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Aus: Ausgabe vom 31.12.2024, Seite 8 / Ausland
Syrien nach Assad

»Hier zeigt sich der Widerspruch westlicher Außenpolitik«

Syrien: Nach Sturz der Baath-Regierung unter Assad präsentiert sich HTS-Anführer als gemäßigt. Ein Gespräch mit Günay Aslan
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Neuer Kampfanzug: Al-Dscholani adrett mit Anzug und Krawatte (Damaskus, 22.12.2024)

Was denken Sie über den Regimewechsel in Syrien?

Der Sturz des Assad-Regimes hat nicht nur die internen Machtverhältnisse Syriens verändert, sondern auch die Geopolitik des Nahen Ostens erschüttert. Sowohl regionale als auch globale Akteure versuchen, ihre Positionen angesichts der neuen Bedingungen anzupassen. Während des Kalten Krieges war Syrien eng mit der Sowjetunion verbunden, und nach deren Zusammenbruch setzte sich diese Beziehung mit Russland fort. Doch die Eroberung von Damaskus durch die von der Türkei unterstützten Dschihadisten, angeführt von Al-Dscholani, änderte dies. Syrien wurde letztlich durch die Förderung radikaler Islamisten von den USA und Großbritannien in den Einflussbereich der NATO gezogen.

Wieso brach die Assad-Regierung so schnell zusammen?

Das liegt in deren autoritärer Natur begründet. Verbrechen gegen die Menschheit, Korruption und der Krieg gegen das eigene Volk führten zu einer zunehmenden inneren Zersetzung. Auch Kräfte innerhalb des Regimes und der Armee, die sich zurückzogen, trugen dazu bei.

HTS und ihr Anführer Al-Dscholani, der nun wieder seinen bürgerlichen Namen Ahmed Al-Scharaa nutzt: Was können Sie zu ihren Zielen und ihrer politischen Rolle sagen?

Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) ist die Nachfolgeorganisation des sogenannten Islamischen Staats, IS. Al-Dscholani war einst die rechte Hand von Abu Bakr Al-Baghdadi, dem ehemaligen Anführer des IS. Obwohl HTS, IS und Al-Qaida dieselben Ziele verfolgen, trennten sie sich aufgrund interner Machtkämpfe und Interessenkonflikte. Al-Dscholani konnte durch seine engen Beziehungen zu westlichen Akteuren, insbesondere zu Großbritannien, seine Organisation erhalten und stärken. Der britische Sicherheitsberater Jonathan Powell spielte eine entscheidende Rolle bei seinem Aufstieg. Es ist kein Zufall, dass die UN, die USA und europäische Länder trotz der Listung von HTS als Terrororganisation seit Jahren indirekte Verhandlungen mit ihnen führen.

Wie hat sich Al-Dscholanis Politikstil verändert?

Al-Dscholani versucht, sich als moderater Führer darzustellen. Er trägt inzwischen Krawatte statt Turban und sendet die Botschaft, dass sich HTS geändert habe. Doch die Ideologie von HTS bleibt tief im salafistischen Islamismus verwurzelt, der wenig Raum für Demokratie, Pluralismus oder Minderheitenrechte lässt. Länder wie die USA und Großbritannien suchen dennoch nach Möglichkeiten, HTS als legitimen Akteur in die Neuordnung Syriens einzubinden. Diese Bemühungen zeigen die opportunistische Politik der NATO-Staaten, die islamistische Gruppierungen unterstützt, wenn es ihren Interessen dient.

Es bleibt offen, ob HTS wirklich zu einer demokratischen Organisation »erzogen« werden kann. Vielmehr zeigt sich hier erneut der Widerspruch westlicher Außenpolitik, die vorgibt, demokratische Werte zu fördern, aber radikale Akteure unterstützt, wenn es ihren geopolitischen Zielen entspricht.

Was erwartet die Kurden in Syrien?

Die Rolle der Kurden und der kurdischen Selbstverwaltung in Rojava ist eine der zentralen Fragen für die Zukunft Syriens. Die syrischen Kurden haben in den letzten Jahren mit enormen Opfern eine demokratische Autonomie aufgebaut. Sie träumen von einem dezentralisierten Syrien, in dem alle ethnischen und religiösen Gruppen gleichberechtigt sind.

Die Türkei sieht die Errungenschaften der Kurden jedoch als Bedrohung. Seit Jahren greift sie kurdische Gebiete in Syrien an und hat bereits Städte wie Afrin, Serêkanîye (Ras Al-Ain) und Girê Spî (Tell Abjad) besetzt. Diese Besatzungspolitik geht mit Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen einher, die die demographische Zusammensetzung der Regionen verändern sollen.

Weder die USA noch die EU erkennen die Autonomie der Kurden an. Statt dessen setzen sie auf pragmatische Allianzen mit der Türkei und Organisationen wie HTS, die klar gegen die Rechte der Kurden gerichtet sind.

Günay Aslan ist Chefredakteur des auf Nahostthemen spezialisierten türkisch-und kurdischsprachigen Nachrichtenportals Nûpel

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