Rechte Rechtsverdreher
Von Martin WeiserBei der kurzzeitigen Verhängung des Kriegsrechts in Südkorea Anfang des Monats hat der mittlerweile suspendierte Präsident Yoon Suk Yeol dem Militär nach Angaben der Staatsanwaltschaft vom Sonnabend den Einsatz von Waffen erlaubt. Den AFP vorliegenden Dokumenten zufolge soll Yoon dem Chef des Verteidigungskommandos der Hauptstadt Seoul gesagt haben, dass das Militär, wenn nötig, schießen könne, um in das Parlament zu gelangen. »Sind Sie immer noch nicht drin? Was machen Sie da? Brechen Sie die Tür auf, und zerren Sie sie raus, auch wenn das Schüsse bedeutet«, soll Yoon dem Bericht der Staatsanwaltschaft zufolge zu Lee Jin Woo gesagt haben.
Zuvor begann am Freitag die Gerichtsverhandlung gegen Yoon für seinen Putschversuch am 3. Dezember. Per Los wurde Cheong Hyung Sik zum Vorsitzenden Richter des Verfahrens bestimmt, den Yoon noch im Dezember persönlich ausgewählt und eingesetzt hatte. Der scheint kaum neutral in diesem Fall, und als Geschmäckle kam noch hinzu, dass Yoon am 6. Dezember quasi als letzte Amtshandlung dessen Schwägerin und neurechte Aktivistin Park Sun Young zur Chefin der staatlichen Kommission für Wahrheit und Versöhnung gemacht hatte.
Der Präsident selbst schert sich weiter nicht um Recht und Ordnung, obwohl er noch vor wenigen Jahren oberster Staatsanwalt war. Nicht überraschend erschien er weder zu den vorherigen Verhörterminen bei Polizei und Staatsanwaltschaft noch am ersten Prozesstag im Verfassungsgericht. Die Anklageschrift konnte ihm bisher ebenfalls nicht zugestellt werden, weil er die Annahme per Post oder Sonderboten schlicht verweigerte. Erst wenige Stunden vor Prozessbeginn ließ er verlautbaren, welche Anwälte ihn dort vertreten werden. Mit Bae Bo Yoon ist das unter anderem ein ehemaliger Mitarbeiter des Verfassungsgerichts, der zur Zeit des Amtsenthebungsverfahrens gegen die Diktatorentochter Park Geun Hye Ende 2016 dort für Öffentlichkeitsarbeit zuständig war. Bae meinte später, sich für die erfolgreiche Absetzung von Park entschuldigen zu müssen.
Außerhalb des Gerichtssaals versucht nicht nur Yoons Regierung, sondern auch seine Partei PPP alles, um das Amtsenthebungsverfahren auszuhebeln. Nur sechs der neun Richterstellen sind derzeit am Obersten Gericht besetzt, und laut Verfassung müssten sechs für die Amtsenthebung stimmen. Deswegen kreiert die PPP eine neue Verfassungsinterpretation nach der anderen, um die Neubesetzung der offenen drei Stellen zu verhindern. Am Donnerstag stimmte die Opposition mit ihrer Mehrheit im Parlament für die Ernennung von drei neuen Richtern, von denen einer sogar vorher von der Regierungspartei ausgewählt wurde. Laut Verfassung sollen je drei Richter vom Parlament, dem Präsidenten sowie vom Präsidenten des Verfassungsgerichts ausgewählt werden. Diese Klausel wollte die PPP missbrauchen, um zu argumentieren, der seit Yoons Amtsenthebung amtierende Präsident Han Duck Soo könne rein rechtlich gar keine Verfassungsrichter ernennen.
So weigerte sich der als Ministerpräsident selbst in den Putschversuch involvierte Han mit Hinweis auf diese abstruse Interpretation, die drei neuen Richter zu ernennen, und wurde deswegen von der Demokratischen Partei mit ihrer Parlamentsmehrheit kurzerhand ebenfalls per Amtsenthebungsverfahren seiner Position enthoben. Die PPP war sich erneut nicht zu schade, die Verfassung für den eigenen Vorteil zu verdrehen. Nach ihr hätten wieder zwei Drittel aller Abgeordneten dafür stimmen müssen und nicht nur 151, also die Hälfte des Parlaments. Die PPP hat bereits gedroht, für eine einstweilige Verfügung vor das Verfassungsgericht zu ziehen.
Hans erster Vize, der Finanzminister Choi Sang Mok, ist allerdings seit Freitag erst einmal amtierender Präsident, und wie er sich verhalten wird, ist noch unklar. Als wirtschaftspolitischer Experte, der 30 Jahre im Finanzministerium Karriere gemacht hat, könnte er sich rationaler verhalten als die rechten Wirrköpfe vor ihm. Sollte er ebenfalls die Ernennung der neuen Richter blockieren, droht die Demokratische Partei bereits damit, auch ihn aus dem Amt zu entfernen sowie jeden seiner Nachfolger, der sich ebenso verhält.
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