Parteiputsch in Hamburg
Von Kristian StemmlerZwei Monate vor der vorgezogenen Bundestagswahl steckt das BSW in Schwierigkeiten: Die Auseinandersetzung zwischen zwei Hamburger Mitgliedern der Partei von Sahra Wagenknecht und dem Bundesvorstand spitzt sich zu. Norbert Weber und Dejan Lazić haben am Sonntag mit weiteren fünf BSW-Mitgliedern einen Landesverband gegründet – allerdings ohne Zustimmung des Bundesvorstandes.
Die »angebliche Gründung eines Landesverbandes« sei ein »nichtiger Vorgang von zwei Mitgliedern, die sich an der Parteiarbeit in Hamburg noch nie aktiv beteiligt haben«, erklärte dazu die Bundestagsabgeordnete Zaklin Nastic, Beisitzerin im Bundesvorstand und BSW-Beauftragte für Hamburg, am Mittwoch gegenüber junge Welt. Der tatsächliche Hamburger Landesverband werde vielmehr am kommenden Sonnabend gegründet, »mit Einladung aller Mitglieder und unter Einhaltung der Satzung«, sagte Nastic. Koparteichefin Amira Mohamed Ali erklärte, mit dem Vorgang würden sich die Parteigremien beschäftigen.
Vor einer Woche hatten Weber und Lazić angekündigt, juristisch gegen die vom Bundesvorstand gesteuerte Aufnahme neuer Mitglieder vorgehen zu wollen. Nur dieser darf laut der Satzung über neue Mitglieder entscheiden. Lazić und Weber klagen nun vor einem Gericht gegen die Satzung. Generalsekretär Christian Leye kündigte am Mittwoch an, der Aufnahmemechanismus werde nächstes Jahr geändert. »Wir werden mehr Mitglieder aufnehmen. Wir freuen uns darauf.« Derzeit sind laut Parteiangaben rund 1.200 Personen Mitglied des BSW.
Die offizielle Gründungsversammlung des Hamburger Landesverbandes hatte bereits am vergangenen Sonntag in den Räumen der Alevitischen Gemeinde der Hansestadt stattfinden sollen, die die Buchung jedoch kurzfristig rückgängig machte. Daraufhin sagte der Bundesvorstand die Veranstaltung am Freitag abend ab. Weber erklärte am Mittwoch gegenüber jW, er habe sich daraufhin gemeinsam mit Lazić um alternative Räume bemüht und solche gefunden. »Das haben wir dem Bundesvorstand auch mitgeteilt, doch es kam keine Reaktion«, erklärte Weber.
Daher habe er mit Lazić die Mitglieder, die von der Absage nichts mitbekommen hatten und sich bei der Alevitischen Gemeinde einfanden, dort empfangen und zur anderen Örtlichkeit umgeleitet. Dort sei dann ein Landesverband gegründet worden, mit einer eigenen Satzung und Schiedsgericht. Zum Landesvorsitzenden wurde Alexander Konstantinov gewählt, der lange für Die Linke in der Hansestadt aktiv gewesen sei. Weber selbst wurde zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt. Auch eine Landesliste für die Bundestagswahl sei bei der Versammlung aufgestellt und bereits beim Landeswahlleiter eingereicht worden, sagte Weber.
Genau das könnte bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar zum Problem für die Partei werden. Wenn am Sonnabend ein zweiter Landesverband mit einer konkurrierenden Wahlliste gegründet wird, könnte das beide Listen ungültig machen. Ähnlich war es der AfD 2023 bei der Bürgerschaftswahl in Bremen gegangen. Da die Partei mit zwei Listen antreten wollte, war sie von der Wahl ausgeschlossen worden. Ein Gericht stellte später fest, dass jede Partei nur einen Wahlvorschlag einreichen darf. Neben der Bundestagswahl könnte auch die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft gefährdet sein.
Den an der Parteispitze vorbei gegründeten Landesverband nennen die Mitglieder »Bündnis für Vernunft und Gerechtigkeit«, ohne den Namen der Parteigründerin Sahra Wagenknecht. Das »richtet sich nicht gegen Sahra, die ich sehr schätze«, sagte Weber dazu. Wie es in Hamburg nach der Gründungsversammlung am kommenden Sonnabend weitergehen soll, ist unklar. Weber erklärte, er und Lazić würden ihrerseits die für diesen Tag vom Bundesvorstand angekündigte Gründung eines Landesverbandes als nichtig ansehen. Auf die Frage, ob das Duo mit seinem Vorgehen nicht dem BSW im Bundestagswahlkampf schade, entgegnete Weber, es gehe um die innerparteiliche Demokratie: »Dafür kämpfen wir.«
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Leserbrief von Paul Vesper aus 52062 Aachen (20. Dezember 2024 um 11:56 Uhr)Dem Vernehmen nach haben die beiden Politikerkaster einen Landesverband mit dem Namen »Für Vernunft und Gerechtigkeit« oder so ähnlich, also ohne »BSW«, mit 7 weiteren Mitstreitern gegründet. Eine Partei mit dem Namen, wie oben genannt ohne »BSW«, gibt es nicht. Ich denke, sich mit einem anderen Namen in eine Partei hineinzuschummeln, ist grotesk und rechtlich nicht möglich. Aber wie sagen die Juristen: »Vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand.« Die beiden Idioten gehören mit einem kräftigen Tritt ausgeschlossen.
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Leserbrief von Ilka Müller aus Bremen (20. Dezember 2024 um 00:32 Uhr)Der BSW-Bundesvorstand hat sich gestern in der Pressekonferenz zur Wahlkampagne sehr deutlich zu dem Vorgang in Hamburg geäußert. Dieser Landesverband, der sich am Bundesvorstand vorbei entgegen der Satzung gegründet hätte, habe nichts mit der Partei zu tun. Ein solches Vorgehen würde keine Partei akzeptieren, womit sie recht haben. Der Ausgewogenheit halber hätte diese öffentliche Stellungnahme des Bundesvorstandes ebenfalls hier abgedruckt werden müssen. Die Frage ist, was soll das Ganze? Warum treten die Kritiker nicht wieder aus, wenn es so schlimm ist, dass man klagen muss. Was für eine Absurdität.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (19. Dezember 2024 um 09:07 Uhr)Das BSW mit seiner Forderung nach Frieden ist im politischen System der BRD ein außerordentlicher Störfaktor. Es war zu erwarten, dass es deshalb von außen heftigst attackiert würde. Und dass, wenn die Geheimdienste wieder kräftig durchgeatmet hätten, auch innere Unruhen angestiftet würden. Dass es dabei, wie in Hamburg geschehen, um »Demokratie« gehen würde, war längst abzusehen. Wer gibt denn auch bei solchem Störfeuer gleich zu, dass ihm die ganze Sache mit dem Frieden nicht passt?
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Leserbrief von Ilka Müller aus Bremen (20. Dezember 2024 um 08:50 Uhr)Dem kann ich nur zustimmen. Die ganze Geschichte ist einfach zu absurd. Jemand tritt in eine neue Partei ein, obwohl ihm Inhalte, Satzung und Personal nicht passen. Und anstatt wieder auszutreten, wird geklagt. Das klingt sehr nach 5. Kolonne.
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