Gentechnik
Von Helmut HögeAb etwa 2000 wurde fast täglich ein neues Gen isoliert. In den Medien war jedes Mal triumphalistisch vom endlich entdeckten »Neidgen«, »Erfolgsgen«, »Schönheitsgen«, »Eifersuchtsgen«, »Fettmachgen«, »Autistengen«, »Judengen« usw. die Rede. Sogar das Magazin der Max-Planck-Institute titelte: »Singvögel mit Casanova-Gen«. Jede Lebensäußerung und -einstellung war plötzlich biologisch determiniert und die Biologie damit zur Leitwissenschaft geworden. Als es den Molekularbiologen James Watson und Francis Crick 1953 gelang, ein räumliches Modell der DNA-Doppelhelix zu erstellen, teilte ersterer der Presse mit, es sei ihnen gelungen, »den Code des Lebens zu knacken«.
2021 hat die US-Zeitschrift The New Yorker einen elf Seiten langen Text über die US-Psychologin Kathryn Paige Harden veröffentlicht, die »Die Genlotterie. Wie Gene uns beeinflussen« (deutsch 2023) verfasst hat. Dieses »bahnbrechende Buch bietet eine kühne neue Vision einer Gesellschaft, in der es allen gut geht, unabhängig davon, wie man in der genetischen Lotterie abschneidet«. Harden arbeitet auf dem Gebiet der »Verhaltensgenetik«, unter anderem gründete sie das »Texas Twin Project«. Sie untersucht den Einfluss der Gene auf Charaktereigenschaften (Neurotizismus, Verträglichkeit) und Lebensumstände (wie Bildung, Intelligenz, Einkommen, Kriminalitätsanfälligkeit). Der New Yorker fragte sich: »Kann Harden die Linken davon überzeugen, dass Gene wichtig sind – und die Rechten, dass die Gene nicht alles entscheiden?«
Weil sich herausstellte, dass man eben nicht alles mit den Genen erklären kann, gibt es die »Epigenetik«: eine nichtgenetisch bedingte Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften. Es ist die ewige Diskussion »angeboren oder anerzogen«, Nature versus Nurture – ein Lavieren zwischen Neodarwinismus (Genprägung) und Lamarckismus (Umwelteinflüsse).
Ich zitiere an dieser Stelle gerne die Biologin Silja Samerski, die 2001 der Taz sagte: »Das ›Gen‹ ist nichts anderes als ein Konstrukt für die leichtere Organisation von Daten, es ist nicht mehr als ein X in einem Algorithmus, einem Kalkül. (…) Wenn aber solche Konstrukte in der Umgangssprache auftauchen und plötzlich zu Subjekten von Sätzen werden, mit Verben verknüpft werden, dann werden sie sozusagen in einer gewissen Weise wirklich.«
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