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Die greuliche Schuldenbremse

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs
Von Lucas Zeise
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In der seit dem Fall der Ampelregierung heftigen Debatte über die Schuldenbremse (SB) kommt gar nicht vor, dass sie ein klotziges Konjunkturprogramm verhindert. Dass so ein Programm – sagen wir mal konservativ im Umfang von 100 Milliarden Euro – angebracht wäre, steht außer Frage. Denn immerhin geht das zweite Rezessionsjahr in Folge gerade zu Ende. Da könnte »unsere« Wirtschaft schon eine solche kleine Anregung gebrauchen. Es würde ihr guttun.

Statt dessen Worte in kleiner Münze: Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU: »Die CDU steht zur Schuldenbremse ohne Wenn und Aber.« Oder der (voraussichtlich) nächste Kanzler und Vorsitzende der CDU, Friedrich Merz: »Selbstverständlich kann man das reformieren.« Oder der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): »Wir werden sie nicht wegkriegen. Wir wollen sie auch gar nicht wegkriegen. Aber wir wollen, dass sie besser handhabbar wird.« (Scholz hatte als Finanzminister einer großen Koalition die SB zunächst brillant gehandhabt, in der Coronazeit »Wumms« und »Doppelwumms« veranstaltet und später, eine ganz große Koalition von Kriegsbegeisterten im Rücken, das zeitenwendische 100-Milliarden-Euro-Rüstungsprogramm auf den Weg gebracht. Noch etwas später unterlief ihm ein Fehler bei der Handhabung des Instruments, als das Verfassungsgericht monierte, die genehmigten Milliarden dürften nicht einfach von einem ausgelagerten Schuldentopf in einen anderen umgewidmet werden.) Schließlich noch das Kurzwahlprogramm des BSW: »Wir brauchen eine Reform der Schuldenbremse, um ein großes Investitionsprogramm zur Runderneuerung unserer Infrastruktur auf den Weg zu bringen.«

Das BSW befindet sich auf einer Linie mit dem, was der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Übereinstimmung mit dem DGB seit Jahren (genauer seit 2019) fordern. Das spricht nicht gegen die Forderung der kleinen neuen Partei. Dass in Deutschland der Staat zu wenig zum Erhalt der Infrastruktur tut, fällt mittlerweile auch internationalen Organisationen wie der OECD und dem IWF auf. Mit zu den wichtigsten Ursachen dafür, dass es das früher halbwegs effizient funktionierende Deutschland nicht mehr gibt, gehört die verrückte Schuldenbremse. Das wirklich Greuliche an ihr aber ist ihr antidemokratischer Charakter. Man stelle sich einmal zur Abwechslung vor, es gelänge, mit parlamentarischer Mehrheit eine Regierung in Berlin zu installieren, die eine soziale und ökonomische Umgestaltung einschließlich einer Egalisierung der Eigentumsverhältnisse ernsthaft betreiben wollte. Bevor sie damit auch nur anfangen könnte, würde sie vom durch die Schuldenbremse verunstalteten Grundgesetz daran gehindert, Wohnungen und Schulen zu bauen, Personal einzustellen und Banken zu verstaatlichen. Das kostet zunächst Geld. Erträge und höhere Steuern aus den Kassen der Superreichen und Monopole fließen erst später. Ohne Zweidrittelmehrheit im Bundestag und einer Mehrheit im Bundesrat wäre jede außergewöhnliche Schuldenaufnahme formal illegal.

Natürlich muss die Schuldenbremse weg.

Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Klaus-Jürgen H. aus 77694 Kehl (1. Januar 2025 um 19:39 Uhr)
    Schulden – wozu? Zu »Die greuliche Schuldenbremse« von Lucas Zeise, jW 28.12.2024: Spätestens seit der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Schiller in den 1960er Jahren im Bündnis mit den Christdemokraten die (staatsmonopolistische) Globalsteuerung ins GG schreiben ließ, gehören in Deutschland keynesianische Methoden zum Fundus bürgerlicher Wirtschaftspolitik. Im späteren neoliberalen Roll Back setzten die Sozialliberalen zusammen mit den Konservativen dem mehr oder weniger praktizierten Keynesianismus vermeintlich dauerhafte Grenzen durch die Schuldenbremse. Man wusste allerdings, dass Ausnahmen sehr wahrscheinlich notwendig werden. Die sind in der Politik immer wieder erforderlich, das Instrumentarium wird von Zeit zu Zeit erweitert, neuerdings durch Schattenhaushalte in Form von sogenannten Sondervermögen. Damit wird eine im Vergleich seit 1945 qualitativ neue Phase der Aufrüstung eingeleitet, die, zusammen mit anderen Entwicklungen, von Lucas Zeise in jW vom 14.12.2024 als »Übergang zur Kriegswirtschaft« eingeschätzt wird. Jetzt fordert Zeise die Abschaffung der Schuldengrenze, offenbar mit dem illusionären Wunsch, man könne dann trotz der Aufrüstung (zivile) Investitionen und Sozialprogramme tätigen. Die von ihm beklagte 2/3-Mehrheit für deren Abschaffung wird aber den Rüstungs-Keynesianismus nur wenig behindern – wie gehabt – und wenn, dann wird sich diese Mehrheit wahrscheinlich finden. Die Linke sollte sich die Verteilung der Finanzen und des Reichtums vornehmen, vor allem gegen die Aufrüstung kämpfen, keine (!) Verschuldung fordern. Die Prioritäten in den staatlichen Haushalten sollten analysiert werden und zu einem Programm der Veränderungen dieser führen. Die (groß-)kapitalistischen Setzungen dort sind den meisten Menschen unbekannt. Eine »Zeitenwende« auch bei den Linken ist erforderlich. Klaus-Jürgen Hügel Kehl

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