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Aus: Ausgabe vom 18.12.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Queeres Leben im Faschismus

Observiert und deportiert

Österreich: Ausstellung klärt über Verfolgung von Homosexuellen während Naziherrschaft auf
Von Barbara Eder, Wien
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Die systematische Verfolgung erstreckte sich über das gesamte von den Nazis kontrollierte Gebiet. Ausstellungsstück im belgischen Mechelen (22.7.2023)

Im Dezember sind alle Bezirksmuseen in der österreichischen Landeshauptstadt gemeinhin geschlossen. Eine der lokalen Institutionen, die sich der Regionalgeschichte angenommen hat, öffnete dennoch ihre Pforten. Im Mezzanin des Museums in der Mollardgasse 8 lagern nicht nur Objekte der Bezirksgeschichte, sondern auch die Stellwände einer von Andreas Brunner vom Verein »Qwien – Zentrum für queere Geschichte« kuratierten Schau. Die Ausstellung »Als homosexuell verfolgt – Mariahilf in der NS-Zeit« ruft nicht nur vergessene Orte queeren Lebens in Erinnerung, sondern auch die Geschichte ihrer Zerstörung durch den Staat und seine Behörden. Sie war bis Ende Juni regulär zu sehen, am 7. Dezember ermöglichte die Ethnologin Ulli Fuchs ein letztes Mal die Besichtigung.

Eine Handvoll homosexueller Personen, die unter dem Begriff der »rassefremden Sittlichkeit« zu »Volksfeinden« erklärt wurden, fand Eingang in die Ausstellung – darunter auch die im Mariahilfer Hotel Windsor wegen »lesbischen Verkehrs« festgenommene Hildegard Irmgard B. und ihre Freundin Edith T. Im Rahmen der Verfolgungspolitik der Nazis wurden gleichgeschlechtlich Liebende zu einer eigenständigen Kategorie, welche den Homosexuellen als sozialen Typus erst hervorbrachte – damit verbunden: Ausgrenzung, Ächtung und eine Vielzahl an Anzeigen und Verurteilungen. Schwule Männer stellten mit rund 95 Prozent das Gros der als homosexuell verfolgten Personen dar. Aufgrund ihrer »gesellschaftlichen Bedeutung« wurden lesbische Frauen seltener und auch unter anderen Vorwänden kriminalisiert.

Vor gut einem Jahrhundert dampfte und brodelte es noch im Mariahilfer Esterházybad. Die Schwimmanstalt in der Gumpendorfer Straße 59 war nicht nur ein Ort, an dem sich queere Menschen treffen und vergnügen konnten. Mit dem Inkrafttreten des Paragraphen 129 des österreichischen Strafgesetzbuchs, der von 1852 bis 1971 Gültigkeit hatte, galt homosexuelles Handeln als »Unzucht wider die Natur« – und wurde vor Ort gezielt geahndet. Der Kriminalbeamte Karl Seiringer hielt unter den Nazis am Mariahilfer Badeort Ausschau nach sich anbahnenden »gleichgeschlechtlichen Kontakten« – und verfolgte laut Ermittlungsakten damit eine Strategie: Seiringer soll Männer dabei beobachtet haben, »wie sie sich gegenseitig anschauen und mit den Zehen kokettieren«. Was aus heutiger Sicht absurd klingen mag, hatte für die Betroffenen dazumal schwerwiegende Konsequenzen. Viele unter ihnen wurden inhaftiert, die Strafen reichten von Kerkerhaft über die »freiwillige Kastration« bis hin zur Einweisung in »Zuchthaus« und Konzentrationslager.

In der heutigen Otto-Bauer-Gasse 5 – damals Kasernengasse – lebte Josef Weisseneder, dessen Name früh durch die Akten der Wiener Gestapo gegeistert war. Das nahegelegene Café Goethe in der Mariahilfer Straße, an dessen Stelle sich heute ein McDonald’s befindet, war von der Polizei als »Ort gleichgeschlechtlicher Betätigung« markiert worden. In den Akten ist detailreich von Weisseneders dortigen Begegnungen zu lesen, von seinen Gesprächen und seinen Gesten. Er wurde über Jahre hinweg observiert und später ins KZ Mauthausen deportiert. Auf seiner Lagerakte findet sich der Vermerk »Rückfällig und äußerst homosexuell!« Weisseneders Geschichte lässt den historischen Ort in anderem Licht erscheinen – als Schauplatz der Verfolgung in Alltag und öffentlichem Leben. Neben dem Café Goethe befand sich seit den 1920er Jahren der Hubertuskeller – ein Wirtshaus, in dem sich regelmäßig auch eine Gruppe junger Männer traf. Der Lokalbetreiber Josef Dörner geriet deshalb ins Visier der Behörden, die ihn als »Verführer« darstellten. Anonyme Anzeigen sollten seine Existenz zerstören. Die Ausstellung erinnert aber auch an seine Pionierleistung: Zwischen den Faksimiles von Verhörprotokollen gibt es Aufnahmen, die von einer florierenden Kultur homosexueller Tanzlokale in Wien-Mariahilf erzählen.

Kurator Andreas Brunner verknüpft die Einblicke in persönliche Geschichten mit den Strukturen der Verfolgung. Die Adressen und Namen aus den Akten – Gumpendorfer Straße, Kasernengasse, Mariahilfer Straße – werden im Rahmen der Ausstellung mit bislang verschwiegenen Geschichten verbunden. »Als homosexuell verfolgt« ist dennoch mehr als eine Ausstellung über die Vergangenheit: Sie fordert ihre Besucher dazu auf, die bis heute wirksamen Strukturen trans- und homophober Ausgrenzung zu hinterfragen. Was bleibt, sind Bilder eines Wiener Viertels, das aller Widrigkeiten zum Trotz Zuflucht in Zeiten der Verfolgung hätte bieten können. Nach 1945 wurden die Akten zu den Verurteilungen wegen Verstoßes gegen Paragraph 129 jedoch oft als wertlos betrachtet und aus vielen Archiven getilgt.

»Als homosexuell verfolgt – Mariahilf in der NS-Zeit«, Bezirksmuseum Mariahilf. Katalog zur Ausstellung im Mandelbaum-Verlag erschienen

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