Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 28.12.2024, Seite 10 / Feuilleton
Theater

Poppige Projektionen

Eine Showbühnenadaption von Necati Öziris Romandebüt »Vatermal« am Maxim-Gorki-Theater Berlin
Von Sabine Lueken
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Das harte Leben ist eine Show: Flavia Lefèvre, Sesede Terziyan und Doğa Gürer (v. l. n. r.)

Schwarzweißfilm ab: In Berlin, in einer Mensa mit anderen Studentinnen, dann sterbenskrank im Keller, aus düsteren, alptraumartigen Katakomben hinaus ans Licht, durchs Gorki-Treppenhaus, raus auf die Bühne, ins Leben zurück, wiedergeboren im Theater: »Anne, ich muss Schluss machen. Das Stück geht los.« Das ist ein schöner, passender Start für die Geschichte von Arda Kaya, der nach einem »gefährdeten« Aufwachsen »was mit Literatur« machen will und von dem man wohl zurecht annehmen kann, dass er mit dem Autor einiges gemein hat (Video: Sebastian Lempe).

Nach diesem rasanten Beginn kommt die Familiengeschichte als Show auf knallroter Bühne auf der Bühne auf die Bühne, mit Theatersesseln links und rechts. Arda (Doğa Gürer) liegt im Krankenhaus, Schwester Aylin (Flavia Lefèvre) und Mutter Ümran (Sesede Terziyan) kommen ihn besuchen, immer getrennt, sie haben seit Jahren keinen Kontakt mehr. In Songs und Dialogen blicken Arda und Aylin auf das bisherige Familienleben zurück, switchen zwischen Vergangenheit und Gegenwart und weiteren Personen, umrandet von poppigen Projektionen auf Prospekt und Portal, die an psychedelische Happenings der späten 1960er Jahren erinnern.

Regisseur Hakan Savaş Mican, seit 2013 am Maxim-Gorki-Theater Hausregisseur, wollte bei dieser Uraufführung (am 21. Dezember) natürlich kein naturalistisches Elendsdrama zeigen – mit Armut, schlecht angezogenen Gestalten, häuslicher Gewalt und einer alleinerziehenden Mutter, die mit der Wodkaflasche in der Hand in die Kulisse pisst (letzteres kommt allerdings vor). Auch keine Krankenhausgeschichte, die auf dem Sterbebett erzählt wird. Arda tritt im schwarzen Smoking auf, Ümran und Aylin sind knallrot gewandet, ebenso wie die beiden Musikerinnen, die im hinteren Teil der Bühne seitlich auf Podesten plaziert sind (Kristina Koropecki, Cello; Mascha Juno, Percussion). Die Show startet mit dem Elvis-Song: »A Little Less Conversation« (1968), wie überhaupt die meisten Songs aus den 60ern stammen.

Dank dieser Las-Vegas-Show-Ebene findet das Familienelend hauptsächlich in den Dialogen statt, nur ganz selten wird es auch konkret sichtbar. »Und ich war immer diejenige, die gerettet werden sollte. Das arme Mädchen-von-der-Alkoholiker-Mutter-Familie. Türkischer-Vater-abgehauen-Familie. Muslimisches-Mädchen-weggerannt-Familie«, erzählt Aylin, die erst zur Großmutter, dann in Pflegefamilien kam, während Ümran lieber mit wechselnden Liebhabern auf dem Dachboden im Bett lag. Die Enttäuschung einer gescheiterten Ehe, Gewalt, Streit, Spielsucht, demütigende Wartestunden auf dem Ausländeramt, die nervtötende Arbeit bei McDonald’s ließen sie zur Alkoholikerin werden. Als Kind wurde sie von den Eltern, deren Haus durch ein Erdbeben zerstört wurde, bei der gehassten Tante in der Türkei zurückgelassen und durfte erst später nach Deutschland nachkommen.

Vieles erinnert an Micans wunderbare Inszenierung von Dinçer Güçyeters preisgekröntem, ebenfalls autobiografisch inspiriertem Debütroman »Unser Deutschlandmärchen«. Hier wie dort steht die Mutter im Mittelpunkt der Erzählung, gespielt von der großartigen Sesede Terziyan, hier wie dort ist das Ganze als Musical, als Show aufgemacht, die Härte und Bitterkeit des Migrantinnenlebens hochemotional, aber versöhnlich weichspült. Hier wie dort ist die Vorlage ein Roman. Sein Autor, Necati Öziri, war vier Jahre lang Dramaturg und künstlerischer Leiter des Studio R im Gorki. Sein Stück »Get Deutsch Or Die Tryin’« feierte 2017 hier Uraufführung, er transferierte es zum Roman (Literaturpreis Ruhr 2024), der nun ans Theater zurücktransferiert wurde.

Der Beginn des Romans ist hier das Ende. Arda sitzt in Gedanken mit seinen »Bros« auf der Bank. Danny landete im Knast, Bojan wurde abgeschoben, Savaş’ Mutter brachte sich um und sein Vater ging mit ihm zurück in die Türkei. Arda wendet sich im Schlussmonolog direkt an den lebenslang vermissten Vater. »(Ich) wünsche … mir, dir am Ende verzeihen zu können. Nicht für dich. Für mich.«

Nächste Vorstellung am 17. 01.2025

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