Anschlag als Vorwand
Von Kristian StemmlerDer Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg vor einer Woche wird zunehmend für den laufenden Bundestagswahlkampf instrumentalisiert. Dafür sorgt vor allem die Union. CSU-Chef Markus Söder forderte am Wochenende mit Blick auf die Ereignisse eine »Zeitenwende« beim Schutz der inneren Sicherheit. »Wir müssen endlich aufwachen. Wir leben in einer anderen Zeit«, erklärte Söder gegenüber Bild am Sonntag (BamS). Vor einer Woche war ein aus Saudi-Arabien stammender Psychiater mit einem SUV über den Weihnachtsmarkt in Magdeburg gerast. Fünf Menschen starben, 200 wurden verletzt. Der 50jährige war im Milieu rechter »Islamkritiker« aktiv und warf Deutschland im Internet vor, die »Islamisierung« Europas zu betreiben.
Für die Union sei es »ganz zentral«, in einer neuen Regierung ihr Sicherheitskonzept umzusetzen, das die Handschrift der CSU trage, erklärte Markus Söder der Bild am Sonntag. Damit bezog er sich auf die Aufrüstungskampagne, die nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als »Zeitenwende« beschrieben worden war. Söder machte klar, dass eine solche in erster Linie mehr Repression und mehr Überwachung bedeutet. So betonte er, die Vorratsdatenspeicherung sei zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus »elementar wichtig«. Deutschland wäre ohne die amerikanischen Geheimdienste »ohnehin blind«, klebe sich aber »auch noch zusätzlich die Augen ständig zu«. Es müsse ein »biometrischer Abgleich mit den vorhandenen Kameras« an Bahnhöfen und anderen öffentlichen Plätzen mit Hilfe von KI »endlich möglich sein, um schnell fahnden zu können und zu wissen, wer sich wo bewegt«. Eine Umsetzung dieser Forderung könnte zu einer Massenüberwachung mit Hilfe von Gesichtserkennung führen, vor der Bürgerrechtsorganisationen schon lange warnen – dabei war der Täter von Magdeburg den Behörden bekannt, es hatten sogar zwei sogenannte Gefährderansprachen gegeben.
Für den Fall eines Wahlsiegs der Union schloss der CSU-Chef erneut eine Beteiligung von Bündnis 90/Die Grünen kategorisch aus. »Da bin ich ganz felsenfest klar«, sagte er gegenüber der BamS. Die Grünen seien »Hauptbremser beim Thema Migration«. Zudem hätten sie sich »geradezu geistig versklavt« gegenüber ihrem Kanzlerkandidaten Robert Habeck.
Auch der SPD-Kovorsitzende Lars Klingbeil forderte mit Blick auf den Anschlag von Magdeburg Gesetzesverschärfungen. Wer mit Anschlägen drohe oder sie verherrliche, verliere das Recht, in Deutschland zu bleiben, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Das Ausweisungsrecht sei bereits entsprechend verschärft worden. Zur Frage, warum Taleb A., der Attentäter von Magdeburg, zuschlagen konnte, obwohl er mehrfach Gewalttaten angekündigt hatte, verwies Klingbeil auf die geplanten Sondersitzungen des Innenausschusses und des Parlamentarischen Kontrollgremiums am Montag.
Auch der Ukraine-Krieg ist weiter Thema vor den vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar. CDU-Chef Friedrich Merz bekräftigte am Sonntag gegenüber dpa die Forderung nach einer Lieferung von »Taurus«-Marschflugkörpern an die Ukraine, die Scholz ausgeschlossen hatte. Zu dessen Argument, die BRD werde durch eine solche Lieferung zur Kriegspartei, sagte Merz, die USA, Frankreich und Großbritannien lieferten vergleichbare Waffensysteme und seien »durch die Lieferung nicht zur Kriegspartei geworden«. Der CDU-Chef forderte zudem für eine deutsche Beteiligung an einer Ukraine-Friedenstruppe ein völkerrechtliches Mandat, möglichst im Konsens mit Moskau. Es gebe den gemeinsamen Wunsch, so schnell wie möglich den Frieden in der Ukraine wiederherzustellen, so Merz, dies dürfe aber »kein Diktatfriede sein«.
Die SPD-Kovorsitzende Saskia Esken erklärte unterdessen gegenüber dpa, sie könne sich eine Koalition mit dem BSW unter Sahra Wagenknecht auf Bundesebene wegen tiefgreifender Differenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik momentan nicht vorstellen. Das Agieren der Parteichefin in diesen Politikfeldern sei »sehr abenteuerlich, sehr nah an Russland, sehr kritisch gegenüber jeder Art der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und der NATO«, sagte Esken. Auf Landesebene könne man »solche Dinge weglächeln und in Präambeln schreiben«. Auf Bundesebene funktioniere das nicht.
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