Cancelopfer des Tages: Peter Tschaikowski
Von Reinhard LauterbachEr wisse nicht, warum die russischen Raketenentwickler dem neuen Projektil, das neulich testweise gegen die Raketenfabrik Piwdenmasch in Dnipro eingesetzt wurde, den Namen »Haselnussstrauch« (Oreschnik) gegeben hätten, sagte Wladimir Putin letzte Woche. Das war mal wieder gelogen, wie man das von ihm kennt. Denn wachsame Litauer haben den Zusammenhang von Nußstrauch und Nussknacker erkannt und das gleichnamige Ballett von Peter Tschaikowski aus dem Programm der Staatsoper in Vilnius entfernt. Russische Kultur sei nie einfach Musik oder Literatur, sondern Instrument politischer Propaganda, lautet das Standardargument, und das Canceln von Komponisten, die 150 Jahre vor Wladimir Putin gearbeitet haben, sei ein Mittel, die kämpfende Ukraine zu unterstützen. Wie sehr ihr das hilft, sieht man gerade.
Jetzt regt sich die musikalische fünfte Kolonne in Litauen. Der Kulturminister hat erklärt, seinetwegen müsse dieser Boykott nicht sein, er höre sich selbst gern Tschaikowski an. Worauf er sofort einen Verweis seines Ministerpräsidenten bekam: Er möge sich um sein Ressort kümmern und keine privaten Meinungen zum besten geben. Die privaten Meinungen des Opernpublikums waren geteilt: Manche äußerten bedauerndes Verständnis für die Streichung des Vorweihnachtsklassikers, andere gingen aus Protest in der Pause.
Die New York Times, die über all dies am Sonntag berichtete, erinnerte kopfschüttelnd, wie es die Briten im Zweiten Weltkrieg mit dem Canceln gehalten haben: Sie brachten nicht nur den Vierschlag des Leitmotivs von Beethovens Fünfter als Jingle des deutschen BBC-Programms, sondern ganz bewusst eine Konzertserie mit Werken deutscher Komponisten im Radio. Um zu zeigen, dass man gegen Hitler kämpfe, nicht gegen Bach oder Beethoven. Ein hoffnungslos überholter Standpunkt.
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