Erst mal kein Regimewechsel
Von Reinhard LauterbachDie proeuropäische georgische Opposition hat ein erstes wichtiges Etappenziel verfehlt. Es gelang ihr trotz einer Großdemonstration am Sonnabend nicht, die Vereidigung und Amtseinführung des neuen Staatspräsidenten Micheil Kawelaschwili am Sonntag zu verhindern. Eine anschließende Protestkundgebung vor dem Parlamentsgebäude war offenbar weit schwächer besucht. Das russische Programm der Deutschen Welle zitierte einen örtlichen Telegram-Kanal mit der Aussage, vor dem Gebäude seien »mehr Polizisten als Demonstranten« aufmarschiert. Die Zahl der letzteren schätzte der Sender aus Drohnenaufnahmen auf »einige Dutzend«. Die Polizei nahm sechs Teilnehmer fest, ließ sie aber nach einiger Zeit wieder frei.
Zuvor hatte die von der prowestlichen Opposition gestellte alte Staatschefin Salome Surabischwili den Präsidentenpalast verlassen. Die Regierung hatte ihr angedroht, sie strafrechtlich zu belangen, wenn sie den Amtswechsel behindere. Vor Anhängern sagte Surabischwili, sie verlasse den Palast, bleibe aber Präsidentin und nehme »ihre Legitimität, die Flagge und euer Vertrauen« mit. Anschließend begab sie sich in eine Kirche der georgisch-orthodoxen Kirche in der Stadt Mzcheta bei Tbilissi, wo sie von einem Geistlichen dessen Dank dafür entgegennahm, dass sie einer Konfrontation ausgewichen sei. An weiteren öffentlichen Auftritten der Opposition nahm Surabischwili zumindest zunächst nicht teil. Ob sie auf eine Art Kirchenasyl hofft, war zunächst nicht klar.
Auf den Amtswechsel an der Spitze Georgiens reagierte der kollektive Westen verärgert, aber zumindest verbal zurückhaltend. Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte, man verfolge die Situation aufmerksam. Freie Möglichkeiten des politischen Ausdrucks seien für ein demokratisches Staatswesen unumgänglich. Der niederländische Außenminister Caspar Veldkamp forderte die georgische Regierung auf, die Möglichkeit einer Wahlwiederholung zu »prüfen«. Der republikanische US-Senator Joe Wilson rief den georgischen Demonstranten in Erinnerung, dass »die effizienteste Methode« des Kampfes sei, sich »an der Vorgehensweise von Martin Luther King und Václav Havel zu orientieren«, also offene Auseinandersetzungen mit der Polizei zu vermeiden. Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte, in Georgien hätten die »Doppelstandards« der »Strippenzieher aus Washington und Brüssel« eine Niederlage erlitten. Das georgische Volk habe sich »nicht manipulieren lassen«.
Auch die oppositionsnahe Internetplattform Jam-News veröffentlichte eine Analyse, die die Tatsache der Niederlage der Proeuropäer in gewundenen Worten einräumte. Sie zitierte eine Expertin aus dem NGO-Milieu mit den Worten, die Opposition müsse jetzt »ihr Unterstützerspektrum ausweiten« – womit die begrenzte soziale Reichweite der bisherigen Proteste eingeräumt wird – und die politische Lage im Land »deeskalieren«. Erst wenn die Anhänger der Partei »Georgischer Traum« ebenfalls begriffen hätten, dass ein Leben in einem proeuropäischen Georgien auch zu ihrem Vorteil sei, könne die Macht der Regierungspartei gebrochen werden.
Was die praktische Durchsetzung der Staatsmacht auf der Straße angeht, ließ der neue Präsident nichts anbrennen. An seinem ersten Amtstag am Montag unterzeichnete er eine Reihe von Neuerungen im Demonstrationsrecht; sie umfassen aus der deutschen Realität wohlbekannte Punkte wie ein Vermummungsverbot und eines, auf Demonstrationen Feuerwerkskörper und andere Pyrotechnik mitzuführen. Außerdem wurden das vollständige Blockieren von Straßen und das Bemalen öffentlicher Gebäude mit Parolen und Symbolen unter Strafe gestellt. Die angedrohten Geldstrafen für die einzelnen Verstöße wurden auf umgerechnet mehrere hundert Euro erhöht, nachdem sie zuvor eher symbolisch gewesen waren.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christoph H. (30. Dezember 2024 um 23:14 Uhr)Dass Frau Surabischwili sich im Jahr 2004 von der französischen Botschafterin in Georgien in die georgische Außenministerin verwandelte, wird auch eher zu selten erwähnt. Dabei ist es doch ein weiteres schönes Beispiel für das selbstlose Engagement des Wertewestens, wenn es darum geht, den vom Sowjetsystem unterjochten Völkern zur »Unabhängigkeit« zu verhelfen. Ohne jede Einmischung von außen natürlich.
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