Abnicken im Akkord
Von Jakob ReimannJetzt muss alles ganz schnell gehen: In der letzten Sitzungswoche des Bundestags und seiner Ausschüsse in diesem Jahr sind am Mittwoch noch Dutzende Rüstungsvorhaben in Milliardenhöhe durchs Parlament gepeitscht worden. So hatte die Tagesordnung des Verteidigungsausschusses Rekordlänge. Stolze 63 Themen sollten im geheim tagenden Ausschuss im Paul-Löbe-Haus debattiert werden, vieles davon drehte sich um neues Kriegsgerät. Zuvor standen die Besprechung von Bundeswehreinsätzen auf dem Plan sowie diverse Berichte der Bundesregierung zu Syrien, Israel, »zur strategischen Bedrohung der NATO« oder zur »Abgabe sensitiven militärischen Materials« an die Ukraine.
Sollte die USA in der zweiten Trump-Präsidentschaft womöglich die Schützenhilfe nach Kiew einstellen, würde Deutschland schlagartig zum wichtigsten westlichen Kriegsverlängerer aufsteigen. Ein Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen will die militärische Zusammenarbeit mit Litauen vertiefen. Im September war in dem baltischen NATO-Staat der Spatenstich zur ersten deutschen Garnisonsstadt im Ausland für Tausende Soldaten und deren Familien gefeiert worden. Ein AfD-Antrag will die »deutsche wehrtechnische Industrie« stärken, an Universitäten endlich großflächig an neuem Kriegsmaterial forschen lassen und Rüstungsexporte noch weiter erleichtern. Das Papier wirft darüber hinaus die Frage auf, wie sich die in Teilen faschistische Partei den Anstrich einer »Friedenspartei« geben konnte.
Vieles davon ist parlamentarische Routine. Sprengkraft steckt vor allem im Tagesordnungspunkt zwölf, »Beratung von BMF-Vorlagen«, also von Papieren des Bundesministeriums der Finanzen. Ganze 40 Stück verstecken sich in diesem Punkt und wiederum 38 davon sind sogenannte 25-Millionen-Euro-Vorlagen. Alle Rüstungsprojekte, die unter 25 Millionen Euro liegen, werden von der Regierung einfach beschlossen. Beschaffungen, die diese Marke durchbrechen, müssen zunächst von Haushältern und Verteidigungspolitikern debattiert werden, um dann in den Fachausschüssen durchgewinkt zu werden.
Dieses Prozedere dient vorgeblich der Transparenz und parlamentarischen Kontrolle. Da jedoch im Parlament der »Zeitenwende« beim Thema Hochrüstung der Bundeswehr die Reihen nahezu geschlossen sind, verkommt die vermeintliche Debatte über die Rüstungsprojekte zum reinen Ritual. Dass nach dem Bruch der Ampelkoalition die »rot-grüne« Restregierung über keine parlamentarischen Mehrheiten mehr verfügt, ist beim Thema Rüstung irrelevant: Alle 38 Vorlagen wurden vom Verteidigungsausschuss beschlossen, weshalb Minister Pistorius (SPD) sich in der Fragestunde am Mittwoch im Parlament bei Union und FDP dafür bedankte, dass diese seinen Rüstungsmarathon mitgetragen hatten.
Schon in der letzten Sitzung vor der Sommerpause waren Anfang Juli noch diverse Rüstungsprojekte in Milliardenhöhe durch den Haushaltsausschuss gebracht worden, darunter »Patriot«-Flugabwehrsysteme, Hunderttausende Artilleriegranaten sowie 105 Leopard-Kampfpanzer »der neuesten Generation«, die meisten davon für das Panzerbataillon der neuen Bundeswehr-Brigade in Litauen bestimmt. Die am Mittwoch verhandelten 25-Millionen-Euro-Vorlagen betreffen neben Kleinkram wie Funkgeräte und Spezialbrillen auch viel schweres Gerät wie Panzerfahrzeuge, Hubschrauber, Kampfjets oder Kriegsschiffe. Der wohl größte Posten sind vier U-Boote vom Typ U 212 CD, die bei Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) bestellt werden. 4,7 Milliarden Euro sollen diese kosten. Auch das NATO-Land Norwegen möchte zwei Exemplare beschaffen.
Für TKMS ging es lukrativ weiter, auch die Vorlage für das Versorgungsschiff »Polarstern 2« mit einem Volumen von rund einer Milliarde Euro passierte die Ausschüsse. Insgesamt ging es bei den Vorlagen um Rüstungsgüter in Höhe von rund 15 Milliarden Euro, berichtete das Fachblatt CPM Defence Network, die in den 38 Vorlagen noch schnell durchgepeitscht wurden. »Zeitenwende« als Zirkusveranstaltung.
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Leserbrief von Jörg Hofmann aus Loxstedt (19. Dezember 2024 um 12:11 Uhr)Im Artikel »Abnicken im Akkord« wird der Neubau des Forschungseisbrechers »Polarstern 2« in einem Atemzug mit diversen Rüstungsprojekten genannt und nur als Versorgungsschiff bezeichnet. Bei »Polarstern 2« handelt es sich um den Neubau eines zivilen Forschungsschiffs (Eisbrecher) zur Erforschung der Polarregionen und zur Versorgung der deutschen Antarktis-Forschungsstation »Neumayer«. Sie wird im Auftrag des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts, wie Ihre Vorgängerin »Polarstern«, zivil von der Hamburger Reederei F. Laeisz bereedert und sorgt dort für Ausbildungsplätze und die langfristige Beschäftigung von über einhundert deutschen Seeleuten. In diesem Sinne und mit Blick auf die Klimaforschung ist das eine gut investierte Milliarde, finde ich!
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