Streit um Schleier
Von Knut MellenthinDie Nachrichtenlage ist so unzulänglich wie oft, wenn es um iranische Innenpolitik geht. Gesichert ist: Es wird wieder einmal heftig über die Hidschab-Pflicht gestritten – wie ständig seit deren Einführung im Jahr 1981. Das findet international gerade um so größere Aufmerksamkeit, als am Wochenende die Sängerin Parastu Ahmadi wegen eines Youtube-Videos vorübergehend verhaftet worden war. Darin ist sie ohne Kopfdeckung in westlichem Kleid bei einem Konzert zu sehen, womit sie gleich mehrere Sakrilegen begeht. Fest steht mit Blick auf die »Schleier«-Debatte nämlich auch, dass die Spiegel-online-Überschrift vom Montag, »Irans Präsident will umstrittene Kopftuchpflicht kippen«, dummes Zeug ist.
Der seit dem 28. Juli amtierende Präsident Massud Peseschkian hat nicht ernsthaft die Absicht, die Hidschab-Pflicht zu kippen, so gern er das wahrscheinlich tun würde, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben wären. Zumindest hat er im Juni in den Fernsehdiskussionen der Kandidaten zur Präsidentschaftswahl so argumentiert. Wahr scheint: Peseschkian hat am Dienstag ein Gesetz blockiert, an dem im Parlament schon seit unbekannt langer Zeit gearbeitet wird und dessen erster Entwurf am 27. Juli während der mehrtägigen Feierlichkeiten zu Peseschkians Amtseinführung veröffentlicht wurde. Viele westliche Medien behaupten, die »Pausierung« der Arbeit an dem Gesetz, das eigentlich diesen Freitag in Kraft treten sollte, sei im Nationalen Sicherheitsrat beschlossen worden. Ganz sicher ist das nicht. Plausibel ist die allgemeine Annahme, dass das Gesetz damit noch nicht gescheitert sei, sondern lediglich dessen Kritiker mehr Beratungszeit gewonnen haben.
Inhalt des Gesetzentwurfs ist nicht etwa die Hidschab-Pflicht als solche, die nicht in Frage gestellt wird, sondern nur deren verschärfte Durchsetzung durch die verschiedenen mehr oder weniger staatlichen Repressionsorgane. Härter als bisher sollen wiederholte Verstöße bestraft werden. Am härtesten soll es Frauen mit einem hohen Bekanntheitsgrad und/oder großem Einfluss über die »sozialen Netzwerke« treffen, die den staatlich angeordneten Dresscode nicht beachten oder sich diesem ausdrücklich widersetzen. Die Rede ist von Berufsverboten, Bußgeldern bis zu fünf (oder nach manchen Berichten sogar zehn) Prozent des Vermögens und schlimmstenfalls Haftstrafen bis zu zehn Jahren.
Seit der Einführung des Dresscodes nach der »Islamischen Revolution« hat dieser ebenso wie die Formen seiner Durchsetzung mehrfache Wandlungen durchlaufen. Im Iran ist üblich, dass sich »konservative« und »moderate« Präsidenten nach acht Jahren oder in kürzeren Intervallen abwechseln. Obwohl zum Beispiel Mahmud Ahmadinedschad (2005–2013) das Etikett eines »Hardliners« angeheftet wurde, kratzte er vor allem mit persönlichen Gesten an der Hidschab-Pflicht und anderen Beschränkungen, die dem weiblichen Teil der iranischen Bevölkerung auferlegt werden.
Sein Nachfolger Hassan Rohani (2013–2021) war nach iranischen Maßstäben ein »Zentrist«, der sich einen »moderaten« Anstrich geben wollte. In seiner Amtszeit wurde im Dezember 2017 nicht so sehr der Dresscode selbst, aber der Umgang mit diesem geändert: Statt Frauen, die dagegen verstießen, zunächst in Haftzentren zu schaffen und später zu verurteilen, sollte bevorzugt »Erziehung statt Strafe« praktiziert werden. Wer mit »unkorrekter« Bekleidung von den konkurrierenden »Sittenpolizeien« erwischt wurde, wurde zur Teilnahme an »Aufklärungskursen« über das angeblich vom Islam gebotene Verhalten verpflichtet. Diese »Erleichterung« soll mit dem neuen Gesetz zurückgedreht werden.
Am Dienstag griff »Revolutionsführer« Ali Khamenei in den Streit mit einer richtungsweisenden Ansprache an ein ausschließlich weibliches Publikum ein. Er appellierte an die Frauen des Iran, den »Verlockungen« und »heimtückischen Methoden« der Feinde des Landes zu widerstehen, die unter dem Vorwand der Verteidigung der Frauenrechte »Störungen« verursachen und »Aufstände« in Gang bringen wollten. Seine konkrete Haltung zu dem umstrittenen Gesetz ließ Khamenei offen. Der Sängerin Ahmadi wird die Kritik am »Schleier«-Gesetz wohl wenig helfen. Sie muss mit einer Anklage rechnen.
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