Die Kakerlake erledigen
Von Matthias Rude, TübingenAm Freitag wurde die Ausstellung »The Price of Freedom« in der Tübinger Universitätsbibliothek vorzeitig beendet. Zu sehen gewesen waren Plakate aus der Ukraine – antikommunistische und faschistische Symbolik inklusive. Ein Druck etwa zeigte Silhouetten gefallener Soldaten, laut Begleittext nationale »Helden«. In der Mitte: Der als »Da Vinci« bekanntgewordene Dmitro Kotsiubailo vom »Rechten Sektor«. Zwei Ausstellungsstücke fehlten: Die Arbeiten »Kakerlake« und »Holy Warrior« seien »in einem Akt des Vandalismus von Unbekannten abgerissen« worden, informierten Schilder. Sie stellten den Sozialismus als Ungeziefer dar und glorifizierten ukrainische Soldaten als »Krieger des Lichts«.
Der jW-Artikel über die Vernissage der Plakatschau vom 11. Dezember hatte auch international für Aufmerksamkeit gesorgt. Einen Tag später fand eine Flugblattaktion des Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverbands (SDS) gegen die Ausstellung statt. Der SDS sprach von »Holocaustverharmlosung« und monierte auch die »unkritische Betrachtung des Euromaidan«, bei dem »rechtsradikale Gruppen eine bedeutende Rolle« gespielt hätten. Die Lokalzeitung Schwäbisches Tagblatt klagte am 18. Dezember, ihre Redaktion, die Universität und »andere Adressaten in Tübingen« würden »mit Mails eingedeckt von Leuten, denen die Ausstellung nicht ins Konzept passt«. Mit »Heldenkult« tue man sich hierzulande schwer, wurde Schamma Schahadat zitiert, deren Institut für die Ausstellung mitverantwortlich war. Aber: »Wenn man seine Freiheit verteidigt«, so die Tübinger Slawistin, »differenziert man nicht mehr so akkurat«.
Für den 20. Dezember wurde kurzfristig eine »Diskussionsrunde« als »Abschlussveranstaltung« anberaumt. Schahadat und Klaus Gestwa »gehen ins Gespräch mit allen Interessierten«, so die Ankündigung. Gestwa, Direktor des Tübinger Osteuropainstituts und rühriger Propagandist der »Zeitenwende«, erhielt im Mai einen Preis von der Universität – Protestierende wurden ausgesperrt. Die Dauer der Veranstaltung war auf eine Stunde angesetzt. Statt der erhofften Debatte erwartete das Publikum allerdings ein Vortrag Gestwas über »Kommunismus als imperiale Unterdrückungsideologie«. Nach einer knappen halben Stunde, als Gestwa ausführte, wer wie die jW »gegen unsere Ausstellung polemisiert«, müsse sich vorwerfen lassen, »russische Propaganda« zu reproduzieren, platzte einem Besucher der Kragen: Das sei »doch Quatsch« – und außerdem: Wo bleibe der angekündigte Dialog? Daraufhin entwickelte sich eine hitzige Debatte.
Fehlverhalten wurde von seiten der Universität nicht eingeräumt. Statt dessen wurde relativiert. Der einstige Gruß der Bandera-Faschisten »Slawa Ukrajini! Herojam Slawa!« (Ruhm der Ukraine! Den Helden Ruhm!), der auf einem Plakat zu lesen war, sei heute »inhaltlich grundsätzlich neu besetzt«. Früher sei dabei »der rechte Arm auf Augenhöhe hochgeführt« worden, heute bleibe er unten – um »die Abgrenzung vom Faschismus deutlich zu machen«, so Gestwa. Schon seit 2014 sei der Slogan »frei von nationalistischen Konnotationen«. Schahadat behauptete, der jW-Artikel zur Ausstellung sei »voller Fake News« – konnte dann aber kein Beispiel nennen. Sie räumte ein, in der Jury gewesen zu sein, welche die Plakate ausgewählt hatte. Wer außer ihr noch darin war? »Keine Ahnung, das weiß ich nicht.« Sie habe jedenfalls »keine rechtsradikalen Personen und Symbole gesehen«, so die Professorin, die laut ihrem Forschungsprofil auf der Universitätswebsite »auch Ukrainistik« betreibt.
Am 21. Dezember postete die Projektkoordinatorin der Ausstellung, Jane Rozbitskaya von der ukrainischen Exilorganisation »Faina UA«, einen Beitrag über die Geschehnisse, der auch Screenshots von der jW-Website enthält. In den Kommentaren wird der Autor dieses Artikels als »Kakerlake« bezeichnet; eine Kommentatorin meint, der »russische Schädling« solle »durchsiebt«, »erledigt« werden. Ein Nutzer bedankt sich für Rozbitskayas »Einsatz« für »Da Vinci«. Auf diese Kommentare reagierte Rozbitskaya zustimmend.
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