»2024 ist ein bitteres Krankenhausjahr«
Interview: Marc BebenrothIn Bayern fordert der Landkreistag vom Gesundheitsministerium eine Lösung für die Kliniken, mit der »es weder eine Kannibalisierung um lukrative Arztleistungen gebe, noch eine dramatische Unterversorgung bei nichtlukrativen Leistungen und der Notfallmedizin«, wie der BR am Mittwoch berichtete. Wie kann eine solche Lösung aussehen?
Aus wirtschaftlichen Gründen werden viele Allgemeinkrankenhäuser mit Basisnotfallversorgung privatisiert und in lukrative Fachkliniken umgewandelt. Nicht lukrativ sind dagegen wegen höherer Vorhaltekosten kleine Allgemeinkrankenhäuser mit den benötigten Fachrichtungen Innere Medizin, Chirurgie, Geburtshilfe, Intensivmedizin und Basisnotfallversorgung. Wir fordern, dass dieser für lebensbedrohliche Erkrankungen oder Verletzungen notwendige Standard in Bayern flächendeckend binnen 30 Fahrzeitminuten erreichbar sein muss. Gesundheitsministerin Judith Gerlach sowie der bayerische Gesundheitsausschuss lehnen einen solchen Mindeststandard leider ab und verweisen auf die Zuständigkeit der finanziell völlig überlasteten Kommunen.
Offenbar geht die Regierung davon aus, dass sich die Klinikleitungen untereinander verständigen, wer künftig welche Leistungen anbietet. Welche Folgen hätte das?
Die Träger entscheiden über ihr Leistungsangebot oft aus ökonomischen Gründen, konkret zur Vermeidung tiefroter Jahresergebnisse. Maßgeblich ist jedoch der klinische Behandlungsbedarf der Bevölkerung. Diesen zu sichern ist Aufgabe der Krankenhausplanung der Länder. Die Staatsregierung und Gesundheitsministerin Gerlach nehmen leider diese Aufgabe nur beratend wahr und akzeptieren im Zweifelsfall Klinikschließungen mit großen Versorgungslücken. Allein 2024 haben wir in Bayern bereits sechs Schließungen sowie zwei Teilschließungen zu verzeichnen. Zwei weitere Schließungen sind zum 31. Dezember vorgesehen.
Das Ministerium erklärt dem Bericht zufolge, dass eine Krankenhausplanung längst vorliege. Gemeint ist offenbar der sogenannte Siebenpunkteplan. Was halten Sie von diesem?
Alle bisherigen Pläne der Regierung haben lediglich die Entscheidungen der Klinikträger nachvollzogen. Das hat mit bedarfsorientierter Planung nichts zu tun. Insofern gibt es im Rahmen des Siebenpunkteplans durchaus Verbesserungen. Wir begrüßen zum Beispiel die bayernweite Datengrundlage als Entscheidungshilfe für Klinikträger, das bayernweite externe Gutachten zur Darstellung des aktuellen Versorgungsbedarfs, Leitplanken für die künftig vorzuhaltenden Leistungsangebote und die Finanzierung regionaler Struktur- und Umsetzungsgutachten. Wir kritisierten jedoch die fehlende Verbindlichkeit dieser Leitplanken. Es gibt nach wie vor kein Vetorecht der Regierung bei der Schließung bedarfsnotwendiger Krankenhäuser. Und: Der angestrebte Verzicht auf Rückforderung von Fördermitteln bei Nutzungsänderung von Krankenhäusern fördert die Bereitschaft der Träger für Schließungen. Das ist absolut kontraproduktiv.
Welche Bilanz ziehen Sie für 2024?
Die Aktionsgruppe »Schluss mit Kliniksterben in Bayern« hat über Projektstudien und Auswirkungsanalysen maßgeblich dazu beigetragen, dass die Bundesländer Lauterbachs erste Reformansätze mit Krankenhausleveln kippten. 40 Prozent der bayerischen Krankenhäuser und über 50 Prozent der bayerischen Geburtshilfen hätten zwangsweise schließen müssen. Auch sind wir stolz darauf, durch enorme Interventionen Klinikschließungen in Regenstauf und Schweinfurt verhindert zu haben. An der Grenze zu Bayern haben wir gemeinsam mit den örtlich Aktiven erreicht, dass das Krankenhaus Wertheim wiedereröffnet wird. Damit steht zukünftig wieder 49.800 Einwohnern ein wohnortnahes Allgemeinkrankenhaus mit Basisnotfallversorgung binnen 30 Fahrzeitminuten zur Verfügung.
Trotzdem ist 2024 ein bitteres bayerisches Krankenhausjahr. Zehn Teil- beziehungsweise Komplettschließungen sind definitiv zuviel. Neben Lauterbachs Fallpauschalen ist auch die investive Fehldeckung in Bayern dafür verantwortlich, dass 89 Prozent der bayerischen Krankenhäuser Defizite schreiben. Während der Coronapandemie versprach Ministerpräsident Markus Söder insbesondere den kommunalen maximale Unterstützung. Darauf warten die Krankenhäuser noch heute.
Klaus Emmerich leitete zwei Kliniken und ist Mitbegründer der Aktionsgruppe »Schluss mit Kliniksterben in Bayern«
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