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Aus: Ausgabe vom 31.12.2024, Seite 6 / Ausland
Jahresrückblick Philippinen

Machtkämpfe und Vasallentreue

Jahresrückblick 2024. Heute: Philippinen. Die frühere US-Kolonie lässt sich weiter von Washington gegen Beijing in Stellung bringen
Von Rainer Werning
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Beulen und ausgeschlagene Zähne: Demonstranten verspotten die Politik der Regierung Marcos (Quezon-Stadt, 22.7.2024)

Die vergangenen zwölf Monate waren innenpolitisch das turbulenteste Jahr in der Geschichte der Republik der Philippinen seit ihrer Gründung am 4. Juli 1946. Außenpolitisch verstärkte die Regierung unter Ferdinand Marcos jr. ihre Vasallentreue gegenüber der einstigen Kolonialmacht USA (1898–1946) und riskiert so einen unkalkulierbaren Konfrontationskurs mit der Volksrepublik (VR) China. Am Donnerstag vergangener Woche beging die Kommunistische Partei der Philippinen (CPP) den 56. Jahrestag ihres Bestehens. Sie führt damit den längsten revolutionären Kampf in Südostasien. Last, but not least wurde der südostasiatische Inselstaat durch eine außergewöhnliche Häufung von Taifunen heimgesucht, die große Verwüstungen anrichteten und die Landwirtschaft vielerorts zerrütteten.

Es zeugte von beispielloser politischer Innigkeit, als der Sohn des einstigen Diktators Ferdinand E. Marcos und die Tochter des aus dem Amt scheidenden Präsidenten Rodrigo R. Duterte ein Traumpaar bildeten und im letzten Präsidentschaftswahlkampf im Frühjahr 2022 als »Unity-« bzw. »Uniteam« antraten. Haushoch machten Ferdinand Marcos jr. und Sara Duterte das Rennen – er wurde Präsident, und sie gesellte sich als Vizepräsidentin an seine Seite. Beide sind Sprösslinge gewichtiger politischer Clans und Familiendynastien und führten sich nach ihrer Amtseinführung auf, als genössen sie absolute Immunität. Beide sind überdies machtverwöhnt und buhlen darum, wer die meisten staatlichen Ämter und größten Ressourcen am effektivsten für die jeweils eigene Klientel besetzt beziehungsweise abschöpft.

Hauen und Stechen der Eliten

Zum ersten Zwist an der Staatsspitze kam es, als Marcos das Vorhaben seiner Vize durchkreuzte, das Verteidigungsministerium zu übernehmen. Zerstoben war so der Plan der Dutertes, das Ressort als wichtige Plattform zu nutzen, um einen fortgesetzt chinafreundlichen Kurs zu steuern. Aus dem Zwist wurde ein Zerwürfnis, als die Vizepräsidentin seit Sommer dieses Jahres mehrfach zu Anhörungen in eigens vom Senat und dem Abgeordnetenhaus eingesetzten Untersuchungskommissionen vorgeladen wurde. Im Vordergrund standen Fragen, wie, wann, an wen und in welcher Höhe geheime Gelder von Sara Duterte als Marcos’ Stellvertreterin und gleichzeitiger Bildungsministerin geflossen waren. Die Vizepräsidentin verweigerte klare Antworten, kündigte ihren Ministerposten im Kabinett kurzerhand auf und geriet im Zuge dieser Anhörungen immer mehr in Rage. Dem Marcos-Lager warf sie vor, Intrigen zu schüren und sie mittels eines Amtsenthebungsverfahrens (Impeachment) politisch ins Abseits bugsieren zu wollen. Die Ratingagentur Fitch stufte die Philippinen erst jüngst herab, weil der Marcos-Duterte-Clinch weder politische Stabilität garantiere noch Anreize für ausländische Investitionen biete.

Der Politikwissenschaftler und Kolumnist der Tageszeitung Philippine Daily Inquirer (PDI) Richard Heydarian attestierte Sara Duterte Mimosenhaftigkeit und kritisierte ihr Verhalten in der PDI-Ausgabe vom 24. Dezember mit den Worten: »Bereits im September habe ich auf diesen Seiten (…) dargelegt, wie sich Sara Duterte durch ›eine Reihe von PR-Desastern, gefolgt von einem noch katastrophaleren Auftritt bei mehreren legislativen Anhörungen, als schlechte Kopie ihres Vaters entlarvt hat‹. In den darauffolgenden Wochen verschlimmerte sie ihre Situation, indem sie offen das Leben des Präsidenten, der First Lady und des Sprechers des Repräsentantenhauses bedrohte. Abgesehen von ihren persönlichen Beschränkungen und ihrer miserablen Leistung im Amt leidet Sara Duterte jedoch an einer weiteren strukturellen Schwäche: dem Fehlen ›eines Angstfaktors‹.« Womit die Fähigkeit gemeint ist, gezielt Angst zu schüren und Furcht einzuflößen, was ein Markenzeichen ihres Vaters war.

Rodrigo Duterte hatte anlässlich einer eigenen Anhörung im Senat sowie im Abgeordnetenhaus unumwunden zugegeben, während seiner Präsidentschaft (2016–22) staatlichen Einsatzkräften Schießbefehle im Rahmen des von ihm gestarteten blutigen »Antidrogenkriegs« erteilt zu haben. Das, so der Expräsident, habe er »zum Wohle und Nutzen der Nation« getan, wofür er letztlich die alleinige Verantwortung trage. Von Reue keine Spur – und bis heute ist gegen diesen Mann kein Strafverfahren eingeleitet worden. Einmal mehr ein Beweis für die hohe Elastizität des philippinischen Justizsystems, das die politische Elite im Lande mit Glacéhandschuhen anpackt, doch unverzüglich und knallhart gegen Arme und Marginalisierte vorgeht.

China bleibt im Visier

Wenn Geographie tatsächlich Schicksal ist, dann sind die Philippinen das beste Beispiel dafür. Den herausragenden geopolitischen und geostrategischen Wert des Archipels hatte schon vor reichlich einhundert Jahren der US-General Arthur MacArthur, Vater des berühmteren Douglas, erkannt. Als Leiter der US-amerikanischen Soldateska, die das Land 1898 und in den Folgejahren unterwarf, notierte der ältere MacArthur, es sei »die schönste Inselgruppe der Welt. Ihre strategische Lage wird von keiner anderen Position auf dem Globus übertroffen. Das Chinesische Meer, das sie durch etwa 750 Meilen vom Kontinent trennt, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Sicherheitsgraben. Die Inselgruppe liegt zentral auf einer Küstenlinie von mehreren tausend Meilen Länge. Sie ist daher verhältnismäßig besser positioniert als Japan, das sich an der Flanke und damit am Ende der Linie befindet, ebenso wie Indien, das auf der entgegengesetzten Seite liegt. Die Inseln bieten mit ihrer beherrschenden Stellung ein Mittel zum Schutz amerikanischer Interessen, um mit geringstem Einsatz von physischer Kraft feindliche Aktionen zu verzögern.«

Ging es Washington um 1900 darum, die Philippinen als Sprungbrett zu »den schier unermesslichen Märkten Chinas« zu nutzen, so soll der Archipel heute als vorgeschobene Basis gegen die Volksrepublik ausgebaut werden. Zugute kam Uncle Sam dabei die Botmäßigkeit der philippinischen Elite, die aus seiner Sicht gelehrige »kleine braune Brüder« waren, wie es der erste Gouverneur der USA auf den Philippinen einst nannte. Und sie sind es im Kern bis heute – inklusive eines starren Antikommunismus – geblieben, berücksichtigt man allein das enge Geflecht bilateraler Verträge und Exekutivabkommen im militärischen Bereich. Darunter fällt heute auch und gerade die Lieferung des »Typhon«-Systems, eines von Lockheed Martin entwickelten Raketenwerfers, bei dem »Tomahawk«-Marschflugkörper und SM-6-Raketen, die von den Philippinen aus das chinesische Festland erreichen können, von großen Sattelschleppern aus gestartet werden.

Beijing hat die Installation des Systems auf philippinischem Boden als weitere unnötige Eskalation von Grenzstreitigkeiten im Südchinesischen Meer gebrandmarkt. Die Anschaffung des »Typhon«-Systems »ist geplant, weil es von seinen Voraussetzungen und seiner Funktionalität her in unser Konzept der archipelagischen Verteidigung passt«, erklärte demgegenüber der Kommandeur der philippinischen Armee, Generalleutnant Roy Galido, auf einer Pressekonferenz kurz vor Weihnachten. Dazu passend heißt es in einer anlässlich des CPP-Jahrestags am 26. Dezember veröffentlichten Erklärung ihres Zentralkomitees: »Die Unterwerfung des Marcos-Regimes unter die geopolitischen Interessen der USA zieht das Land in den Strudel eines zwischenimperialistischen Krieges.«

Rainer Werning ist Mitherausgeber des im Sommer 2025 im Wiener Promedia-Verlag erscheinenden Buches »Von Marcos zu Marcos. Die Philippinen seit 1965. Analysen, Berichte, Interviews«

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