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Aus: Ausgabe vom 27.12.2024, Seite 12 / Thema
Namibia

Das Blaue vom Himmel

Serie. Namibia gestern und heute (Teil 3 und Schluss). Lüderitz: Vom Meilenschwindel zum Wasserstoffversprechen
Von Ursula Trüper
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Die Kleinstadt Lüderitz heißt noch immer nach dem betrügerischen Kaufmann – Denkmal in Erinnerung an Cornelius Fredericks, der im Konzentrationslager Shark Island starb (Lüderitz, 6.8.2024)

Lüderitz – wer sich ein wenig für die deutsche Kolonialgeschichte interessiert, kennt diesen Namen. Es handelt sich um einen Bremer Tabakhändler, der sich 1883 in Namibia auf betrügerische Weise ein Stück Land aneignete. Er schloss mit dem Gaob der !Aman¹ Josef Fredericks (sein Nama-Name lautet ǀNaixamab), im 200 Kilometer entfernten Bethanien einen Vertrag, in dem ihm der letztere »die Bucht Angra Pequena und das angrenzende Land, fünf Meilen in alle Richtungen« verkaufte, und zwar für den Betrag von »100 Pfund Sterling in Gold und 200 Gewehren mit Zubehör«.² Ein Schnäppchen!

Darüber hinaus hatte Adolf Lüderitz zu einem dreisten Betrugsmanöver gegriffen. Er legte in dem Vertrag die geographische Meile zugrunde, die 7,4 Kilometer beträgt. Im heutigen Namibia kannte man jedoch nur die englische Meile von 1,6 Kilometer. Damit verloren die Bethanier von einem Tag auf den anderen die Kontrolle über den größten Teil ihres Gebiets. Ein Jahr später stellte der Reichskanzler Otto von Bismarck die Lüderitzschen »Besitzungen« unter den »Schutz des Deutschen Reiches«. Umgehend wurden zwei deutsche Kriegsschiffe entsandt, die in der Bucht vor Anker gingen und die deutsche Flagge hissten. Das war der Eintritt Deutschlands in die Reihen der Kolonialmächte.

Dem Kaufmann Lüderitz brachte der Meilenschwindel kein Glück. Er hatte immer gehofft, in dieser Gegend werde er vielleicht Bodenschätze finden: Kupfer etwa oder Eisenerz, vielleicht sogar Gold. Doch seine Geologen, die er zu diesem Zweck auf Forschungsreisen ­schickte, fanden nichts. Lüderitz sah sich schließlich gezwungen, sein ergaunertes Land an eine private Gesellschaft zu verkaufen. Er selbst verschwand 1886 spurlos, als er mit einem nicht seetüchtigen Boot versuchte, von der Mündung des Flusses Orange aus die Bucht Angra Pequena zu erreichen. Vermutlich sind er und sein Begleiter ertrunken. Nach seinem Tod wurde die Bucht in »Lüderitzbucht« umbenannt, heute einfach »Lüderitz«.

Diamanten und Jugendstil

Ein Vierteljahrhundert später fand man dann, wovon der Verewigte immer geträumt hatte: Diamanten.³ Und zwar nicht nur rund um Lüderitz, sondern auch den ganzen südlichen Küstenstreifen entlang bis zur Mündung des Orange. Lüderitz wurde zur Boomtown. Noch heute kann man an den vielen prächtigen Jugendstilvillen sehen, welcher Reichtum damals vorhanden war. Die gesamte Region südlich von Lüderitz wurde zum Sperrgebiet erklärt, wo zunächst deutsche und später südafrikanische Firmen Diamanten abbauten.

Angesichts der Gaunereien des Begründers des deutschen Kolonialreichs wurden mittlerweile in vielen deutschen Städten die Lüderitz-Straßen umbenannt. So erst kürzlich in Berlin. Nach der Unabhängigkeit wollte der namibische Staat dasselbe tun, und zwar in den alten Nama-Namen !Nami-ǂNûs. Doch die Mehrheit der Lüderitzer war dagegen, vor allem die nichtnamasprachigen: Der Name enthält zwei Klicklaute.

Auf den ersten Blick ist Lüderitz ein langweiliges Küstenstädtchen. Neben Walvis Bay ist es der zweite natürliche Tiefseehafen Namibias. Doch für große Tanker ist die Bucht zu schmal, deshalb hat sich hier nie ein lebhaftes Wirtschaftsleben entwickelt wie etwa in Walvis Bay. Außerdem herrscht in der Region extreme Wasserknappheit, was dem Wachstum der Stadt enge Grenzen setzt. Als sich der Diamantenabbau weiter in den Süden verlagerte, fiel die Stadt in einen Dornröschenschlaf. Inzwischen ist Lüderitz eine Art »Freilichtmuseum des Jugendstils«. Anders als in Windhoek – wo viele Gebäude aus der Kolonialzeit einfach abgerissen wurden, um statt dessen Hochhäuser zu bauen – sind im stagnierenden Lüderitz heute noch viele prächtige Jugendstilvillen erhalten, auch der Bahnhof und andere öffentliche Gebäude.

Ebenfalls zur Zeit des Jugendstils erbaut, aber betont sachlich gehalten, ist die Old Power Station. Das ehemalige Elektrizitätswerk wurde 1910/11 errichtet. Sämtliche Baumaterialien wurden aus Deutschland importiert. Damals war das Kraftwerk das größte des Kontinents. Es versorgte nicht nur die Stadt Lüderitz, sondern auch die Diamantminen mit Elektrizität. Inzwischen ist das Industriedenkmal entkernt und zu einem Campus der technischen Universität NUST umgebaut worden. Außerdem beherbergt es das Namibia Maritime Museum und ist Sitz der Firma Hyphen Hydrogen Energy. Dieses deutsch-britisches Konsortium plant, 9,4 Milliarden US-Dollar in das berühmte Projekt »›grüner‹ Wasserstoff« zu stecken, von dem derzeit in Deutschland soviel die Rede ist. Eine Summe, beinahe so groß wie Namibias jährliches Bruttoinlandsprodukt.

Als wir um zehn Uhr die Old Power Station betreten, weil wir uns das Maritime Museum ansehen wollen, gibt es kein Durchkommen. Denn es findet eine Tagung der Stakeholder statt. Alle möglichen Honoratioren, Banken- und Ministerialvertreter sowie der Bürgermeister von Lüderitz sind eingeladen. Motto: »A new dawn awaits Lüderitz, the katalyst for industrial and socio-economic growth«. Irgendwie haben sie es mit der Morgenröte in Namibia. Laut Programm hätte die Veranstaltung um neun Uhr mit den Nationalhymnen beginnen sollen. Aber außer ein paar jungen Frauen, die darauf warten, dass jemand sich bei ihnen registriert oder ein Tagesprogramm entgegennimmt, ist niemand zu sehen. Ihnen gegenüber steht ein riesiger Tisch mit Kaffeetassen – leider vorerst ohne Kaffee.

Auf der anderen Seite liegt eine Hochglanzbroschüre aus: »Hyphen. Socio-Economic Development (SED) Framework«. Es gibt sie in allen Sprachen, auch auf Nama. Und sie verspricht den Namibiern das Blaue vom Himmel: Arbeitsplätze (15.000 während der Bauphase, 3.000 während der Betriebsphase, davon 90 Prozent für Namibier, 20 Prozent für Jugendliche. Das ist nicht wenig, wenn man bedenkt, dass die Gesamtbevölkerung von Namibia lediglich drei Millionen Menschen beträgt), Aus- und Fortbildung, Local procurement, also lokale Beschaffung von Waren, Diensten usw. (30 Prozent), Entwicklung namibischer Betriebe, Verbesserung der Infrastruktur. Außerdem Corporate Social Investment, also wohltätige und philanthropische Investitionen durch Hyphen zum Nutzen der lokalen Gemeinschaften.

Noch schöner ist der offizielle Werbefilm von Hyphen.⁴ Da schlängeln sich glänzende Pipelines durch menschenleere Landschaften und das türkisfarbene Meer. Wer genau hinschaut, kann die Spitze der Halbinsel Shark Island erkennen, die vor Lüderitz liegt.

Vernichtung durch Arbeit

Shark Island: Zur deutschen Kolonialzeit befand sich auf dieser Halbinsel das schrecklichste KZ der Kolonie. Es galt als noch schlimmer als das in Swakopmund. Es kam vor, dass Häftlinge, die nach Shark Island verlegt werden sollten, sich vorher umbrachten.⁵ Wie in den KZ in Swakopmund waren die Menschen auf Shark Island ungeschützt dem eisigen Seewind preisgegeben. Sie lebten auf dem nackten Felsen, zum Schutz gab es lediglich einige Armeezelte. Wie in Swakopmund waren ihre Kleidung und Nahrung völlig ungenügend. Und wie in Swakopmund waren sie der Vernichtung durch Arbeit ausgesetzt. »Durchschnittlich«, so der Missionar Nyhoff an seine Vorgesetzten in Deutschland, »sterben acht (Nama; U. T.) pro Tag, es kommen aber auch Tage vor, an welchen 18–20 sterben.«⁶ Schätzungsweise 3.000 Menschen starben dort von 1905 bis 1907.

Außer dem KZ auf Shark Island entstand eine Art wanderndes KZ beim Bahnbau von Lüderitz ins Inland.⁷ Denn während des deutsch-namibischen Krieges 1904–1908 wurden in Lüderitz Waffen und Soldaten ins Land gebracht, und dafür wurde eine Eisenbahn quer durch die Wüste gebaut. Nach den Zahlen der deutschen Kolonialverwaltung wurden zwischen Januar 1906 und Juni 1907 insgesamt 2.014 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Shark Island eingesetzt, von denen 1.359 starben. Eine Sterblichkeitsrate von 67 Prozent.⁸

Im Haupt-KZ Shark Island wirkte ein gewisser Hugo Bofinger als Stabsarzt, der mit den Gefangenen Menschenversuche machte. Beispielsweise experimentierte er mit Arsen, um ein Heilmittel gegen Skorbut zu finden (dabei hätte sich diese Krankheit leicht heilen lassen, wenn die Gefangenen ausreichend und vitaminreich ernährt worden wären). Aus dem Hospital, in dem er die Toten sezierte, schickte er außerdem in Formalin eingelegte Köpfe von Gefangenen zu »Forschungszwecken« nach Deutschland.⁹

Manchmal aber brauchten die deutschen Forscher lediglich die Schädel der Opfer. Dann mussten Herero-Frauen die Schädel auskochen und mit Glasscherben die Haut und die Muskeln von den Köpfen entfernen. Diese grauenhafte Praxis ist nicht nur durch Dokumente belegt (man hielt es nicht für nötig, irgend etwas zu verheimlichen), sie ist auch Teil der mündlichen Überlieferung der Nachfahren der Opfer. Beispielweise die Erzählung, dass die Ehefrau des Gaobs (früher abwertend »Häuptling«) von Bethanien, Cornelius Fredericks, auf diese Weise eines Tages den Kopf ihres Mannes in den Händen hielt und sich daraufhin verzweifelt in den Atlantik stürzte.¹⁰ Sie war vermutlich nicht die einzige, die die Brutalität des KZ nicht mehr aushielt und sich umbrachte. Man vermutet, dass sich auch im Meer rings um Shark Island Gebeine von ehemaligen Gefangenen befinden.

Cornelius Fredericks war ein mutiger und unter den Nama sehr angesehener Kämpfer gegen die deutsche Kolonialmacht. Als ihn die Deutschen gefangennahmen, hatte er keine Chance. Die Afrikaner wurden nicht als Kriegsgefangene behandelt. Ein Jahr nach seiner Gefangennahme war er tot. Es hält sich das hartnäckige Gerücht, dass sich sein Schädel noch heute in irgendeiner Sammlung in Deutschland befindet.

KZ-Camping

Während der Zeit der Apartheid wurde die Geschichte von Shark Island unter den Teppich gekehrt. In den 1980er Jahren wurde die Halbinsel dann schließlich zum Campingplatz umgebaut. Seit 2020 ist der Ort zwar zur nationalen Gedenkstätte erklärt worden, dient aber immer noch als Zeltplatz. So kommt es, dass der Mann am Eingang, der auch die Gebühren von den Campern kassiert, uns in kurzen Worten die Geschichte des KZ erklärt. Die ganze Anlage strahlt die Maxime aus: das eine tun und das andere nicht lassen. Gleich wenn man reinkommt, sieht man, etwas erhöht, ein Denkmal für Cornelius Fredericks aus weißem Stein. Es ist das jüngste Denkmal auf Shark Island und hat die Inschrift: »Wir gedenken unserer Helden. Kaptein Cornelius Fredericks mit 167 Männern, 97 Frauen und 66 Kindern, Söhne und Töchter der !Aman-Gemeinde Bethanien – Namibia.« Wenn man weitergeht, stößt man auf einen Gedenkstein für Adolf Lüderitz und dann auf die Namensschilder für gefallene Schutztruppler. Alles in friedlicher Koexistenz.

Man wünscht sich, der Staat Namibia würden etwas offensiver mit seiner Vergangenheit umgehen. Eine nationale Gedenkstätte für Tausende KZ-Opfer, die gleichzeitig als Campingplatz genutzt wird? Würde jemand auf die Idee kommen, auf dem Gelände des, sagen wir, KZ Sachsenhausen einen Campingplatz zu unterhalten? Infolgedessen fordern die Nachkommen der Überlebenden, dass der Zeltplatz verschwinden und die ganze Haifischinsel so hergerichtet werden muss, wie es der Würde der Toten entspricht.¹¹

Und dann sieht man einen schwarzen Gedenkstein. Er steht an der Nordspitze von Shark Island und erinnert in drastischen Worten und Bildern an die Greueltaten der damaligen Kolonialmacht. Dieser Stein ist unübersehbar. Das Denkmal wurde im April 2023 mit der Unterstützung der Gesellschaft für bedrohte Völker aufgestellt. Wenige Monate später war es in Teilen zerstört. Es sei von heftigen Windböen aus seiner Verankerung gerissen worden und in zahlreiche Teile zerbrochen, erklärte eine Mitarbeiterin des Campingplatzes. Unklar sei nun, was mit dem Sockel geschehen solle, der nun weitgehend unbeachtet in direkter Nachbarschaft der Campinggäste liege. Auch das zuständige Polizeikommissariat erklärte eilfertig in einem Fernsehinterview, man halte Vandalismus für ausgeschlossen. Doch inzwischen ist nicht etwa der Sockel endgültig entfernt worden, sondern das Denkmal ist wieder rekonstruiert. Man muss schon ziemlich hartgesotten sein, in seinem Schatten sein Zelt aufzustellen.¹²

Doch eine angemessene potentielle Gedenkstätte auf Shark Island ist auch von anderer Seite bedroht. Im Rahmen des »Grüne-Energie«-Projekts soll der Hafen von Lüderitz erweitert werden. Dadurch wäre ein würdevolles Gedenken an die Toten vollends unmöglich gemacht. Die Nachkommen der Nama und Ovaherero, die auf Shark Island gefangen gehalten wurden, sind übrigens nie in die Hyphen-Pläne einbezogen worden.

Dagegen wehren sie sich. Im April 2024 organisierte die Nama Traditional Leaders Association (NTLA) gemeinsam mit der Gesellschaft für bedrohte Völker einen Workshop, bei dem viele Nachkommen der KZ-Opfer zu Wort kamen. In diesem Rahmen ist auch der schwarze Gedenkstein auf Shark Island enthüllt worden.¹³

Auf dieser Veranstaltung wurden die !Aman, denen das Land ja vor der Kolonialzeit gehörte, zunächst einmal darüber informiert, was es mit dem »grünen« Wasserstoff überhaupt auf sich hat. Vor allem aber wurde ihnen zugehört. Welche Beziehung haben sie zu Shark Island? Welche Beziehung haben sie zum Tsau-ǁKhaeb-Nationalpark, wo Hyphen angesiedelt werden soll? »Unsere Aufgabe«, so die Gesellschaft für bedrohte Völker: »Hören, was die Nama-Gemeinschaft sich von Deutschland wünscht, und überlegen, wie wir den Wünschen und Forderungen Gehör verschaffen.«¹⁴

Wer profitiert?

Warum führt eigentlich die namibische Regierung nicht eine solche Veranstaltung durch? Warum muss dazu eine internationale NGO kommen? Generell gibt es einige Kritik an der Art und Weise, wie das Projekt »Hyphen« zustande kam. Ja, Wasserstoff kann ein sinnvoller Ersatz für fossile Energieträger sein, da sind sich alle einig. Und ja, Namibia mit seiner großen, dünn besiedelten Landfläche und besten Bedingungen für Solar- und Windenergie scheint ein besonders geeigneter Ort für die Wasserstoffproduktion. Die Frage ist jedoch: Wer profitiert von dieser Entwicklung?

»Bei aller Partnerschaft«, so der Humangeograph Henryk Joost, »lassen sich zwischen den Wasserstoffstrategien Namibias und Deutschlands widerstreitende Interessen erkennen. Deutschland will Wasserstoff importieren – unter anderem, um seine Stahlindustrie zu dekarbonisieren. Namibia will den Wasserstoff perspektivisch nutzen, um vor Ort selbst Stahl zu produzieren. Dieser Interessenkonflikt deutet auf den Kern der Frage, welchen Weg die namibische Wasserstoffwirtschaft einschlagen wird. Wird Namibia in Zukunft lediglich Rohstoffe nach Europa transportieren oder eine eigene Industrie aufbauen können.«¹⁵

Was es bedeutet, lediglich Rohstoffe zu exportieren, damit hat Namibia in der Vergangenheit schon ausgiebige Erfahrungen gemacht. Beispielsweise beim Diamantenabbau. Namibia ist der größte Diamantenförderer der Welt, aber die Weiterverarbeitung findet anderswo statt.¹⁶ Außerdem, so Joost: »Der Aufbau einer Wasserstoffproduktion ist teuer und technologisch extrem anspruchsvoll. In Namibia gibt es dafür weder das dafür notwendige Kapital noch Technologie oder Erfahrung. Es sind überwiegend europäische und südafrikanische – dessen Kolonie Namibia bis 1990 war – Unternehmen, welche die aktuellen und zukünftigen Projekte durchführen und den Sektor kontrollieren werden. So wundert es nicht, dass bereits jetzt abgeschlossene Vorverträge den Export der gesamten Produktionskapazität von Hyphen – unter anderem an RWE – regeln und die Infrastrukturförderung durch Gelder der deutschen Entwicklungszusammenarbeit vor allem in Bereiche fließen, die für den Export notwendig sind.«¹⁷

Auch die Namibian Chamber of Environment (NCE) hat Bedenken gegen den Standort von Hyphen. Der Tsau-ǁKhaeb-Nationalpark, wo das Projekt angesiedelt sein soll, ist einer von nur 36 Biodiversitätshotspots weltweit. Dies verdankt er der Tatsache, dass diese Region bisher wegen der Diamanten ein Sperrgebiet war. Damals, zur Kolonialzeit, ist den lokalen Nama einfach ihr Land weggenommen worden. Und nun vergibt die namibische Regierung dieses Land, ohne sie auch nur zu konsultieren.

Ein weiter wichtiger Punkt ist die Tatsache, dass Wasser generell in Namibia und vor allem in Lüderitz Mangelware ist. Für die Wasserstoffproduktion soll daher Meerwasser aufbereitet werden. Es ist jedoch bekannt, dass die großen geplanten Aufbereitungsanlagen und vor allem die Entsorgung des salzigen Abwassers negative Folgen für marine Ökosysteme hat, wovon die lokalen Fischer besonders betroffen wären. Ein Konzept für die Entsorgung gibt es bisher noch nicht.

Und nicht zuletzt gibt es zu den Besitzverhältnissen bei Hyphen Kritik. Hyphen ist ein Joint Venture der Anteilseigner Enertrag aus Deutschland und der Nicolas Holding Limited aus Großbritannien, wobei der namibische Staat maximal 24 Prozent der Anteile besitzt. Der Gewinn wird also vor allem in den Norden fließen.

Keine Beteiligung

Namibia erfordert »niedrige Kapitalkosten im Vergleich zu vielen anderen globalen wettbewerbsfähigen Ländern mit Potential für grünen Wasserstoff«, lobt der offizielle Werbefilm von Hyphen. »Dank Namibias politischer Stabilität, der investorenfreundlichen Landschaft, der klaren Regierungsstrategie und eines starken Gouvernance-Rahmens ist Namibia eins der stabilsten, am besten geführten Länder mit dem geringsten Risiko in Afrika.«¹⁸ Namibia ist so attraktiv für Investoren, weil es die Möglichkeit für billige Produktion bietet und weil die lokale Bevölkerung bisher nicht sehr laut auf ihre Rechte gepocht hat.

Alle diese Fragen wären es wohl wert, sie öffentlich zu diskutieren. Aber diese Diskussion findet nicht statt. »Im Frühjahr 2023 kam der im Februar 2024 verstorbene Präsident Hage Geingob von einer Geschäftsreise aus Deutschland zurück«, berichten etwa Mitglieder des Economic and Social Justice Trust (ESJT), »und sagte, der Vertrag mit Hyphen sei unterzeichnet. Und dass es darüber ›keine weiteren Diskussionen‹ geben würde. (…) Intransparenz und Geheimhaltung rund um das Projekt setzen sich seitdem fort. Obwohl uns anfangs versprochen wurde, dass die Planung für alle zugänglich sein sollte, kamen die Delegationen von Hyphen nach Namibia, ohne auch nur mit einer einzigen zivilgesellschaftlichen Organisation zu sprechen.«¹⁹

Es ist ein Verhalten wie dieses, das viele Menschen in Namibia so gegen die SWAPO-Regierung aufbringt. Und sie werden nicht ewig darauf warten, bis ihre Stimme gehört wird. Bei den Wahlen im September konnte die ehemalige Befreiungsorganisation und jetzige Regierungspartei SWAPO ihre absolute Mehrheit verteidigen, wenn auch knapp. Ein Schicksal wie anderen ehemaligen Befreiungsbewegungen in Südafrika und Botswana, die abgewählt wurden oder eine Koalitionsregierung eingehen mussten, ist ihr bisher erspart geblieben. Noch.

Anmerkungen:

1 Die Zeichen ǀ, ǁ, ǂ und ǃ stehen für die vier Klicklaute in der Nama-Sprache Khoekhoegowab. Wer in diese Sprache hineinhören will: www.youtube.com/watch?v=Nz44WiTVJww

2 Zit. n. Ursula Trüper: Zara oder das Streben nach Freiheit. Eine koloniale Familiengeschichte in Schwarz-Weiß, Köln 2022, S. 49

3 Werner Hillebrecht: Lüderitz. In: Bernd Heyl: Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte. Postkolonialer Reisebegleiter in die deutsche Kolonialgeschichte, Frankfurt/M. 2021, S. 149–161

4 hyphenafrica.com

5 Joachim Zeller: »Ombepera i koza – Die Kälte tötet mich«. Zur Geschichte des Konzentrationslagers Swakopmund (1904–1908). In: Jürgen Zimmerer/Joachim Zeller (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904–1908) und seine Folgen. Berlin 2003, S. 74.

6 Zit. n. Caspar Wolffe Erichsen: Zwangsarbeit im Konzentrationslager auf der Haifischinsel. In: Ebd., S. 84

7 Hillebrecht (Anm. 3), S. 149–161

8 Erichsen (Anm. 6), S. 83

9 Hillebrecht (Anm. 3), S. 153

10 Die Agentur »Forensic Architecture« hat ein Video über Shark ­Island gedreht und dabei eng mit den Nachkommen der Opfer, den !Aman von Bethanien, zusammengearbeitet. Auch der Enkel von Cornelius Fredericks, er heißt ebenfalls Cornelius, kommt dort zu Wort. forensic-architecture.org/investigation/shark-island

11 »New Lüderitz harbour ›will erase parts of Shark Island‹«, ­Namibian Sun, 23.4.2024

12 weltkirche.katholisch.de/artikel/51452-kolonial-mahnmal-in-­namibia-kurz-nach-enthuellung-zerstoert

13 gfbvblog.com/2024/05/03/keine-entscheidungen-ueber-uns-ohne-uns

14 Ebd.

15 www.medico.de/blog/wasserstoff-aus-der-wueste-19576

16 www.medico.de/blog/der-geruch-von-kolonialismus-19671

17 www.medico.de/blog/wasserstoff-aus-der-wueste-19576

18 Wie Anm. 4

19 www.medico.de/blog/der-geruch-von-kolonialismus-19671

Die beiden vorherigen Teile der Serie sind in den Ausgaben vom 23. Dezember sowie vom 24./25./26. Dezember erschienen.

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