Täuschgeschäfte
Von Niki UhlmannEin CMO ist kein neuartiger Virus. Das Kürzel steht für Chief Marketing Officer und bezeichnet den Leitungsposten für Werbung und Marketing eines Unternehmens. Virulenz ist aber durchaus das Ziel dieser Leute. Denn CMOs sind verantwortlich für die Bekanntheit von Marken und Produkten. Einige hundert von ihnen befragt das House of Communication, ein Verbund von Werbeagenturen, jährlich. In diesem CMO-Barometer 2025 war Ende November zu erfahren, wie im kommenden Jahr Güter zu Markte getragen werden sollen.
Das Gros der Befragten stammt aus Zentraleuropa, ist also nicht repräsentativ für die gesamte Branche. Der erste Befund ist ernüchternd: Mehr als die Hälfte der CMOs gab an, ihr Geschäft werde im kommenden Jahr stagnieren. Auch das Budget bleibe weitgehend dasselbe, prognostizieren die Werbefachleute. Wie dennoch höchst effizient vermarktet werden soll, verraten die erfragten »heißen Themen« des kommenden Jahres: Mit Abstand führt dort mit 32 Prozent künstliche Intelligenz (KI). Rang zwei belegt Nachhaltigkeit (elf Prozent).
Nun ist KI alles andere als eine umweltschonende Technologie: Auf ihr Konto gehen laut der Berliner Organisation Algorithmwatch jährlich zwei bis vier Prozent der globalen CO2-Emissionen. Derlei Widersprüche kümmern die Werbebranche für gewöhnlich nur, wenn es gilt, sie zu kaschieren: Bei »Greenwashing« hilft die KI bestimmt. Schließlich verlaufe die ökologische Transformation »viel langsamer als vorgesehen«, wird Ewoud Van Der Heyden, CMO der BMW Group Belux, zitiert. Unternehmen hätten »zuviel investiert« und staatliche Vorgaben bald »hohe Geldstrafen« zur Folge.
Wichtigstes Vermarktungsinstrument ist wie im Vorjahr schon die Auswertung der Daten von »Kunden«. Die sollen aber künftig vermehrt direkt gewonnen werden. »First-party data« heißt das dann und mutet an wie eine Forderung nach engmaschiger Überwachung. Für die Werbemanager ist außerdem die »Kundenreise« entscheidend. Heißt: Der Werbung ausgesetzte »Kunden« werden durchleuchtet, um ihnen ein Markenuniversum zu schaffen, in dem sie sich durch personalisierten Konsum selbst bestätigen können.
Vor allem muss es sich aber lohnen, zumal die selbstprognostizierte Stagnation strenges Haushalten gebieten dürfte. Folglich pochen die Werbefuzzis auf Vermarktungsrentabilität, die im Vorjahr nicht ähnlich gewichtet wurde. Möglicherweise gab es da noch keine Erfolgsbemessung? Manch irrsinnige Werbekampagne würde es erklären. Im Umkehrschluss darf die »Kundschaft« sich vielleicht sogar freuen, dass ihr im letzten Winkel der Privatsphäre nicht auch noch etwas verkauft werden soll.
Um die auf Schein bedachten CMOs auch selbst zur Geltung kommen zu lassen, fragt das Barometer dann nach ihrer »Superkraft«: Welche Fähigkeiten seien wichtig, um das eigene Unternehmen erfolgreich zu bewerben? Die Antworten fallen bezeichnend vage wie selbstgefällig aus: Offenheit (51 Prozent), vernetzendes Denken (15 Prozent) und Agilität (14 Prozent) führen die Liste an. Wichtig sei auch, sich selbst herauszufordern, zu »analysieren, was funktioniert, was nicht funktioniert, und zu reagieren«, wusste Lucile Bresson, »Export & Travel Retail Marketing Manager« bei Laboratoire Puressentiel. Von ihren Agenturen erwarten sie vor allem Kreativität (80 Prozent), Innovation oder neue Ideen (67 Prozent) und Proaktivität (61 Prozent).
Spätestens bei diesen voneinander wenig zu unterscheidenden Kategorien macht sich die fragwürdige Methodik des CMO-Barometers bemerkbar. Das Barometer als pseudowissenschaftliche Selbstbeweihräucherung zu beurteilen wäre aber zu einfach. Schließlich haben Konzerne die von CMOs gesteuerte Massenmanipulation wissenschaftlich perfektioniert. Aufgrund ihres Erfolgs ist sie längst zum Geschäftszweig geworden. Schon die Frankfurter Soziologen Theodor Adorno und Max Horkheimer beschrieben die Wirkung der Kulturindustrie Mitte des letzten Jahrhunderts als »Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis«. Werbung macht weiterhin dumm – nicht nur ihre Macher.
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