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Aus: Ausgabe vom 19.12.2024, Seite 8 / Inland
Böllerverbotszonen an Silvester

»Es wirkt wie Klassenkampf von oben«

Zum Jahreswechsel soll es in mehreren Städten Böllerverbotszonen geben. Verband widerspricht. Ein Gespräch mit Felix Martens
Interview: Gitta Düperthal
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In Wahrheit Proletkult? Menschen feuern sogenannte römische Lichter vom Gehweg ab (Berlin, 1.1.2020)

Sogenannte Böllerverbotszonen soll es zum Jahreswechsel etwa in Hannover, Köln, München, Bremen und Erfurt geben. Wer solche Verbote für die Silvesternacht fordert, sei »getrieben von Intoleranz und dem Verlangen nach totaler Ruhe und Ordnung«, kritisiert Ihr Verband. In einer Mitteilung ist die Rede von Kulturgut. Weshalb messen Sie Feuerwerk diese Bedeutung bei?

Feuerwerk war in vergangenen Jahrhunderten ein Privileg der Aristokratie, Ausdruck von Macht und Herrschaft. Mit dem 19. Jahrhundert eignete es sich zunächst das Bürgertum, später die Arbeiterklasse als Kleinfeuerwerk zum Selberzünden an. Historisch gesehen ist es eine emanzipatorische Kulturpraktik. Durch das kollektive Feuerwerk an Silvester entsteht für kurze Zeit ein sozialer Resonanzraum, der Menschen verschiedenster Milieus zusammenbringt. Solche Momente sind in kapitalistisch geprägten Gesellschaften der Spätmoderne selten und von hohem Wert.

Bei Verstößen gegen die Böllerverbote sollen offenbar in Zwickau Geldstrafen von bis zu 50.000 Euro verhängt werden. Welche Gesetzgebung befürworten Sie?

Wichtig ist, in Prävention zu investieren: Jugendlichen gilt es klarzumachen, wie gefährlich das Hantieren mit verbotenem Feuerwerk ist; und wie verantwortungsbewusster Umgang mit geprüftem legalem Feuerwerk funktioniert.

Umweltverbände kritisieren den Feinstaub und den Müll, Tierfreunde den Lärm und Rettungsdienste das Verletzungsrisiko bis hin zu verlorenen Gliedmaßen. Können Sie solche Argumente einfach vom Tisch wischen?

Vor allem die sogenannte Deutsche Umwelthilfe und die Gewerkschaft der Polizei führen seit 2018 eine erbitterte Kampagne gegen Feuerwerk. Umwelteinflüsse werden enorm verzerrt. 2021 veröffentlichte das Umweltbundesamt eine Studie, wonach der Feinstaub weniger als die Hälfte der bisher angenommenen Menge beträgt. Das Silvesterfeuerwerk trägt zum jährlichen CO2-Ausstoß nur 0,00013 Prozent bei. Der tatsächliche Motor der Verbotsforderungen sind bürgerlich-konservative Vorstellungen von Sauberkeit und Ordnung – ein urdeutsches Verlangen. Für diese puritanistisch geprägten Milieus ist es schier unerträglich, wenn es einmal im Jahr lebhaft auf den Straßen zugeht.

Es gibt Berichte vom Silvester 2023/24 aus Koblenz, wo ein 18jähriger beim Zünden eines Böllers starb. Ebenso aus Boxberg, wo ein 22jähriger beim Zünden einer verbotenen Kugelbombe getötet wurde.

Notaufnahmen verzeichnen, dass übermäßiger Alkoholkonsum sowie daraus resultierende Streitigkeiten und Unfälle für über 95 Prozent der Verletzungen zu Silvester sorgen. Einzelne schwere Unfälle durch illegal verbreitete Pyrotechnik für eine Kampagne zu instrumentalisieren, ist ethisch mindestens fragwürdig. Verbotenes kann man nicht bekämpfen, indem man die Verwendung von legalem und sicherem Feuerwerk kriminalisiert. Jedes Verbot muss umgesetzt werden. In Berlin werden ganze Kieze mit martialischem Polizeiaufgebot besetzt – oft in migrantisch geprägten Gebieten. Wir wissen um die Rassismus- und Gewaltprobleme der Polizei. Fragt sich: Gegen wen werden da zur Silvesterfeier militärisch hochgerüstete Sicherheitsapparate losgeschickt? Es wirkt wie Klassenkampf von oben.

Vertritt Ihr Verband etwa keine Unternehmensinteressen?

Der Großteil unserer 2.000 Mitglieder sind Privatpersonen mit Interesse an Feuerwerkskunst als Kulturgut – nur wenige gehen auch gewerblich mit Feuerwerk um. Wirtschaftslobbyismus für die Branche betreibt der Verband der pyrotechnischen Industrie.

Wäre es sinnvoll, wenn Fachleute Feuerwerk öffentlich zünden – und es nicht mehr von privater Hand geschieht?

Beide, das Feuerwerk zum Selberzünden und das zentral veranstaltete, haben ihre Daseinsberechtigung. Zentral durch staatliche Autoritäten durchgeführte Feuerwerke sind aber etwas anderes als die gemeinsame weitgehend kontrollierte Ekstase zum Jahreswechsel. Sie ist Teil von vielen Festen auf der ganzen Welt.

Felix Martens ist Soziologe und Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk (BVPK) e. V.

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  • Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (19. Dezember 2024 um 11:48 Uhr)
    Dieser alljährlichen Perversion, Geld buchstäblich zu verpulvern, das Mäntelchen des Klassenkampfes umzuhängen, das ist nicht zu toppen. Schwer zu glauben, dass der Interviewte den Blödsinn ernst meint, den er von sich gibt. Das kollektive Feuerwerk als sozialen Resonanzraum zu bezeichnen, der Menschen verschiedenster Milieus zusammenbringt, ist purer Zynismus, der noch dazu als hoher Wert im Kapitalismus verkauft wird (ja, als Verkaufswert). Ist doch schön, wenn benachteiligte »Milieus« ihr sauer verdientes Geld in heiße Luft verwandeln und dabei das Gefühl haben dürfen, eins zu sein mit dem bourgeoisen Gesindel, das sein Großfeuerwerk mit dem Geld abbrennt, das andere erwirtschaftet haben, und dabei mit diesen anderen so gar nicht eins ist.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (19. Dezember 2024 um 08:57 Uhr)
    »Klassenkampf von oben« ist gewiss noch ein wenig zu tief gestapelt. Dass es zu Silvester (und an den Tagen davor und danach) in Deutschland gewaltig krachen und rummsen kann, ist mindestens ein gottgegebenes Menschenrecht. Eben Knallkopfkultur auf höchstem Niveau. Akustische Umweltverschmutzung und Verschmutzung der Atemluft kann man da gewiss ausblenden. Genauso, wie die Zahl der sinnlos Verschreckten und Verletzten. Liebe jW: Die wirklich entscheidenden Klassenkämpfe finden an ganz anderer Stelle statt!
  • Leserbrief von Lothar Böling aus Düren (18. Dezember 2024 um 23:21 Uhr)
    Wer etwas Gutes und Sinnvolles für sich und die Umwelt tun will, sollte auf Feuerwerk verzichten. Ohne Einsicht bei den Betroffenen zu wecken, geht dies allerdings nicht. Man spart nicht nur Geld, sondern schützt auch die eigene Lunge vor Feinstaub und die Ohren seiner Mitmenschen und deren Haustiere vor gesundheitsschädlichem Lärm. Von den vielen unnötig Verletzten in den überlasteten Notaufnahmen der Krankenhäuser und die späteren Herzinfarkte durch Feinstaub, ganz zu schweigen. Zudem sollte die Arbeiterklasse nicht den Schwachsinn der Aristokraten übernehmen. Denn um nichts anderes handelt es sich, wenn man Geld, wie im Krieg, völlig sinnlos in Explosionen und Pulverdampf verwandelt. Jegliche Form der Selbstverwirklichung mittels Knallkörpern ist daher abzulehnen. Wer den bürgerlichen Sumpf trocken legen will, sollte meiner Meinung nach nicht die Knallfrösche fragen.

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