soldaten aus dem von der Roten Armee eingeschlossenen Budapest in der Nacht zum 12. Februar 1945, ergehen sich dabei in Geschichtsrevisionismus und glorifizieren die Täter als die wahren Opfer der Geschichte. Bei den symbolischen Wanderungen durch die Budapester Wälder sind Wehrmachtsuniformen, Hakenkreuze und Hitler-Porträts allgegenwärtig. 2023 soll es von Seiten der Gegendemonstranten zu mehreren Angriffen auf die Faschisten gekommen sein. Bereits vor Ort hatte die ungarische Polizei zwei Berliner Linke und eine Italienerin festgenommen. Springer-Medien fahndeten öffentlich nach den Personen.
Das Gericht erklärte nun, beim Fall Hanna S. eine »besondere Bedeutung des Verfahrens« erkannt zu haben. Die angeklagte Tat – der Angriff auf Faschisten, die Wehrmacht und SS glorifizieren – könne »negative Auswirkungen auf das Erscheinungsbild der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen Staaten haben«. Außerdem würde allein durch den Umstand, dass deutsche Mitglieder einer »kriminellen Vereinigung« nach Ungarn reisen, um »dort gegen aus ihrer Sicht politisch missliebige Menschen« Gewalttaten zu verüben, »das dortige staatliche Gewaltmonopol in Frage« gestellt. Machen Antifaschisten aus ihrer Ablehnung dieses Gewaltmonopols in der Regel kein Geheimnis, so spielt diese staatstragende Dimension des Prozesses womöglich auch in die nicht nachvollziehbare Entscheidung hinein, Hanna S. wegen versuchten Mordes anzuklagen.
»Es ist offensichtlich, dass es dem Gericht darum geht«, heißt es weiter beim Solikreis Nürnberg, das Strafmaß »so hoch wie möglich zu schrauben«. Auch erhöhe die Mordanklage den Druck auf weitere Antifaschisten, die gegenwärtig untergetaucht sind, da Mord prinzipiell nie verjähren würde. Der Prozess sei daher »als Signal an die Untergetauchten zu verstehen«, da diese nun Angst haben müssten, »auf ewig in die Illegalität gedrängt zu werden«. Die Anklage verfolge »klar politische Interessen«. Zum Beginn der Hauptverhandlung am 19. Februar mobilisiert der Solikreis nach München, um »mit antifaschistischen Menschen vor Ort seine Solidarität« zum Ausdruck zu bringen und der Angeklagten zu zeigen, dass sie nicht allein gelassen wird.
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