Grandpa und die Gangstaorgel
Von Thomas SalterNach einem Aufenthalt im US-amerikanischen Todestrakt, der sogenannten Death Row, sind die Karrierechancen nicht gerade üppig. Beim gleichnamigen Musiklabel Death Row sieht es schon etwas besser aus. Klar, Labelbegründer Suge Knight wird in der Verfolgung seiner beruflichen Träume empfindlich von einer 28jährigen Haftstrafe für Totschlag gebremst, und auch einer der Topseller des Labelrosters, 2Pac, kann sich nach seiner Ermordung 1996 nicht mehr über die Einnahmen freuen, die sein Name noch immer garantiert. Aber Snoop Dogg und Dr. Dre, die das Label mit den Alben »The Chronic« (1992) und »Doggystyle« (1993) weltberüchtigt machten, sind immer noch dick im Geschäft. Ja, durchaus noch im musikalischen Sinne.
Mit »Missionary« haben die zwei nach über 30 Jahren wieder ein Album zusammen gestemmt – und es ist, anders als der Titelbezug auf die angeblich langweiligste aller Sexstellungen suggeriert, recht wild. Denn Produzentenlegende Dr. Dre nimmt jedes erdenkliche musikalische Aphrodisiakum zu Hilfe: Tom Petty wird für Snoops Marihuanaliebeslied »Last Dance With Mary Jane« gesampelt, der berühmte Sus-2-Akkord-Lauf von The Police’ »Message in a Bottle« muss für »Another Part Of Me« herhalten, MIAs »Paper Plane« fliegt durch »Outta Da Blue«.
Auch wenn Dre sich also wild durch vergangene Charthits vögelt: Lieblos sind die Beats keinesfalls. Im Gegenteil, im Vergleich zu seinen vielgerühmten Werken der 1990er und 2000er (»Nuthin’ but a G Thang«, »Let Me Ride«, »Still Dre«), sind seine Klangkulissen kunstvoller geworden. Als er in den 90ern den G-Funk miterfand, musste er noch mit wenigen, aber feinen Bausteinen vorliebnehmen: Samples von Parliament-Funkadelic, den Sampler E-mu SP-1200 für die Drums, dazu einen Minimoog-Model-D-Synthesizer für die Basslines und die mit Glissando gespielte hohe »Gangstaorgel« (etwa in »Nuthin’ but a G Thang«). Und zu guter Letzt: die natürliche Kompression einer Studer-A800-Bandmaschine, um den Mix fetter zu machen. Damit verwandelte er kostengünstig Soul- und Funksamples in bombastische, melodiöse Tracks, die förmlich nach Compton-Barbecues mit Sonne, Weed und Gin and Juice rochen.
Auch wenn die Songs jetzt eher nach teuren Club Tours mit Lasershows und Champagner duften: Die Musikalität und der tontechnische Perfektionismus von damals sind auch hier überall zu hören. Zusätzlich hat Dre die sogenannte Interpolation von Samples perfektioniert: Die gewünschten Elemente geliebter Tracks werden im Studio mit Liveinstrumenten nachgespielt, um bei der Bearbeitung mehr Optionen zu haben. Die Beats verlieren ihren rohen Charme, verbinden aber ihre Elemente viel gefühlvoller.
Auch Snoop liefert auf »Missionary« Bestform, rappt sich unvergleichlich smooth und wortspielend durch die Klanglandschaften – in vielen Liedern klingt er sogar täuschend nüchtern. Aber keine Sorge: Seine intensive Liebesbeziehung zu Cannabis, die laut »Last Dance With Mary Jane« schon im Alter von fünf Jahren begann, hält an. Schließlich verkauft der Mann inzwischen seine eigene Grassorte, eins seiner vielen Karrierestandbeine – eine Kochshow mit Fernsehköchin Martha Stewart, eine Rotweinmarke, Cocktails in der Dose und vieles mehr.
Auch Dr. Dre ist auf die Musik nicht mehr angewiesen, seit er sein Kopfhörerunternehmen »Beats« 2014 mit 500 Millionen US-Dollar Gewinn an Apple verkauft hat. Was für den eher langsam arbeitenden Dre auch ein Segen ist. Denn genau das wollte er immer, wie man sich in der Netflix-Doku »The Defiant Ones« (2017) überzeugen kann: Musik machen und anderen die Geschäfte überlassen. Anfangs bei NWA waren das noch der Bandleader Eazy E und dessen zwielichtiger Manager Jerry Heller, danach Suge Knight und die aktiven Mitglieder der Blood-Gang. Die ständige Gewalt bei Death Row brachte Dre schließlich dazu, seine Labelanteile abzustoßen, sogar ohne Bezahlung, weil er danach vertraglich frei war, anderswo Musik zu machen – alles übrigens unterhaltsam und profitabel dramatisiert in dem Spielfilm »Straight Outta Compton« (2015), produziert unter anderem, na klar, von Dr. Dre.
Snoop Dogg, der in den 1990ern auf dem Höhepunkt der East-Coast-West-Coast-Streitereien ebenfalls Death Row verließ, ist übrigens inzwischen wieder dort gelandet: Er hat das insolvent gegangene Label 2022 gekauft. Ein Wiederholungstäter.
Snoop Dogg: »Missionary« (Death Row/Aftermath/Interscope)
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