Präsident mit Vorausblick
Von Helga Baumgarten, JerusalemWenn Palästinenser den Namen des am Sonntag im Alter von 100 Jahren verstorbenen Jimmy Carter hören, denken sie sofort an Camp David 1978 und an das Friedensabkommen des ägyptischen Präsidenten Anwar Al-Sadat mit Israel auf Kosten der Palästinenser. Die versprochene Selbstbestimmung und, daran anschließend, ein unabhängiger palästinensischer Staat bleiben bis heute ein Traum.
In der Westbank und im Gazastreifen lernte man den früheren US-Präsidenten auch anders kennen. Mit dem Carter-Center, das er nach dem Ende seiner Amtszeit (Januar 1977 bis Januar 1981) gründete, kam er einige Male zur Wahlbeobachtung in die besetzten palästinensischen Gebiete, zuletzt 2006. Die Wahlen, die überraschenderweise von der Hamas gewonnen wurden, waren, so das eindeutige Urteil Carters, einwandfrei und demokratisch. Die einzige nichtdemokratische Intervention kam von der Besatzungsmacht Israel. Sie verhinderte die Teilnahme der palästinensischen Jerusalemer am Urnengang. Wer abstimmen wollte, musste dazu – wie meine gesamte Familie – in einen Vorort außerhalb der Stadtgrenzen gehen, wie sie 1967, also zu Beginn der Besatzung, gezogen worden waren. Carter ordnete dies im Jahr darauf im Interview mit dem Politmagazin »Democracy Now« als »Apartheid« ein. Die Situation sei »sogar schlimmer, als es in Südafrika war«. 2006 hatte Carter zu dem Thema auch sein Buch »Palästina: Frieden, nicht Apartheid« veröffentlicht.
Im Unterschied zur negativen Haltung des sogenannten Nahostquartetts aus EU, UNO, USA und auch Russland mit seinem Ultimatum an die Hamas – »Entweder ihr akzeptiert, was wir von euch fordern, oder wir boykottieren euch« – hatte Carter eine andere Botschaft an die Palästinenser und an den Wahlsieger. Er wünschte, dass die Hamas internationale Regeln akzeptiere und die Palästinenser endlich in Frieden und Freiheit neben Israel leben könnten. Genau das war im Wahlprogramm der Hamas zu lesen, wenn man es denn lesen wollte.
2009 reiste ich selbst als Wahlbeobachterin mit dem Carter-Center nach Beirut. Alle Berichte über die damaligen Parlamentswahlen im Libanon, sehr genau und immer kritisch, wurden von Carter im Detail registriert, und sein Gedächtnis für Informationen und Namen war perfekt. Nicht vergessen sei in diesem Zusammenhang, dass er und seine Frau, die ihn auf allen Einsätzen begleitete, ausgesprochen sympathische Menschen waren – egal, wie man zu Camp David stehen mag.
Zahllose interne Dokumente, die in den USA von der Datenfirma Proquest in der Serie Digital National Security Archive publiziert wurden, aktuell die Sammlung »U. S. Foreign Policy in the Carter Years 1977–1981: Highest-Level Memos to the President«, führen wohl zu einer Neubewertung von Carters Präsidentschaft. Er war, so ein schneller Blick auf diese Dokumente, sehr engagiert und außenpolitisch unerwartet gut informiert, außerdem ausgesprochen kritisch gegenüber seinen engsten Ratgebern, nicht zuletzt seinem Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski. Seine Kritik an Exaußenminister Kissinger ist gnadenlos: »Henry Kissinger«, so sein Randkommentar zu einem Bericht Brzezinskis, »ist ein Lügner und unverantwortlich.«
Die iranische Revolution 1979 führte wegen der Besetzung der US-Botschaft in Teheran durch iranische Studenten zum Scheitern der Wiederwahl Carters 1980. Unter seiner Präsidentschaft hatten die USA die Unterstützung der Opposition in Afghanistan, wohl auch schon der Taliban, gegen den sowjetischen Einfluss in Kabul aufgenommen. Erfolgreich war Carter dagegen in Panama, als er mit der dortigen politischen Führung Verträge abschloss, durch die der Kanal bis 1999 unter die volle Kontrolle des mittelamerikanischen Landes kommen sollte. Ein Abkommen mit der Sowjetunion über die Limitierung strategischer Waffen (SALT II) wurde von Carter und dem sowjetischen Staatschef Leonid Breschnew 1979 unterzeichnet. Carter konnte aber die Ratifizierung wegen der Rolle der UdSSR in Afghanistan nicht durchsetzen.
Im Januar 1979 konnte Carter diplomatische Beziehungen mit China herstellen und Botschafter austauschen. Der damalige chinesische Vizeregierungschef Deng Xiaoping besuchte Washington gleich im Anschluss daran. Die USA beendeten dafür ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan und zogen ihre Militärstützpunkte von dort ab. Inoffizielle Beziehungen zu Taiwan wurden jedoch aufrechterhalten.
Ein Wahlversprechen setzte Carter direkt nach Antritt seiner Präsidentschaft durch: eine Begnadigung aller Wehrdienstverweigerer gegen den Vietnamkrieg.
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