»Das ist für die Kollegen eine Zumutung«
Interview: Nico PoppAm Montag hat der Geschäftsführer des Oettinger-Konzerns den wenigen noch in Gotha verbliebenen Beschäftigten mitgeteilt, dass demnächst die Arbeitsplätze in Thüringen wegfallen. Sie haben das Vorgehen »perfide« genannt. Warum?
Nachdem die 2022 von Oettinger überraschend angekündigte Schließung der Brauerei in Gotha glücklicherweise verhindert wurde, indem die Münchner Paulaner-Brauerei die Produktion und die Logistik mit allen rund 170 Beschäftigten übernommen hat, arbeiteten in Gotha zunächst noch 23 – und jetzt 16 – Mitarbeiter von Oettinger. Das waren Büromitarbeiter in den Bereichen Verkauf und Export. Für sie bestand eine Beschäftigungsgarantie bis zum 31. Dezember 2024. Bei einer Betriebsversammlung am 16. Dezember hat der eigens angereiste Geschäftsführer von Oettinger die Kolleginnen und Kollegen nun davon in Kenntnis gesetzt, dass ihre Arbeitsplätze zum 1. April 2025 nach Oettingen verlegt werden. Das war verbunden mit dem »Angebot«, dass die Kolleginnen und Kollegen mit nach Oettingen gehen. Für die Kollegen, die teilweise schon in der DDR in der Brauerei in Gotha gearbeitet haben, ist das eine Zumutung. Perfide nenne ich, dass nach dieser Ankündigung in der Betriebsversammlung noch einige Mitarbeiterinnen für ihre bis zu 40jährige Betriebszugehörigkeit geehrt wurden.
Wie haben die Beschäftigten reagiert?
Die sind sauer, teilweise auch geschockt. Die Leute haben ihren Lebensmittelpunkt und ihr familiäres Umfeld in Gotha und sollen nun mit 55 oder 60 Jahren nach Bayern ziehen, um nicht in die Erwerbslosigkeit zu gehen. Der Betriebsrat wurde im Vorfeld nicht über diese Pläne informiert.
Wie geht die NGG damit um? Die Vermutung liegt ja nahe, dass es hier letztlich um den Abbau dieser Arbeitsplätze geht.
Klar, ich gehe auch davon aus, dass die Geschäftsführung nicht ernsthaft damit rechnet, dass diese Beschäftigten alle oder auch nur mehrheitlich nach Oettingen umziehen. Wir stellen jetzt einen Fragenkatalog zusammen, den der Arbeitgeber beantworten muss. Wir betrachten das als eine Teilbetriebsstillegung, und in so einem Fall muss es einen Interessenausgleich beziehungsweise einen Sozialplan geben. Oettinger sieht das offenbar anders und spricht von einer Versetzung, weil Arbeitsplätze in Oettingen angeboten werden. Aber selbst dann, wenn einzelne Kollegen sagen, sie gehen nach Oettingen, müssen die damit zusammenhängenden Fragen geklärt werden. Zum Beispiel die, wer die Kosten dafür übernimmt. Die Kollegen machen das ja nicht aus freien Stücken.
Derzeit stehen quer durchs Land Betriebe auf der Kippe, tausende Arbeitsplätze gehen verloren. Da sagt vielleicht manch einer: Das ist kein großes Drama in Gotha.
Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz. Da hängen immer Familienschicksale dran. Gerade in so einem Fall wie in Gotha, wo den Leuten kurz vor Weihnachten gesagt wird: Übrigens, Ende März ist Schluss, aber ihr könnt gerne nach Oettingen kommen. Und das in einer Zeit, in der es problemlos möglich wäre, diese Büroarbeit auch im Home Office zu erledigen. Bei der Betriebsversammlung haben Kollegen dem Geschäftsführer genau das angeboten, falls es ihm um das Einsparen der Büromiete geht.
Wieso macht Oettinger eigentlich in Gotha vollständig das Licht aus? Es gibt ja auch noch die drei Standorte in Westdeutschland.
Die aktuellen Pläne bedeuten tatsächlich den Rückzug aus Ostdeutschland. Bezeichnend ist, dass man im Internetauftritt von Oettinger keine Spur mehr vom einstigen Standort Gotha findet. Die gesamte Geschichte des Unternehmens ist komplett bereinigt worden – als hätte es nie einen Standort in Gotha gegeben. Dabei ist Oettinger erst mit der Übernahme der Gothaer Brauerei Anfang der 90er Jahre zu einem großen bundesweiten Anbieter geworden. Vorher war das eine Regionalbrauerei. Die weiteren Standorte in Westdeutschland kamen erst später hinzu. Der einstige Firmenchef Dirk Kollmar, der 2014 in Gotha verstorben ist, hat in der Stadt viel bewegt und war sehr eng mit der Gothaer Brauerei verbunden. Das ist bei der verbliebenen Eigentümerfamilie anders.
Jens Löbel ist Geschäftsführer der Gewerkschaft NGG in Thüringen
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