Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Januar 2025, Nr. 3
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 31.12.2024, Seite 12 / Thema
Literaturgeschichte und Exil

The Hard Way

Im US-Exil standen viele Emigranten vor dem Nichts. Wieland Herzfelde und der lange Weg zum Aurora-Verlag
Von Ronald Weber
12_13.jpg
Sitz des Aurora-Verlags und Treffpunkt der Exilierten in New York. Wieland Herzfelde (1896–1988) im Seven Seas Book and Stamp Shop in Manhattan, 23. Straße, Ecke Broadway (Aufnahme von 1944)

Das muss ein trauriges Neujahrsfest gewesen sein. Der Philosoph Ernst Bloch, der im US-Exil zu einem der engsten Freunde des Malik-Verlegers Wieland Herzfeldes wurde, war außerhalb Manhattans in New Hampshire auf einem Landgut, wo eine reiche Dame mittellose Emigranten durchfütterte. John Heartfield, der Bruder und Vertraute, hatte in London zurückbleiben müssen. Und auch der Schriftsteller Oskar Maria Graf, der im Herbst 1938 Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, um den Verlegerfreund aus der nach dem Münchner Abkommen plötzlich von den Nazis umzingelten Tschechoslowakei herauszubekommen, scheint keine Zeit gehabt zu haben. Nur die Familie war beisammen: Trude Herzfeld und der 14jährige Sohn George.

Nötiger als je

»Ach, liebe, liebe Freunde, wann werden wir wieder so gemütlich zusammenhocken wie einst im unvergesslichen Prag und Brünn!« hatte Graf zu Beginn des Jahres geschrieben, und hinzugesetzt: »Man hat das hier nötiger als je!« Und dabei war schon die ČSR kein Zuckerschlecken gewesen. Aber dort hatte man wenigstens deutsch verstanden, war die Heimat nah gewesen. Schmerzlich nah. Nun war sie schmerzlich weit. Wie der Verlag. Wie die Partei, der Herzfelde seit 1919 angehörte.

Die politischen Ereignisse in Europa taten ihr übriges, um die Perspektive zu verschatten. Am 1. September 1939 war die Wehrmacht in Polen eingefallen. Mit dem »unvergesslichen Prag und Brünn« hatten die Nazis bereits vorher Schluss gemacht. Das Land, von dem aus Herzfelde gemeinsam mit vielen anderen ab 1933 gegen den Faschismus gekämpft hatte – als Organisator und Mitherausgeber der Exilzeitschrift Neue Deutsche Blätter und Texter der Fotomontagen John Heartfields – war im März 1939 zum Reichsprotektorat erklärt worden. Dass es dabei nicht bleiben würde, dass auch Frankreich in Gefahr war, wo viele Exilanten lebten und Tausende, die nach dem Sieg der Faschisten im Spanischen Krieg ins Nachbarland geflohen waren, in Lagern gefangen gehalten wurden, konnte man sich an fünf Fingern abzählen.

Auch beruflich sah es schlecht aus. In den Vereinigten Staaten war der kommunistische Verleger Wieland Herzfelde ein Nobody. Wer kannte hier schon den Malik-Verlag? Sicherlich, es gab eine große deutschsprachige Gemeinde. Aber die fast fünf Millionen »German Americans« waren bestenfalls sozialdemokratisch eingestellt, eher konservativ; ein nicht eben kleiner Teil neigte zu Hitler. Man las Gerhart Hauptmann, Ernst Wiechert oder Erwin Guido Kolbenheyer. Von den Exilautoren hatten eigentlich nur die Namen Franz Werfel und Thomas Mann einen Klang. Schon Heinrich Mann war unbekannt, gar nicht zu reden von Brecht. An wen also sollte man hier Bücher verkaufen? Denn das wollte Herzfelde ja zweifelsohne. So hatte er es im Februar von London aus seinem Bestsellerautor Upton Sinclair mitgeteilt, und auch in einem später nicht publizierten Interview, das er kurz nach seiner Ankunft am 31. Mai 1939 der New York Times gegeben hatte, ließ er keinen Zweifel daran, dass es mit dem Malik-Verlag weitergehen sollte. Zumal es keine Konkurrenz gab, denn in den USA existierten zwar zahlreiche deutschsprachige Zeitungen, aber abgesehen von bibliophilen Kleinstunternehmen kein Verlag, und die Zahl der in die Vereinigten Staaten geflohenen deutschsprachigen Schriftsteller war groß.

»Es ist Arbeit (…) für Dich in Hülle und Fülle da, auch einiges Geld für die ersten Monate«, hatte Graf im November 1938 mitgeteilt. Aber gerade an letzterem fehlte es. Herzfelde selbst war vollkommen mittellos. Ihm fehlte sogar das Geld, um Sinclair in Kalifornien zu besuchen und dort Geldgeber für ein neues Verlagsunternehmen aufzutun. Und auch die Bemühungen an der Ostküste blieben erfolglos. Weder Julian Gumperz noch Felix Weil, beide Sprösslinge reicher Familien, die in den 1920er Jahren eng mit dem Malik-Verlag verbunden gewesen waren, halfen. In den USA versagte Herzfeldes vielfach erprobte Kunst der Kreditbeschaffung. »Ich war bei vielen Verlegern und Literaten; sie sind alle freundlich zu mir und – überhaupt nicht an meinen Problemen interessiert«, schrieb Herzfelde am Silvesterabend 1939 an Sinclair. Kurzum: Es gab keine Leser, und es gab keine Geldgeber.

Gegenüber Sinclair hatte Herzfelde betont, dass es vor allem der Nazikrieg sei, der seine Verlagspläne nahezu unmöglich mache. Entscheidender für den Misserfolg bei der Geldbeschaffung aber dürfte der in den USA grassierende Antikommunismus gewesen sein, der auch in der mehrheitlich sozialdemokratisch geprägten deutschen Exilgemeinde vorherrschte. Denn wer Herzfelde kannte, wusste, dass er ein »Roter« war. Hinzu kam der Streit um den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, der in den USA allgemein als ein Bündnis von Faschismus und Kommunismus aufgefasst wurde und die Kommunisten im Exil auf eine harte Probe stellte. Es sei gewesen, »als wären einem die Beine unterm Leib weggeschlagen worden«, schreibt Stefan Heym, seinerzeit in New York Chefredakteur des kommunistisch orientierten Deutschen Volksechos, in seinen Erinnerungen. Für Herzfelde indes war die Sache klar: Mit dem Münchner Abkommen hatten die Westmächte beabsichtigt, Hitler auf die Sowjetunion zu hetzen. Angesichts des Unwillens Frankreichs und Großbritanniens, sich mit Moskau zu einigen, hatte Stalin versucht, sich mit dem Nichtangriffspakt Zeit zu verschaffen. Das taktische Manöver als ein Kriegsbündnis anzusehen, lehnte er ab, ebenso die Verurteilung der Sowjetunion, die nun allerorten gefordert wurde. In der sozialdemokratischen Presse wurde er deshalb gemeinsam mit Ernst Bloch als moskauhöriger Kommunist angegriffen.

Streit und Spaltung

Als sich die Polemik im Herbst 1939 auch gegen die im Jahr zuvor als Fortsetzung des Schutzverbands deutscher Schriftsteller in New York gegründete German American Writers Asso­ciation (GAWA) richtete, in der heftig um eine Stellungnahme zum Hitler-Stalin-Pakt gestritten wurde, kam es zum Eklat. Der Ehrenvorsitzende Thomas Mann distanzierte sich zwar von dem Vorwurf, der Verband sei eine »Agentur Stalins«, und erklärte, es sei ihm gleich, welche politischen Überzeugungen seine Kollegen hätten, schließlich sei die GAWA unpolitisch. Zugleich forderte er aber intern den Ausschluss Blochs und Herzfeldes. Das nun wollte der mit beiden befreundete Vorsitzende der GAWA, Oskar Maria Graf, auf keinen Fall. Um weiteren Schaden von der durch Austritte geschwächten und nahezu arbeitsunfähig gewordenen Organisation abzuwenden, löste Graf die GAWA 1940 auf. Das war ein herber Schlag, denn der Verband hatte in der Flüchtlingshilfe eine wichtige Rolle gespielt.

Auch für Herzfelde war die GAWA nützlich gewesen. Auf die Vermittlung Grafs hin überließ ihm im Sommer 1939 Margret Tjader-Harris, eine enge Vertraute Theodor Dreisers und Herausgeberin der Kulturzeitschrift Direction, die Redaktion eines Heftes, um der US-Leserschaft die exilierte deutsche Literatur vorzustellen. Das Heft – auf dem Cover die auf ein Bajonett gespießte Friedenstaube, eine Montage Heartfields – erschien im Dezember 1939 mit Beiträgen von Bloch, Brecht und Graf, Ferdinand Bruckner, Klaus Mann, Berthold Viertel, auch einen Text von Erich Mühsam, den die Nazis im KZ Oranienburg umgebracht hatten, nahm Herzfelde auf. In einem einleitenden Aufsatz gab er einen Überblick über den Status quo der deutschsprachigen Exilliteratur. Eine Fortsetzung aber fand die Arbeit nicht.

Wirklich Emigrant

In der folgenden Zeit wurde das Vorhaben, den Malik-Verlag in den USA weiterzuführen, mehr und mehr zu einem weit entrückten Traum. Was nun anstand, hat Herzfelde rückblickend selber als »den hard way« bezeichnet: wechselnde Anstellungen und Gelegenheitsarbeiten ohne dauerhafte Perspektive. So arbeitete Herzfelde zeitweise dem Dokumentarfilmer Joris Ivens zu, schrieb Skripte für nie gedrehte Dokumentarfilme, layoutete das kurzfristig erscheinende, linksliberale Wochenmagazin Friday (Untertitel: »The Magazine That Dares to Tell the Truth«), redigierte für Oxford University Press einen Band mit Bildern von Paul Klee und verkaufte als Vertreter kleinformatige Reproduktionen italienischer Meister von Tür zu Tür. Letzteres mit geringem Umsatz: »Alle Besuche diese Woche erfolglos. Abscheulich, eine Arbeit zu tun, von der man im voraus weiß, dass sie erfolglos sein wird«, vertraute er im April 1940 seinem Tagebuch an. Dort findet sich auch eine Aufstellung der täglichen Ausgaben: »für Haushalt, George, Wäsche etc. 1.60 Dollar täglich (…), für Fahrgeld, Cigaretten, Zeitungen –.40. Verdammt wenig – immerhin 60 Dollar im Monat. Ebensoviel brauchen wir für Miete, Licht, Gas, Telefon.« Das entsprach noch nicht einmal der Hälfte des amerikanischen Durchschnittsverdienstes. Angesichts dieser Misere fühlte sich Herzfelde zum ersten Mal »wirklich als Emigrant«, wie er Willi Bredel schrieb.

Gleichwohl blieb Herzfelde auch in dieser Zeit nicht untätig. Ohne Verlag wurde der im Zuge der Novemberrevolution in die Rolle des Verlegers Hineingedrängte wieder zum Schriftsteller. Neben zahlreichen Gedichten, darunter das trotz aller Umstände unbedingt optimistische »I shall witness the day«, verfasste er im Sommer 1940 in Reaktion auf den Westfeldzug der Wehrmacht das Theaterstück »Der Anfang vom Ende«, das im Mai 1940 in Frankreich spielt. Zu einer Aufführung kam es aber nicht, auch wenn sich der Lektor der Theatre Guild, John Gassner, positiv äußerte und Erwin Piscator in Aussicht stellte, es im Rahmen seines »Dramatic Workshop« an der New School for Social Research aufzuführen. Ob es sich dabei nur um das leichthin gegebene Versprechen eines alten Freundes handelte – ­Piscator, der Herzfelde 1916 an der Front kennengelernt hatte, gehörte zum frühen Kreis um den Malik-Verlag – oder um eine ernsthafte Absicht, lässt sich aus der Rückschau nicht feststellen. Der Regisseur Berthold Viertel, mit dem Herzfelde bald eng zusammenarbeiten sollte, meldete jedenfalls Zweifel an und wollte das Stück »nur als erste Skizze« gelten lassen, der das Dramatische fehle. Es wartet bis heute im Archiv der Akademie der Künste in Berlin auf seine Veröffentlichung.

Veröffentlicht und seitdem vielfach neu aufgelegt wurden hingegen die autobiographischen Erzählungen, die Herzfelde seit dem Sommer 1941 verfasste, beginnend mit dem »Kaufmann aus Holland«, in dem er die Begegnung mit George Grosz im Sommer 1915 schildert, gleichsam die Urszene der Berliner Nachkriegsavantgarde rund um den Malik-Verlag. Herzfelde versammelte diese literarisch verdichteten Erzählungen später in dem Band »Immergrün«, der den Verleger als zugleich begabten Schriftsteller ausweist.

Tribüne für freie deutsche Literatur

Mit dem Überfall der Wehrmacht auf die So­wjetunion am 22. Juni 1941 war dann tatsächlich der »Anfang vom Ende« eingeleitet. Gegen die UdSSR, davon war Herzfelde überzeugt, konnten die Nazis nicht gewinnen. Zugleich sorgte die gewaltsame Aufkündigung des Nichtangriffspakts auch für ein Ende der Lähmung, die große Teile des kommunistisch orientierten Exils befallen hatte. Im Herbst kam es zu ersten Gesprächen über die Gründung einer kulturpolitischen Organisation der deutschen Emigration, die sich bald unter dem Namen »Arbeitsgemeinschaft ›Die Tribüne‹. Für freie deutsche Literatur und Kunst in Amerika« konstituierte. Daran beteiligt waren neben Herzfelde unter anderem: Friedrich Alexan, Ferdinand Bruckner, Paul Dessau, Oskar Maria Graf, Stefan Heym, Otto Sattler und Berthold Viertel, wobei vor allem dem bereits 1905 in die USA ausgewanderten und gut vernetzten linken Sozialdemokraten Sattler eine wichtige Rolle zukam. Die »Tribüne« führte bis zu ihrer Auflösung 1945 mehr als dreißig Veranstaltungen durch, darunter zahlreiche Autorenabende mit musikalischen Darbietungen und Lesungen, Feierstunden zu Heinrich und Thomas Manns sowie Goethes Geburtstag, aber auch politische Veranstaltungen wie eine »Kundgebung gegen Rassenverfolgung und Intoleranz« oder eine Gedächtnisfeier zu Ehren getöteter Antifaschisten.

Der Erfolg der »Tribüne«, deren Veranstaltungen eine große Anziehungskraft auf die Kreise des Exils ausübten, erweckte bei Herzfelde erneut die Hoffnung auf einen Verlag, Gedanken, die ihn bis in seine Träume hinein begleiteten. So heißt es im Tagebuch mit Eintrag vom 18. Januar 1941:

»Ein Traum hat mich heute glücklich gemacht. (…) Ich hielt die gedruckten und gefalzten Bogen der deutschen Ausgabe des ersten Werkes von Graf in den Händen, das englisch hier erschienen ist, ohne deutsch publiziert worden zu sein – des kürzlich erschienenen Buches ›Life of My Mother‹ (…). Mit der zärtlichen Aufmerksamkeit, die nur ein sachkundiger Verleger einem solchen fast fertigen Buch entgegenbringen kann, untersuchte ich immer und immer wieder die Ausführung der Arbeit: Papier, Druck, Satzspiegel. Ich genoss mit dem Tastgefühl meiner Hände und mit den Augen den fast fertigen Band – den ersten, den ich in New York hergestellt hatte.«

Mit der »Tribüne« stand nun nicht nur eine organisatorische Plattform zur Verfügung, von der aus eine erneute Verlagsgründung in Angriff genommen werden konnte, auch die finanzielle Situation hatte sich verbessert. Als das Ehepaar Herzfelde den Sohn George im September 1938 in Prag in ein Flugzeug in die Schweiz gesetzt hatte, trug dieser die wichtigste Kapitalanlage der Familie bei sich: eine Briefmarkensammlung, die Vater und Sohn in den Jahren des Exils beträchtlich erweitert hatten. Im Sommer 1941 übernahm Herzfelde in Manhattan ein Geschäft für Glückwunschkarten, in dem er auch die Briefmarken verkaufte. Das sorgte, verbunden mit dem Einkommen von Ehefrau Trude, die als Kindermädchen und in einer Großbäckerei arbeitete, für ein halbwegs konstantes Einkommen. Als schließlich der Sohn als professioneller Eiskunstläufer ebenfalls zum Familieneinkommen beitrug, sah Herzfelde sich wieder in der Lage, »mit dem Verlegen deutscher Literatur zu beginnen«, wie er im Mai 1943 freudig Upton Sinclair mitteilte.

Irritierende Diplomatie

Einen ersten Versuch hatte er bereits im Sommer 1942 unternommen. Auf den Erfolg der »Tribüne« aufbauend sollte ein gleichnamiger »Gemeinschaftsverlag« entstehen. Herzfelde wollte dafür verantwortlich zeichnen, die Auswahl der Manuskripte aber sollte »im Einvernehmen mit hier lebenden Kollegen, wie Viertel, Graf, Bruckner, Alexan« erfolgen, wie es in einem Rundschreiben hieß. Bald schon erweiterte sich der Kreis; hinzu kamen Brecht und F. C. Weiskopf, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Stefan Heym und der österreichische Lyriker Ernst Waldinger. Finanziert werden sollte der Verlag durch das Zeichnen von 1.000 Anteilen à zehn US-Dollar. Die Besucher der »Tribüne«-Veranstaltungen, die Herzfelde mittels eines »Freundeskreises der Tribüne« als »Lesergemeinschaft« zusammenzufassen beabsichtigte, sollten einen gewissen Mindestabsatz garantieren. Die ersten Veröffentlichungen waren bereits für den Herbst geplant.

Das klappte freilich nicht. Es dauerte noch bis zum April 1944, bis Herzfelde den Verlag offiziell eintragen lassen konnte, dann allerdings unter dem Namen »Aurora«. Die Gründe dafür liegen in der gewählten Organisationsform. Angesichts der Situation, dass viele der exilierten Schriftsteller in den USA für die Schublade schrieben und nach Publikationsmöglichkeiten suchten, war es naheliegend, aus den Reihen der Autoren heraus einen Gemeinschaftsverlag zu gründen. Das aber bedeutete, dass man sich bei allem und mit allen abstimmen musste, was zusätzlich durch die langen Kommunikationswege zwischen der West- und der Ostküste – wo Brecht, Feuchtwanger und Mann, zeitweise auch Viertel, wohnten – erschwert wurde. Eine »irrtierende Diplomatie«, wie Herzfelde in anderem Zusammenhang einmal die Tätigkeit des Verlegers zusammengefasst hat. Der intensive Briefwechsel mit Berthold Viertel gibt Aufschluss über die Probleme und Missverständnisse, die aus dem Weg geräumt werden mussten, bis im Frühling 1944 endlich mit dem »money drive« begonnen werden konnte. Vor allem ein bereits ein Jahr zuvor vorgelegter Entwurf für einen Briefkopf, der die Gründungsmitglieder als »Literarische Leitung« auswies, sorgte für Ärger. Zwischenzeitlich wurde auch das ganze Unternehmen wieder in Frage gestellt. Am Ende einigte man sich auf die Formulierung »gegründet von«. Ausgeschieden waren in der Zwischenzeit Friedrich Alexan und Stefan Heym; dazugestoßen waren: Ernst Bloch und Alfred Döblin. Auch um Carl Zuckmayer hatte man sich bemüht, aber der lehnte ab.

Strittig war auch der Name. Brecht und Feuchtwanger waren unzufrieden mit der Bezeichnung »Tribüne«. Brecht schlug schließlich »Aurora« vor und verfasste zur Bestärkung eigens ein Gedicht, das sowohl auf den berühmten Panzerkreuzer, der 1917 mit einem Schuss das Signal zum Sturm auf das Winterpalais und damit den Beginn der Oktoberrevolution gegeben hatte, wie auf die »Morgenröte« als Ausdruck der Hoffnung anspielt: »Dies Frührot kam, (…) / Als es noch Nacht war, es war so geschwind!« Herzfelde, der auf den Namen an sich wenig Wert legte, war zufrieden, zumal das zwischenzeitlich von ihm entworfene Signet, ein stilisiertes »D« und »T«, durch eine Drehung auch als Schiff durchging.

Dem zentralen Problem eines jeden Autorenverlags, nämlich die Entscheidung darüber, welche Bücher hergestellt werden – naturgemäß will ja jeder Schriftsteller sein eigenes Buch als erstes publizieren – versuchte man durch einen Arbeitsausschuss, den sogenannten Dreierausschuss, zu begegnen. Allein dieses Gremium, dem Herzfelde, der den Verlag auch offiziell repräsentierte und das alleinige ökonomische Risiko trug, sowie Waldinger und Weiskopf angehörten, sollte über die Annahme und Ablehnung von Manuskripten entscheiden; zusätzlich sicherte sich Herzfelde, der darauf bestand, nichts zu verlegen, »was ich nicht selbst gutheiße«, ein exklusives Vetorecht zu, das die beiden anderen Mitglieder des Ausschusses nur gemeinsam beanspruchen konnten. Um absehbare Streitigkeiten abzuwenden, hieß es in der Satzung zudem: »Der Aurora-Verlag hat nicht die Pflicht, jedes literarische Werk seiner Gründer zu publizieren.«

Als im Frühjahr 1945 der erste Aurora-Band mit Erzählungen von Oskar Maria Graf (»Der Quasterl«) bereits beim Setzer lag, meldete sich die Firma Schoenhof’s Foreign Books aus Cambridge. Der Leiter des deutschsprachigen Programms, Paul Müller, »dessen Erfahrungen in deutschen Konzentrationslagern ihn besonders befähigten, unsere Bemühungen zu schätzen«, wie Herzfelde später schrieb, bot an, den Generalvertrieb für Aurora zu übernehmen und im Gegenzug Herstellung und Autorenhonorare zu bezahlen. Damit war der Verlag schlagartig auf eine solide finanzielle Grundlage gestellt. In der Folge erschienen rasch zwölf Titel, darunter Brechts »Furcht und Elend des Dritten Reiches« und Anna Seghers’ »Ausflug der toten Mädchen«.

Es hatte sechs Jahre gedauert, bis Wieland Herzfelde wieder als Verleger tätig sein konnte, wenn im Fall von Aurora auch nur »ehrenamtlich, d. h. unbezahlt«, wie es in der Satzung hieß. »Er ist stolz auf seinen neuen Aurora-Verlag; es ist wie vor 30 Jahren: der ganze Verlag in einem Zimmer«, berichtete George Grosz an John Heartfield. Die Arbeit nahm Herzfelde für die nächsten Jahre ganz ein, denn er beschränkte sich keineswegs darauf, die Manuskripte zum Druck zu bringen, sondern arbeitete als Lektor auch intensiv mit den Autoren, während er zugleich sein Briefmarkengeschäft weiterführte: »tagsüber Buch- und Markenhandel, nachts Verlag«, beschrieb er sein Leben im April 1946 kurz nach seinem 50. Geburtstag gegenüber seinem Bruder.

6.000 Dollar Schulden

Zu dem Zeitpunkt war allerdings schon klar, dass sich Schoenhof’s Foreign Books aus dem Vertrag mit Malik zurückziehen wollte. Die Verkäufe hatten nicht den Erwartungen entsprochen. Man einigte sich auf die Finanzierung von noch drei Büchern. Am Ende waren es nur zwei: Grafs Roman »Unruhe um einen Friedfertigen« und das seit langem geplante Lesebuch für deutsche Kriegsgefangene »Morgenröte« mit demokratischen Texten aus Vergangenheit und Gegenwart. Eine seit dem Frühjahr 1945 von F. C. Weiskopf und Kurt Pinthus erarbeitete Literaturgeschichte des Exils konnte ebenso wenig mehr erscheinen wie Bände mit Grafiken von Grosz und Heartfield und Herzfeldes eigener Erzählband »Immergrün«.

Mit dem Ende des Schoenhof-Deals ging auch die kurze Geschichte des Aurora-Verlags zu Ende. Herzfelde musste seine Hoffnungen auf eine Verlagerung nach Deutschland und einen Ausbau der Produktion in Österreich und Ostberlin, wo er mit dem A.-Sexl- und dem Aufbau-Verlag kooperierte, begraben. Hinzu kamen Schulden und Steuerverpflichtungen im Umfang von 6.000 US-Dollar, für die der Verleger persönlich haftete. Ein Desaster, denn längst saß man auf gepackten Koffern. Herzfelde wollte zurück nach Deutschland und in der sowjetisch besetzten Zone beim Aufbau des Sozialismus mithelfen. In New York zu bleiben, war für ihn nie in Frage gekommen, und die antikommunistische Welle, die nach Ende des Weltkriegs durch die USA rollte, legte ohnehin nahe, zu gehen. Im September 1948 verkaufte Herzfelde sein Briefmarkengeschäft. Schuldenfrei bestieg er am 8. April 1949 zusammen mit seiner Frau und Ernst Bloch den polnischen Dampfer »Batory«. Die Universität Leipzig hatte ihn in der Zwischenzeit als Professor für Soziologie der neueren Literatur berufen.

Noch im selben Jahr erschien in der 1948 initi­ier­ten Aurora-Bücherei beim Ostberliner Aufbau-Verlag, die alle zuvor in New York erschienenen Titel übernahm, der Band »Immergrün«, gewissermaßen als Abschluss der Emigration. Herzfelde, der 1988 hochbetagt starb, kümmerte sich in der DDR engagiert um das Erbe des Malik-Verlags und das Werk von John Heartfield. Als Verleger wurde er nie wieder tätig.

Ronald Weber ist Leiter des Themaressorts dieser Zeitung. Er schrieb an dieser Stelle zuletzt am 25. Mai 2024 über den Schriftsteller Erich Hackl: Erfindung einer Tradition.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralph D. aus Gotha (1. Januar 2025 um 13:07 Uhr)
    Es war in der Tat ein harter Weg für viele Exilanten, die vor dem Terror der Nazis ins Ausland flüchten mussten. Die Erfahrungen, die Wieland Herzfelde machen musste, blieben auch vielen anderen Zeitgenossen nicht erspart. Mein Mentor Friedrich Karl Kaul, der 1937 aus dem KZ Dachau nach mehrjähriger Haft mit der Auflage entlassen wurde, nach Übersee zu gehen und nicht wieder nach Deutschland zurückzukehren, erlebte das alles in Kolumbien, einem Land, dessen Sprache er nicht beherrschte und wo er vollkommen auf sich allein gestellt war. Wiederholt berichtete er mir davon, dass es während der KZ-Zeit wenigstens die Solidarität der Häftlinge untereinander gab, die er im Exil dann sehr vermisste. Ralph Dobrawa, Gotha

Ähnliche:

  • Die Kinderbuchautorin Ruth Rewald (1906–1942), Aufnahme von 1934
    14.12.2024

    Eine Frau verschwindet

    Vor 90 Jahren erschien das Kinderbuch »Janko, der Junge aus Mexiko« der in Auschwitz ermordeten Autorin Ruth Rewald
  • Anders als behauptet, ist Mildred Harnack nicht die Unbekannte, ...
    22.10.2022

    Eine Amerikanerin gegen Hitler

    Auf Spannung getrimmt: Eine neue Biographie der antifaschistischen Widerstandskämpferin Mildred Harnack verarbeitet den historischen Stoff oft leichtfertig und bedenkenlos

Regio: