Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 30.12.2024, Seite 6 / Ausland
Jahresrückblick 2024

Imperium erodiert

Jahresrückblick 2024. Heute: USA. Kriege und Wahlkämpfe mit Milliarden befeuert, Proteste im Innern mit Gewalt zerschlagen
Von Alex Favalli
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Die USA als engste Verbündete Israels dulden keinen Protest gegen ihre Kriegspolitik (Los Angeles, 2.5.2024)

Die USA lassen ein einschneidendes Jahr hinter sich. Der erneute Wahlsieg von Donald Trump rückt medial häufig die Frage der demokratischen Integrität des Landes in den Mittelpunkt. Ein Blick jenseits der zwei großen Parteien – Republikaner und Demokraten – zeigt jedoch, dass strukturelle Kontinuitäten trotz dieser Zäsur mehr Gewicht behalten. Und schon unter dem scheidenden Präsidenten Joe Biden blieb das System trotz politischer Spannungen, zunehmender sozialer Ungleichheit und der Eskalation internationaler Konflikte davon weitgehend unberührt. Vielmehr wurde ein Land sichtbar, das unter der Last seiner systemischen Probleme ächzt, während die politische Elite zwischen Autoritarismus und halbherzigen Reformen schwankt.

Die US-Grenze zu Mexiko wurde beispielsweise zum Schauplatz einer Migrationspolitik, die den Einsatz von Gewalt nicht nur duldet, sondern inzwischen voraussetzt. Die Mobilmachung der Nationalgarde in Texas führte im Januar zu einem offenen Konflikt mit dem Weißen Haus, da dies eigentlich zu den Kompetenzen der föderalen Grenzwache gehört. Das Oberste Gericht gab zunächst der Regierung Biden recht. Der republikanische Gouverneur Greg Abbott weigerte sich jedoch, das Urteil zu befolgen, und reagierte im März mit einer noch aggressiveren Grenzstrategie: Erstmals befugte er die texanischen Behörden, Migranten zu verhaften und deportieren zu dürfen. Der umstrittene Schritt wurde dann durch ein erneutes Urteil des Supreme Court gedeckt. Allein der Kurswechsel des mehrheitlich republikanisch besetzten Gerichts zeigt, wie sehr sich der Föderalismus der USA in ideologische Lagerkämpfe verstrickt hat. Mit der Unterstützung von 23 Bundesstaaten hat Texas faktisch eine eigene Migrationspolitik etabliert, die rassistische Feindbilder instrumentalisiert. Stacheldraht, Mauern und Militarisierung dominieren die Grenzgebiete, während die humanitären Bedürfnisse von Geflüchteten systematisch ignoriert werden.

Kriminalisiert wurden auch US-Bürger, die ihr Recht auf Versammlungsfreiheit in Anspruch nahmen. In Washington versammelten sich am hundertsten Kriegstag im Gazastreifen im Februar über 100.000 Menschen, um gegen die US-Unterstützung für Israel zu demonstrieren. Und hier, wie in anderen westlichen Staaten, zeigte sich die Regierung unnachgiebig und maximal repressiv. Und selbst die dramatische Selbstverbrennung des US-Air-Force-Soldaten Aaron Bushnell, der »sich nicht länger an einem Völkermord mitschuldig machen« wollte, wurde mit lautem Schweigen bedacht.

An Universitäten wie der Columbia oder der UCLA, wo propalästinensische Camps eingerichtet wurden, griffen die Behörden noch härter durch: Hunderte Studierende wurden verhaftet, Protestlager gewaltsam geräumt und die Demonstranten pauschal des Antisemitismus beschuldigt, obwohl auch Hunderte jüdische Studierende an den Protesten teilnahmen. Hingegen wurden die Angriffe auf propalästinensische Aktivisten durch ultrarechte zionistische Gegendemonstranten weitgehend ignoriert.

Alte und neue Probleme

Außerdem wurden die USA von Klimakatastrophen auch dieses Jahr nicht verschont: Laut dem National Centers for Environmental Information wurden insgesamt 24 »Klimadesaster« registriert, die den Tod von rund 418 Menschen verursacht hätten. Vier tropische Wirbelstürme, 17 Stürme, ein Flächenbrand und zwei Winterstürme hatten erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auf die betroffenen Gebiete und legten einmal mehr die Verwundbarkeit der Infrastruktur offen. Während ärmere Gemeinden am härtesten getroffen wurden, investierte die Regierung lieber Milliarden in militärische Satelliten zur Überwachung russischer Nuklearambitionen – die politische Klasse wahrt weiter den Schulterschluss mit der fossilen Industrie.

Immerhin verzeichnete das Land nach Angaben des Gun Violence Archive einen Rückgang der Massenerschießungen. Bis Mitte Dezember wurden 488 davon registriert, während die Zahlen der vergangenen vier Jahre jeweils bei mehr als 600 Massenerschießungen lagen. Das Archive definiert eine Massenerschießung als einen Vorfall, bei dem mindestens vier Menschen verletzt oder getötet werden – sowohl im privaten Raum als auch an öffentlichen Orten.

Zudem schreitet die Konzentration des Kapitals verlässlich voran: Die vier größten Banken, gemessen an den Gesamteinlagen, werden in diesem Jahr 44 Prozent der Bankgewinne insgesamt für sich verbuchen können. Für J. P. Morgan Chase, Bank of America, Citigroup und Wells Fargo ist dies der größte Anteil seit 2015. In absoluten Zahlen haben die vier Banken um die 88 Milliarden US-Dollar Profit eingefahren. Diese vier und die drei nächstgrößeren Banken – U. S. Bancorp, PNC und Truist – werden zusammen 56 Prozent der Bankgewinne einfahren, obwohl das Land mehr als 4.000 Kreditinstitute hat.

Straftäter als Präsident

Schließlich genoss die parteipolitische Landschaft die meiste Aufmerksamkeit, da sich der Wahlkampf beinahe über das ganze Jahr zog. Trump gelang es, seinen Prozess als ein politisches Diffamierungsmanöver der Liberalen darzustellen. Neben zwei Attentatsversuchen, die er im Sommer überlebte, segnete das Oberste Gericht den Präsidentschaftskandidaten mit einem bahnbrechenden Urteil: Der US-Präsident wird in Zukunft vor Strafverfolgung bewahrt bleiben, solange die Rechtsbrüche als Amtshandlungen gelten.

Im Juli kündigte Biden dann endlich an, aus dem Wahlkampf auszuscheiden. Da ein amtierender Präsident für die Wiederwahl in der Regel nicht ersetzt wird, war auch dies ein bemerkenswerter Schritt. Vizepräsidentin Kamala Harris startete drei Monate vor der Abstimmung ihren Wahlkampf für die Demokraten, konnte trotz deutlich höherer Spenden als ihr Gegner (mehr als eine Milliarde US-Dollar) die Wählerschaft letztlich nicht überzeugen. Trump gewann im November die Präsidentschaftswahlen und steht nun für eine neue, radikalisierte republikanische Partei, die sowohl im Senat als auch im Abgeordnetenhaus die Mehrheit erlangen konnte. Die demokratischen Oligarchen werden ihre Bemühungen ebenfalls neu orientieren müssen, um sich ihr Plätzchen in den Machträngen des republikanischen Lagers zu sichern.

Mit dem Sieg eines verurteilten Straftäters, der von libertären Kapitalisten wie Elon Musk und Vivek Ramaswamy unterstützt wird, zeigt sich jedenfalls, wie sehr die Demokratie in den USA zur Farce verkommen ist. Währenddessen brach Biden sein Versprechen und ließ seinen verurteilten Sohn Hunter Biden in den letzten Wochen seiner Amtszeit begnadigen. Schwerwiegender war sein Beschluss im Dezember, die Beschränkungen für ukrainische Angriffe auf russisches Gebiet aufzuheben – eine Eskalation, die das globale Sicherheitsrisiko weiter erhöht und das Vorhaben Trumps, einen Waffenstillstand zu erreichen, erschweren wird.

Von der Exekution eines Häftlings in Alabama durch Stickstoffhypoxie – eine »Innovation« im Arsenal der Todesstrafe – über den Fall Luigi Mangione, der den United-Healthcare-Boss Brian Thompson im Dezember erschoss, bis hin zur symbolträchtigen Freilassung von Julian Assange nach einem fragwürdigen Deal mit der US-Justiz: 2024 war ein Jahr, das die Erosion von Menschenrechten und den fortschreitenden Abbau demokratischer Grundwerte eindrücklich unter Beweis stellte.

Doch wirklich neu ist das nicht: Während die politische Klasse mit milliardenschweren Militärhilfen für Kriege im Ausland beschäftigt war, gingen Hunderttausende auf die Straßen, um zu streiken, zu protestieren, Gerechtigkeit zu fordern. Die Regierung reagierte darauf teils ignorierend, teils repressiv. Und im kommenden Jahr wird sie sich die herrschende Elite unter Trump wohl mit noch mehr Befugnissen ausstatten. Die Bevölkerung wird hingegen mit schweren Zeiten rechnen müssen. Schon in diesem Jahr ist die Zahl der Menschen ohne Obdach um 18,1 Prozent gestiegen, und mehr als 25 Millionen US-Amerikaner sind nach wie vor ohne Krankenversicherung.

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