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Aus: Ausgabe vom 27.12.2024, Seite 4 / Inland
Leipzig

Streit um Staatsknete

Leipzig: BSW will Zentren der »antideutschen« Szene die Fördergelder streichen
Von Yaro Allisat, Leipzig
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Bald kein Geld mehr aus dem kommunalen Haushalt? Das »Conne Island« in Leipzig

Das Leipziger BSW will den überregional als Refugien der »antideutschen« Szene bekannten soziokulturellen Zentren naTo, Conne Island und Werk 2 insgesamt 660.000 Euro städtischer Fördergelder für die kommenden zwei Jahre streichen. Laut der Begründung des Antrags im Stadtrat konstatiert das BSW bei den Einrichtungen »eine ideologisch verengte Programmpolitik und praktizierte Cancel Culture«. Sie würden eine »gesellschaftliche Spaltung« vorantreiben. AfD und CDU hatten in den vergangenen Jahren mehrfach ohne Erfolg versucht, den bei ihnen als »links« geltenden Zentren die Gelder zu kürzen. Beschlossen werden kann der Antrag final in den Haushaltsverhandlungen im März 2025; ob es eine Mehrheit gibt, ist offen.

Darüber hinaus will das BSW auch das Referat für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Referat Strategische Kulturpolitik verkleinern. Für palästinensische Kulturveranstaltungen fordert das BSW allerdings 50.000 Euro im Jahr. Es ist anzunehmen, dass das BSW mit Blick auf die drei Zentren insbesondere proisraelische und antideutsche Inhalte und eine Diskriminierung palästinasolidarischer Besucher kritisiert. Auf eine Anfrage reagierte die Fraktion jedoch nicht. Palästinasolidarische Künstler und Musiker hatten in der Vergangenheit Auftritte unter anderem im Conne Island abgesagt.

Die Linke-Fraktion im Stadtrat verteidigte die Einrichtungen. »Wir finden, dass die Veranstaltungshäuser ein Recht darauf haben, interne Richtlinien festzulegen, nach welchen beispielsweise faschistische, rassistische und sexistische (Kultur-)Akteure ausgeschlossen werden«, so die kulturpolitische Sprecherin der Fraktion, Mandy Gehrt, gegenüber der jW.

Sollte der Antrag im Stadtrat durchkommen, dürfte die Existenz der Zentren gefährdet sein, die wie andere vergleichbare Einrichtungen auch mit den Folgen der Pandemie und der allgemeinen Teuerung zu kämpfen haben. Im Oktober hatte das Conne Island eine Spendenkampagne gestartet, um »ein großes Loch« im »eh schon knappen Haushalt« notdürftig zu stopfen. Auf eine jW-Anfrage zu den möglichen Auswirkungen der Kürzungen antworteten die Kulturzentren nicht.

Die CDU-Fraktion im Stadtrat wartete unterdessen mit einem eigenen Antrag auf, der nicht ganz so weitgehend ist wie der des BSW. Er sieht vor, die Förderung des Conne Island auf 200.000 Euro jährlich zu begrenzen. Damit fiele im Grunde der Ausgleich der Preissteigerungen weg. Die AfD wiederum will in einem eigenen Antrag Mittelkürzungen für die gesamte freie Szene von 700.000 Euro für 2025 und 1,3 Millionen Euro im Jahr 2026 durchsetzen.

Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben sich öffentlich hinter die drei Kulturzentren gestellt. Die Linkspartei nannte den Antrag »niederträchtig« und einen »Angriff auf die gesamte Soziokultur«, wie man ihn sonst nur von CDU und AfD kenne. Auch die SPD erklärte gegenüber jW, dem Antrag definitiv nicht zustimmen zu wollen. »Als einen ihrer ersten inhaltlichen Anträge im Stadtrat« wolle das BSW »langjährigen, etablierten Trägern der vielfältigen Kulturlandschaft Leipzigs eine sechsstellige Summe an Fördermitteln streichen«, kritisierten die Sozialdemokraten. An wen das Geld statt dessen gehen solle und wer nach Ansicht des BSW eher »für eine offene und vielgestaltige kulturelle Praxis« stehe, werde nicht erläutert.

CDU, AfD und BSW kommen im Stadtrat zusammen auf 32 Sitze. Linke, Grüne, SPD und die PARTEI, die gegen den Antrag stimmen wollen, kommen ebenfalls auf 32. Den Ausschlag geben könnte also das Abstimmverhalten der zwei Fraktionslosen sowie von FDP, Piraten, Freien Sachsen und Freien Wählern, die jeweils einen Sitz haben. Gegenüber jW hieß es allerdings auch aus der CDU, dass noch nicht über den Umgang mit dem BSW-Antrag entschieden wurde.

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  • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (3. Januar 2025 um 18:29 Uhr)
    Wichtiges Signal. Das BSW hebt sich wohltuend ab von den linksgrünen Israel-Lobbyisten.
  • Leserbrief von Florian Osuch aus Berlin (30. Dezember 2024 um 16:26 Uhr)
    In Leipzig möchte man leben. Dort gibt es offenbar so wenig soziale Probleme und Ungerechtigkeiten, dass sich das BSW endlich um die ganz wichtigen Sachen kümmern kann: Per Antrag die Förderung für drei soziokulturelle Zentren beenden. Richtig so! Wo käme man hin, wenn im »Werk 2« weiterhin »ideologisch verengte« Lithographie-Workshops stattfinden (»Geätzt wird mit der in der Coca-Cola enthaltenen Phosphorsäure.«), Kinder mit Kleisterfarbe hantieren, eigene Stempel schneiden oder an einer alten Radierpresse Fabelwesen ritzen.

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