Vorauseilende Absagen
Von Kristian StemmlerDiese Statistik dürfte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der das Land unbedingt »kriegstüchtig« machen will, nicht gefallen: Seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 ist die Zahl der Kriegsdienstverweigerer stark angestiegen, weil offenbar immer weniger Männer und Frauen bereit sind, sich im Ernstfall als Kanonenfutter herzugeben. Allein in diesem Jahr haben bis Ende Oktober 2.468 Menschen einen entsprechenden Antrag gestellt, wie Bild online am Donnerstag abend unter Berufung auf einen Ministeriumssprecher berichtete. Das sind 50 Prozent mehr als 2023 (1.609) und elfmal so viele wie 2021 (209), also vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine.
Unter den Kriegsdienstverweigerern sind auch aktive Soldaten, allerdings vergleichsweise wenige. Für dieses Jahr beläuft sich deren Zahl bis zum Stichtag auf 136, seit Februar 2022 insgesamt 549. Verantwortlich für den Anstieg sind vor allem Reservisten und »Ungediente«, bei denen der Krieg im Osten offenbar die Befürchtung geweckt hatte, doch noch zum Dienst an der Waffe gerufen und an die Front geschickt zu werden. Laut Ministerium wurden bis Oktober 840 Anträge von Reservisten und 1.492 »Ungedienten« gezählt, 2021 waren es nur zehn bzw. 23.
Bei Bild sorgt man sich vor allem um die aktiven Soldaten und Reservisten, die nach dem Februar 2022 den Kriegsdienst verweigert hatten. Es würden »oftmals die Falschen rekrutiert«, die Werbekampagnen der Bundeswehr versprächen »einen angenehmen Wohlfühljob«, doch eine Armee brauche »Kämpfer«, zitiert das Blatt den Militärhistoriker und Reserveoffizier Matthias Strohn, der an der englischen Privatuniversität Buckingham lehrt.
Am Freitag befasste sich der Bundesrat mit dem Wehrdienstmodell von Pistorius, mit dem unter anderem eine Auskunftspflicht für junge Männer über ihre Bereitschaft zum Wehrdienst eingeführt werden soll. Derzeit dienen rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten beim Militär, dazu kommen rund 60.000 Reservisten. Das ist dem Ministerium deutlich zu wenig. Die offiziell von der Bundeswehr angestrebte Personalstärke zum Anfang des kommenden Jahrzehnts liegt bislang bei 203.000. In der Fragestunde des Bundestages am Mittwoch hatte Pistorius davon gesprochen, die Zahl von wahrscheinlich eher 230.000 Soldaten und Soldatinnen anzustreben, wie der Journalist Thomas Wiegold am Mittwoch nach der Ausschusssitzung auf augengeradeaus.net berichtete. Das hänge mit den Planungen der NATO zusammen. Zu dieser aktiven Truppe kämen noch Reservisten hinzu.
Das Verteidigungsministerium legte demnach Wert auf die Feststellung, dass der Minister sich mit seiner Aussage in der Regierungsbefragung nicht festgelegt habe. So müssten die »Minimum Capability Requirements«, also die Mindestanforderungen an die militärischen Fähigkeiten eines Bündnispartners, erst noch unter den NATO-Mitgliedern abgestimmt werden. Pistorius habe nur ein Beispiel genannt, in welche Richtung es gehen könnte, sagte ein Sprecher.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (23. Dezember 2024 um 17:05 Uhr)Jedem der 2.468 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung ist Erfolg zu wünschen, es bräuchte allerdings viel mehr, um den Regierenden einen Denkzettel zu verpassen. Und der ist angesichts der herrschenden Ignoranz dringend notwendig. Ein Papier der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages (Aktenzeichen WD 2 – 3000 – 083/20) weist darauf hin, dass die Aggressionsdefinition der UN-VV Res.Nr. 3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974 »Bestandteil des Bundesrechts« sei. Die UN legen da u. a. fest, dass der Ersteinsatz von Waffen Zeichen für Aggression durch den Ersteinsetzenden sei. Das ist leicht gesagt. Im Ukraine-Krieg hat nun keiner untersucht, wer für die Eskalation seit Mitte Februar 2022 verantwortlich war. Eines ist allerdings klar: Von russländischer Seite gab es da noch keinen Waffeneinsatz. Als Aggressoren kommen also die Westukraine oder die Ostukraine in Frage, nicht aber Russland. Die Frage ist dabei auch: Wann ist ein Staat ein Staat mit Selbstverteidigungsrecht? Das Papier der Wissenschaftlichen Dienste ignoriert dieses Problem und arbeitet auch nicht die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Verteidigung aus. Es wird zwar korrekt auf das Problem der Gewaltschwelle verwiesen, ab der Gewalt als Aggression wertbar ist. Das ist im Donbasskrieg allerdings nicht das Problem. 2.000 Waffenstillstandsverletzungen an einem Tag, da kann man nicht mehr von einem nebensächlichen Scharmützel reden. Das Papier enthält noch weitere Mängel, wenn etwa im »Konfliktfall zwischen Völkergewohnheitsrecht und nationalem Recht« die Möglichkeit einer nationalen Grauzonendefinition unterschlagen wird. Aufgrund so einer Blindheit mit Hurra in den Krieg geschickt zu werden (CDU-Merz: »Frieden gibt es auf jedem Friedhof«), das ist aus meiner Sicht keinem Wehrpflichtigen zuzumuten. Dass das BVerfG eine situationsbedingte Kriegsdienstverweigerung nicht zulassen will, muss sich ändern. Der Bonner Kommentar zum Grundgesetz zufolge wird so etwas auch von gestandenen Rechtsgelehrten gefordert.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (20. Dezember 2024 um 21:21 Uhr)Wie wäre es mit einer digitalen Klonfabrik für Pistoriusse? Damit es nicht zu lanweilig wird könnte man noch ein paar Modelle hinzunehmen: Strack-Zimmermann, ... . Vielleicht unterstützt BioNTec die Sache? Basismaterial dürfte genügend zur Verfügung stehen, bei Tönnies zum Beispiel.
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