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Aus: Ausgabe vom 19.12.2024, Seite 7 / Ausland
Korea

Ende der Gewissheiten

Jahresrückblick 2024. Heute: Korea. Der Abschied von der Wiedervereinigung, ein Mordanschlag sowie der missglückte Putsch charakterisieren das Jahr
Von Martin Weiser
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»Sofortige Amtsenthebung«: Südkoreas Präsident Yoon hat die Bevölkerung gegen sich aufgebracht (Seoul, 14.12.2024)

Für Südkoreas Linke wird das Jahr 2024 noch lange schmerzhaft in Erinnerung bleiben. Es begann mit der Abkehr des Nordens vom jahrzehntelang befolgten Prinzip von Austausch und Freundschaft und endete im Süden mit einem gescheiterten Militärputsch sowie dem Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Yoon Suk Yeol. Die unzähligen Versuche auf beiden Seiten, die innerkoreanischen Beziehungen zu normalisieren, scheinen vergebens. Der Wunschglaube, dass der südkoreanische Staat die finstersten Zeiten von Militärdiktatur und Antikommunismus hinter sich gelassen hat, schwindet. Die bisher bekanntgewordenen Details zu den stetigen Versuchen der Yoon-Clique, einen militärischen Konflikt mit Nordkorea zu provozieren, schockieren und hinterlassen das Gefühl, dass auch die Vorgängerregierungen den innerkoreanischen Friedensprozess in ähnlicher Weise torpediert haben könnten. Diesmal packen die Generäle aus, um ihre eigene Haut zu retten. Vorher hielten sie den Mund, und keiner bohrte nach.

Skrupellose Rechte

Die südkoreanische Demokratie wird sich nur schwer von dieser Erfahrung erholen. Der öffentliche Diskurs scheint auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in einem Maß vergiftet, der weit über die bisherigen Anfeindungen im Politikbetrieb hinausgeht. Offiziell dauerte das Kriegsrecht, das am späten Abend des 3. Dezembers ausgerufen wurde, nur wenige Stunden. Aber das reichte, um der Bevölkerung die jahrzehntelange Gewissheit zu nehmen, man lebe in einer stabilen Demokratie – trotz der vielen, die sofort auf die Straße gingen und damit das Schlimmste verhinderten. Quasi über Nacht bestätigten sich die unguten Gefühle gegenüber den südkoreanischen Rechten und Antikommunisten. Jetzt weiß das ganze Land, dass diese weder vor der Ausschaltung der Opposition noch dem Krieg mit dem Norden zurückschrecken. Die Hoffnung, mit einer Aussöhnung der zwei koreanischen Staaten würden auf beiden Seiten Energie und Ressourcen frei für Sozialstaat, Wirtschaftsentwicklung und Friedenspolitik, liegt nun in weiter Ferne. Zusätzlich dazu verhindert die Ausgrenzung linker Stimmen in Gesellschaft und Parlament Kritik am Status quo.

Eigentlich soll das Wahlsystem kleinere Parteien bevorzugen, aber wie bereits 2020 missbrauchten die großen Parteien diese Regel auch bei der Parlamentswahl im April 2024 und gründeten Satellitenparteien. Die Justice Party, vergleichbar mit den Grünen in Deutschland, flog so aus dem Parlament. Die Progressive Party durfte nur mit Einschränkungen über die Gemeinschaftsliste der Demokratischen Partei, der größten Oppositionspartei, ins Parlament einziehen. Rechte Propaganda, die auch vom Präsidenten und seiner Partei weiterverbreitet wird, behauptet, die Opposition sei von nordkoreanischen Agenten unterwandert. Bei einem Mann verfing diese Propaganda so stark, dass er nach Monaten der Planung am 2. Januar einen beinahe erfolgreichen Mordanschlag auf den Vorsitzenden der Demokratischen Partei, Lee Jae Myeong, verübte, der derzeit als aussichtsreichster Kandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen gilt. Während Lee gerne Vorschläge wie ein bedingungsloses Grundeinkommen macht, hält er sich mit Kritik an staatlicher Zensur und Unterdrückung von linken Aktivisten stets zurück.

Man kann nur spekulieren, wie all das in Nordkorea wahrgenommen wird. Nachdem die Demokratische Volksrepublik es zur Staatsräson erklärt hatte, keine Wiedervereinigung mit dem Süden anzustreben, verschwanden im Januar nicht nur allerhand Institutionen und Internetauftritte des Landes. Auch mehrere Nordkoreanerinnen, die in den sozialen Medien unter anderem auf englisch ihr Land in ein gutes Licht setzen wollten, hörten auf, Videos hochzuladen. Erst seit einigen Monaten lässt man wieder Touristen und andere Besucher ins Land, die wenigstens eigene Eindrücke sammeln können. Anderen bleibt derzeit nur der Blick in die nordkoreanische Tagespresse, das Fernsehprogramm oder auf Satellitenbilder.

Während das Land seit Monaten regelmäßig über die südkoreanischen Samstagsdemonstrationen gegen Yoon informierte, hält man sich zu den aktuellen Geschehnissen in Südkorea bislang bedeckt. Außer der Forderung von Staatsoberhaupt Kim Jong Un vom Januar, den Nachbarstaat in der Verfassung als Erzfeind zu bezeichnen, ist nichts über interne Debatten oder Erklärungsversuche bekannt. Nicht einmal der Text der neuen Verfassung, in die im Oktober dieser Passus aufgenommen worden sein soll, wurde bisher über die staatliche Webseite Naenara veröffentlicht. Die alte Fassung ist wie viele andere Texte mit Bezügen zur koreanischen Wiedervereinigung einfach gelöscht worden. Es ist wahrscheinlich, dass auch im Norden Gewissheiten verlorengegangen sind und die Abkehr vom Süden eine Folge davon ist. Es überrascht nicht, dass Kim Jong Un mit der Hinwendung gen Russland eine dauerhafte und stabile Allianz sucht. Der Staatsbesuch von Wladimir Putin im Juni und der geschlossene Strategische Partnerschaftsvertrag unterstreichen dies.

Blackbox Nordkorea

Ungewissheit über die zukünftige Entwicklung erklärt auch das Ausbleiben der ursprünglich für den März erwarteten Wahlen zur Obersten Volksversammlung. In Pjöngjang pochte man anscheinend auf eine Ausnahmeregelung der Verfassung, derzufolge unter »unvermeidbaren« Umständen die Wahl auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben werden kann. 2014 und 2019 hatte man noch auf den Tag genau nach fünf Jahren gewählt. 2023 wurde dann per Gesetz der Wettbewerb um Abgeordnetensitze forciert, und es müssen sich nun zwei Kandidaten in einer Vorwahl dem Votum der Bevölkerung stellen – wenn auch nur in einer nicht definierten Anzahl von Wahlkreisen. Bei den Regionalwahlen im November 2023 waren zum ersten Mal seit 50 Jahren Gegenstimmen anerkannt worden. Die Wahlen 2024 hätten dann auch entsprechenden Unmut widerspiegeln müssen. Die Bevölkerung über Monate hinweg für den Wahlprozess zu mobilisieren, hielt man angesichts der zunehmenden militärischen Spannungen anscheinend nicht für vertretbar. Schließlich hatte der südkoreanische Präsident seinem nördlichen Nachbarn mehrmals mit Vernichtung gedroht.

Die Neubesetzung von zwei Spitzenämtern im Juni, die mit der gesellschaftlichen Organisation und der Sozialpolitik des Landes betraut sind, versprach eine Öffnung im Einklang mit der Änderung des Wahlrechts. Die ehemalige Vorsitzende des Frauenverbandes, Kim Jong Sun, wurde zur Leiterin der Parteiabteilung für gesellschaftliche Organisationen befördert und gehört damit zu den wenigen Frauen auf der höchsten Ebene. Vizepremier Kim Song Ryong, der bis dahin die Regierung bei Sportereignissen und anderen gesellschaftlichen Anlässen vertrat, wurde ebenfalls ausgewechselt. Auswirkungen dieser Entwicklung sind bisher jedoch nicht ersichtlich.

Gleichzeitig hüllt sich die Arbeiterpartei auch über Treffen hoher Parteifunktionäre in Schweigen. Seit Juli ist nicht mehr über die Sitzungen des Politbüros berichtet worden. Das obligatorische Foto, das normalerweise veröffentlicht wurde, ließ sonst bereits über die Teilnehmenden Schlüsse zu, was Thema der Besprechungen war. Alles deutet jedoch darauf hin, dass das Gremium unter kompletter Geheimhaltung tagt. Das für Ende Dezember angekündigte Treffen des Zentralkomitees könnte also wie schon 2023 für eine weitere wichtige Kurswende genutzt werden. Eine erneute Änderung der Verfassung ist bereits für Ende Januar angekündigt.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (18. Dezember 2024 um 20:49 Uhr)
    Zukunft gibt es nur dort, wo es genug Kinder gibt! Ich stimme dem Artikel nicht uneingeschränkt zu, insbesondere in Bezug auf die angeführten Beweismittel. Meiner Meinung nach prägt nicht nur das Jahr 2024 die Situation, sondern vor allem der grundlegende Umstand, dass der viel gepriesene kapitalistische Süden unfähig ist, sich selbst fortzupflanzen. Aktuelle Daten zeigen, dass die Fertilitätsrate des Landes im Jahr 2023 auf 0,72 gesunken ist – der weltweit niedrigste Wert. Für 2024 wird ein weiterer Rückgang auf unter 0,7 prognostiziert. Diese Entwicklung hat gravierende demografische und gesellschaftliche Konsequenzen für Südkorea und gleicht einer schleichenden Selbstzerstörung. Das Land hat sich damit freiwillig und demokratisch seiner eigenen Zukunft beraubt. Wozu braucht es einen Staat, der nicht nur sich selbst zugrunde richtet, sondern durch umweltzerstörerische Aktivitäten auch die Welt belastet?

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