»Versehentlich abgeschossen«
Von Reinhard LauterbachDer russische Präsident Wladimir Putin hat den mutmaßlichen Abschuss einer aserbaidschanischen Passagiermaschine über Tschetschenien bedauert. In einem Telefongespräch mit seinem aserbaidschanischen Kollegen Ilham Alijew sagte Putin am Sonnabend, zum Unglückszeitpunkt sei die Flugabwehr im Süden Russlands wegen ukrainischer »Terrorangriffe auf zivile Infrastruktur« »aktiv« gewesen. Er bat um Entschuldigung für den »tragischen Vorfall«, der sich im russischen Luftraum ereignet habe. Von einem versehentlichen Abschuss durch die Luftabwehr sprach er allerdings nicht direkt. Ähnlich äußerte sich Putin auch gegenüber dem kasachischen Präsidenten Kassim-Schomart Tokajew, in dessen Land die Maschine nach einer Flucht über mehr als 450 Kilometer aus dem Kampfgebiet beim Versuch einer Notlandung am vergangenen Mittwoch abgestürzt war.
Während es auf russischer Seite mit Berufung auf die noch andauernden Ermittlungen weiter keine klare Darstellung der Abläufe gibt, erklärte der aserbaidschanische Staatschef am Sonntag: »Unser Flugzeug wurde versehentlich abgeschossen.« Die Maschine sei einer Art elektronischer Störung ausgesetzt gewesen und dann beim Anflug auf Grosny beschossen worden. Der Chef der russischen Flugaufsicht hatte zuvor von einer »schwierigen« Situation zum Abschusszeitpunkt über dem Flughafen der tschetschenischen Hauptstadt gesprochen. Die aus Baku kommende Maschine habe dreimal zu landen versucht und sei erst dann nach Osten in Richtung Kaspisches Meer und Kasachstan abgedreht.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas forderte eine »rasche internationale Untersuchung« des Vorfalls und zog einen Vergleich zum Abschuss der malaysischen Verkehrsmaschine MH17 im Juli 2014 über dem Donbass. In den USA sprach Sicherheitsberater John Kirby von der Wahrscheinlichkeit eines unbeabsichtigten Abschusses der Maschine. Das Auswärtige Amt teilte mit, zwei der Überlebenden hätten Wohnsitze in Deutschland gehabt. Ob es sich um deutsche Staatsbürger handelt, wurde nicht präzisiert. Erste Analysen der Passagierliste sprachen von überwiegend aserbaidschanischen, russischen und kirgisischen Staatsbürgern an Bord der Maschine.
In der Ukraine setzen russische Truppen ihren Vormarsch im Donbass fort. Am Sonntag meldeten auch ukrainische Kriegsblogger, dass sie in der Ortschaft Pistschane südwestlich von Pokrowsk das Verwaltungsgebäude der größten Kohlenzeche der Region eingenommen hätten. Das Bergwerk ist eines von nur noch zwei Abbaustätten für Kokskohle, die für die Verhüttung von Metallerzen erforderlich ist. Der Eigentümer des Bergwerks, die dem Oligarchen Rinat Achmetow gehörende Holding Metinvest, teilte mit, dass die Förderung in der Anlage schon seit dem 12. Dezember wegen der »angespannten Sicherheitslage« eingestellt und das Personal evakuiert worden sei. Die andere Grube für Kokskohle liegt im Moment noch etwa sechs Kilometer von der Front entfernt.
Weiter südlich in Kurachowe drangen russische Truppen nach aktuellen Meldungen auf das Gelände des ehemaligen Kohlekraftwerks vor, um das die Stadt zu sowjetischen Zeiten errichtet worden war. Westlich und südwestlich von Kurachowe wurden wichtige Verbindungsstraßen in die Regionen Saporischschja und Dnipro, über die der ukrainische Nachschub läuft, durch russische Vorstöße unterbrochen. Ukrainische Soldaten beschwerten sich in Interviews u. a. mit der Deutschen Welle, dass die rückwärtigen Befestigungslinien kaum oder nur mangelhaft ausgebaut worden seien. Dadurch seien sie militärisch wertlos. In manchen Fällen habe die örtliche Bevölkerung das angelieferte Bauholz für die Schützengräben gestohlen und die ausgehobenen Gräben mit Müll gefüllt. Auch von Korruption bei der Beschaffung der Baumaterialien für den Grabenbau war in ukrainischen Medien zuletzt die Rede.
Unterdessen hat der russische Außenminister Sergej Lawrow am Sonntag erklärt, dass sein Land sich nicht mehr an ein stillschweigendes Moratorium für die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa halten werde. Die USA hätten Warnungen von seiten Russlands und Chinas »arrogant übergangen« und seien dabei, Waffen dieser Klasse in verschiedenen Weltregionen zu stationieren.
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