Mehr in der Birne
Von Ronald Kohl»Es liegt an dir, Chéri«, Regie: Florent Bernard, Frankreich 2024, 103 Min., Kinostart: heute
Sandrine (Charlotte Gainsbourg) und Christophe (José Garcia) sind nach über 20 Jahren unter einem Dach mit ihrer Beziehung am Ende. Nur weiß Christophe davon noch nichts. Wie sollte er auch, wo er doch immer alles richtig macht? Jeden Tag schuftet er in einer Autovermietung und ärgert sich dort mit der Technik und den Menschen herum, beispielsweise mit einer Kundin, die wutentbrannt den geliehenen Wagen abliefert und keift, dass sie nie wieder ein Auto mit Automatikschaltung haben wolle. – »Madame, das ist kein Auto mit Automatikschaltung.«
Kann man es so einem Mann verübeln, dass er niemals seine Mailbox abhört, die ohnehin nichts anderes ist als der verlängerte Einkaufszettel seiner Frau? – Wohl kaum. Und diesen Eindruck will »Es liegt an dir, Chéri« (Regie: Florent Bernard) auch ganz bestimmt nicht vermitteln. Der Film ergreift keinerlei Partei. Er beschreibt die unerwartete Verschnaufpause auf dem Weg in den endgültigen Zerfall der Familie. Doch dazu später. Auf jeden Fall versäumt es Christophe also mal wieder, das ach so dringend benötigte Fischfutter zu besorgen, und ausgerechnet das bringt nun das Fass zum Überlaufen. Ein überaus realistisches Szenario.
Wenn es auch triftige Gründe für immer mehr Frauen über 50 geben mag, ihren Mann zu verlassen, greifbar müssen diese deshalb noch lange nicht sein – dafür sind sie aber oft um so leichter zu formulieren: »Es liegt an dir«, erhält der fassungslose, sich keiner Schuld bewusste Christophe als Antwort, als er Sandrine nach dem Beweggrund ihrer Entscheidung fragt. Da man sich selbst als Grund schlecht eliminieren kann, bittet Christophe um das einzige, was ihm noch möglich erscheint: um einen Hinrichtungsaufschub, ein letztes gemeinsames Wochenende mit der Familie. Danach, das verspricht er hoch und heilig, wird er jede Entscheidung seiner Frau akzeptieren. Sandrine willigt ein, weil sie genau weiß, dass er es verkacken wird. Die Kinder, beide stehen vor dem Abitur, sind mit von der Partie, sie haben ohnehin nichts besseres vor an diesem Wochenende, und außerdem tut ihnen ihr Vater leid; der Entschluss der Mutter ist ihnen längst bekannt. Ihre Reaktion darauf war eher gleichgültig.
So biegt dieses anfängliche Beziehungsdrama nun in Richtung Roadmovie ab. Die Ziele der Reise bestimmt ausschließlich Christophe. Da seine Tage als Familienoberhaupt ohnehin gezählt sind, darf er noch einmal den Chef spielen. Doch wo auch immer er die kleine Reisegesellschaft hinführt, ständig entgleitet ihm die Situation, egal ob sie nun die erste gemeinsame Wohnung des damals noch blutjungen Paares besucht oder ganz romantisch in einer Karaokebar zu Abend ißt. In jener Wohnung, zu Gast bei Wildfremden, hinterlässt Christophe ein Feld der Verwüstung. Und als Sandrine ihm in der Karaokebar den Vorschlag unterbreitet, vielleicht doch weiterhin zusammenzuleben, aber eben nicht als richtiges Paar, stürmt Christoph auf die Bühne und singt ein Chanson mit eigenem, improvisiertem Text, den ich recht lustig fand. Dennoch beendet dieser Auftritt das gemeinsame Wochenende auf der Stelle; er offenbarte zu viele Wahrheiten. Nur beantwortete er nicht die Frage, warum Sandrine ihrer beider Beziehung so sehr überdrüssig ist.
Warum also? Auch in dieser Frage zeichnet »Es liegt an dir, Chéri« ein absolut realistisches Bild. Denn anders als Männer, die sich häufig in »eine Jüngere« verlieben, verlassen Frauen ihre Familie in den seltensten Fällen, weil es »einen anderen« gibt. Bei Sandrine werden wir zwar kurz auf die falsche Fährte gelockt, doch es stellt sich schließlich heraus, dass es ihr Schwiegervater war, mit dem sie heimlich telefoniert hat. Und auch wenn jede Art von amouröser Annäherung zwischen den beiden völlig ausgeschlossen ist, kapiert der Zuschauer doch sofort, einen Mann wie ihn hätte Sandrine niemals sitzenlassen: Er hat ganz einfach wesentlich mehr in der Birne als sein Sohn.
Wer jetzt glaubt, sich den Film nicht anschauen zu müssen, weil ich alles verraten habe, liegt natürlich völlig falsch. Ich bin doch kein Idiot!
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