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Aus: Ausgabe vom 23.12.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Geschichte des deutschen Faschismus

Für die Diktatur des Besitzes

Eine lesenswerte Studie über den alldeutschen Strippenzieher Heinrich Claß
Von Leo Schwarz
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Diktatur nach innen, Krieg nach außen: Propagandapostkarte des Alldeutschen Verbandes von 1914

Heinrich Claß war eine Zentralfigur der deutschen Rechten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Der von Claß von 1908 bis zur Auflösung 1939 geleitete Alldeutsche Verband war ein ideologisches und organisationspolitisches Scharnier zwischen der spätwilhelminischen Rechten und dem Nazifaschismus.

Claß gehörte zu den Strippenziehern einer ultrarechten »nationalen Opposition« schon im Kaiserreich. Sein 1912 unter einem Pseudonym veröffentlichtes Buch »Wenn ich der Kaiser wär’« war eine Programmschrift des Präfaschismus, und lange vor 1918 war Claß Akteur in Diskussionen über Wege zu einer Diktatur. Nicht zuletzt spielte Claß eine wesentliche Rolle bei der Identifizierung und Aktivierung des Antisemitismus als Hebel, um diesen Diktaturprojekten eine Massenbasis zu verschaffen. Schon 1920 traf er sich mit Adolf Hitler in Berlin und stattete ihn mit Geld aus der Kasse des Alldeutschen Verbandes aus.

Bezeichnend ist, dass Claß, der in der historischen Forschung und Publizistik der DDR durchweg als Wegbereiter des deutschen Faschismus identifiziert wurde, in der Bundesrepublik stets nur einigen Zeithistorikern ein Begriff gewesen ist, und ein bisschen peinlich ist es schon, dass erst weit im 21. Jahrhundert Forschungen zu Leben und Netzwerken des einflussreichen Mannes aufgenommen wurden. Der Historiker Björn Hofmeister hat nun eine wirklich umfassende, über Claß als Einzelperson hinausgreifende biographische Studie vorgelegt. Nach Aufbau und Inhalt richtet sich die Arbeit an ein Fachpublikum, und auch der stolze Preis dürfte dafür sorgen, dass sie in Buchhandlungen – falls sie überhaupt den Weg dorthin findet – im Regal liegenbleibt.

Allerdings lohnt sich die Lektüre für alle, die sich für die lange Vorgeschichte der Nazidiktatur interessieren. Hofmeister hat eine beachtliche Menge an Archivmaterial erstmals ausgewertet, und es verdient Beachtung, dass er die Diktaturkonzeption von Claß ausdrücklich als Variante eines Ordnungsmodells kennzeichnet, »das auf die Sicherung und den Ausbau bürgerlicher Machtverhältnisse abzielte, die durch ›Bildung und Besitz‹ strukturiert sein und sich den modernen Demokratisierungsansprüchen der ›Massen‹ entgegenstellen sollten«. Deutlich wird außerdem, dass es bei den Differenzen zwischen Claß und den Nazis letztlich um »Stil und Taktik« ging, nie aber um Grundsätzliches.

Björn Hofmeister: Anwalt für die Diktatur. Heinrich Claß (1868–1953). Sozialisation – Weltanschauung – alldeutsche Politik. De Gruyter Oldenbourg, Berlin-Boston 2024, 847 Seiten, 89,95 Euro

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