Magdeburg
Von Peter WawerzinekErst ist da das Geräusch.Wir öffnen das Fenster zum Innenhof hin, nichts auszumachen. Manu ist in der Küche, ruft: Es ist hier! Wir gehen auf den Balkon, da steht ein Hubschrauber über uns. Dass so eine Maschine so lange so unbeweglich, außer Propellerdrehungen, so still am Himmel stehen kann – und steht und steht. Ich rede von Spezialmaschine, Wärmebildkamera, empfindliche Technik an Bord, wird größerer Unfall sein, eskalierende Demonstration oder technische Überwachung, wenn so ein Ding zum Einsatz kommt. Wir rauchen eine. Der Hubschrauber dreht, nachdem er eine halbe Stunde oder mehr dort gestanden haben könnte, ab. Als hätte unsere kleine Doppelglut der Zigaretten das fehlende Bild ergeben, das er brauchte, witzelt Manu liebevoll.
Und dann an der TV-Bildschirmwand wie damals, als Amerika seine Zwillingstürme verlor, gucken hören wir fassungslos + erfahren in Splittern Stück für Stück, was unmittelbar vor der Haustür vonstatten geht. Erste Bilder, verwirrende Kommentare. Um Poller geht es, um die eventuelle Lücke, die sich ergeben haben kann, kurze Sequenzen + ständige Wiederholungen von ersten Texten, Bildern, die sich festschreiben + bleiben werden, eigene Gedanken zur Lage und Ort, den Stadtplan im Kopf und das persönliche Wissen dazu – von wo das Auto gestartet ist, wie lange + wie weit es durch die Menschenmasse gerast sein muss, + Erinnerungen, wie wir dort gegangen sind, Richtung der beiden Jungen, mit denen wir zum Fußball gehen. Die wohnen noch viel näher dran und sind hoffentlich nicht dort gewesen. Schnell wird uns klar, wo das Auto losfuhr, und wir hoffen, so vor der Wahl im Lande, dass es kein Anschlag + kein Ausländer ist, denken aber auch nicht dran, einen Verwirrten anzunehmen bei der Sachlage. Hören schon die bekannten Parteien hetzen, denen es darum geht, Deutschland zu retten, zum first one zu erheben, das gefundene Fressen, und ja, sie können abwarten und werden dann die nächsten Tage voll loslegen. Das ist gewiss.
Wir wollten in die Badewanne, ich beim Fußball kurz reinschauen, die Bayern gegen Leipzig, Magdeburg gegen Düsseldorf – Pusteblume. Wir kommen spät ins Bett + müssen Schlaf finden, denn Manu ist angeschlagen und muss sich kurieren. Wenn alle gesund gewesen wären, wären wir in Dresden im Theater gewesen, nachts zurückgekehrt an den Schauplatz. Jetzt ist die kurze Nacht für mich vorbei, die Ruhe draußen gespenstisch und morgen wollen wir früh nach Berlin zum Flieger. Alles ist anders + alles wird im Kopf sein, und Nachrichten zu Freunden werden uns erreichen. Norbert zum Beispiel wollte sich mit Christof treffen, um 18 Uhr, dort auf dem Markt. Christof musste kurz vorher absagen, Hexenschuss. Sie wären dort gewesen und hätten sich gleich vorne im Eingangsbereich aufgehalten, das ist gewiss.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Das Ohr muss vergnügt sein
vom 23.12.2024 -
»Niemand liebt dich«
vom 23.12.2024 -
Weihnachtsmarkt
vom 23.12.2024 -
Nachschlag: Tyger! Tyger!
vom 23.12.2024 -
Vorschlag
vom 23.12.2024 -
Zeige deine Süchte
vom 23.12.2024