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Aus: Ausgabe vom 31.12.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Hackerkongress

Vier Jahrzehnte 1984

Der Chaos Computer Club tagt in Hamburg. Sein Archiv ist ein Fundus wissenschaftlicher Aufklärung
Von Marc Bebenroth
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38. Kongress des Chaos Computer Clubs (Hamburg, 27.12.2024)

Der Blick bleibt nach vorn gerichtet: Mit der Warnung vor der Gefahr eines neuen Faschismus hat der Chaos Computer Club (CCC) am Freitag in Hamburg seinen 38. Chaos Communication Congress eröffnet. Das diesjährige Motto »Illegal Instructions« ist explizit mit dem Aufruf verbunden, sich auf Widerstandsarbeit vorzubereiten. Für eine ausführliche Würdigung der eigenen 40jährigen Kongressgeschichte blieb vor diesem Hintergrund kein Platz.

Diese Geschichte beginnt im Jahr 1984, dem »Symbol einer unaufgeklärten Gesellschaft schlechthin«, wie es CCC-Mitglied und Rundfunkmacher Tim Pritlove in seiner Eröffnungrede für den 34. Kongress im Jahr 2017 einmal genannt hatte. Die Rezeption des Romans »1984« des britischen Autors George Orwell ist bis heute richtungsweisend dafür, wogegen die (deutsche) Hackingszene ankämpfen will. Ein Ausdruck dessen ist die Schlussformel des jährlichen Vortrags über die bemerkenswertesten IT-Sicherheitsvorfälle des Jahres: Die Vortragenden wünschten allen »einen guten Rutsch ins Jahr 1984!«

Am 27. Dezember hatte damals im Eidelstedter Bürgerhaus in Hamburg der erste Chaos Communication Congress seine Türen geöffnet. Zwei Tage lang bot »DAS Treffen für Datenreisende!« Workshops und Vorträge an. Diese vermittelten Grund- sowie Fachwissen zur Arbeit an und mit Computersystemen. Bereits das erste Programm wollte aber auch über die Auswirkungen auf die Teilnehmer selbst aufklären, sei es »Jura für Hacker« oder »Psychische Störungen durch Computermissbrauch«. Referenten aus den USA teilten ihre Erfahrungen rund um das Thema offene Netze. Der CCC war drei Jahre zuvor von Wau Holland und anderen in den Räumen der Berliner Taz gegründet worden.

Bis 1997 wurden die Chaos-Kongresse in Hamburg abgehalten. Knapp zehn Jahre nach dem Anschluss der DDR zog es den Kongress wiederholt in die Bundeshauptstadt. Für die Termine im Haus am Köllnischen Park sind von 1998 bis 2002 Besucherzahlen zwischen 2.300 und 3.000 Menschen überliefert. Seitdem wurden es trotz einiger Schwankungen immer mehr. Die drei Veranstaltungen auf dem Gelände der Leipziger Messe von 2017 bis 2019 verzeichneten bis zu 17.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Während der Coronapandemie fanden keine regulären Kongresse statt. Im vergangenen Jahr kamen rund 14.500 Besucher im Congress Center Hamburg zusammen.

Im Zentrum der Berichterstattung standen damals wie heute Enthüllungen über Schwachstellen in Computersystemen, beispielsweise von Banken, Telekommunikationsunternehmen oder Behörden. Kein Stoff für Abendnachrichten waren und sind dagegen die Präsentationen zu human- und naturwissenschaftlichen Themen. Das Spektrum umfasst dabei immer auch wissenschaftsphilosophische Beiträge, etwa zu Fragen wie der nach der Vertrauenswürdigkeit empirischer Studien.

Im Kern behandeln die bis heute im CCC-eigenen Archiv abrufbaren Beiträge konkrete Anwendungsbereiche, unter anderem in der Landwirtschaft. So klärten Referenten über den gentechnischen Kopierschutz von Saatgutkonzernen auf oder erläuterten die Einsatzmöglichkeiten von Sensorsystemen. Diskutiert wurden aber auch die technikphilosophischen und ethischen Fragen, die der Einsatz moderner Genom-Editierung per CRISPR-Methode aufwirft, zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Tier- und Pflanzenarten für die Nahrungsmittelproduktion.

Auch die Humanbiologie interessiert Hacker. So wurde in der Vergangenheit demonstriert, wie sich das bakterielle Mikrobiom des Menschen besser verstehen lässt oder welches Potenzial psychedelische Substanzen haben können. Am vergangenen Freitag schließlich erklärten die anarchistischen Biohacker des »Four Thieves Vinegar Collective«, wie die Bevölkerung selbstbestimmt lebensrettende Medikamente herstellen könne, die von Pharmaunternehmen teuer und exklusiv verkauft werden. Weltweit als »Bioterrorist« kriminalisiert zu werden, solle dabei nicht abschrecken. Das Kollektiv rief zum Kampf gegen Pharmakapitalisten und zur Wiedererlangung der Kontrolle über die Versorgung mit Heilmitteln auf.

Der militärische Einsatz von Technologie war in der Vergangenheit ein stets wiederkehrender Programmpunkt. Das reichte von Systemen der Nachrichtenübertragung über den Wettbewerb zwischen Bombenentschärfern und -produzenten bis hin zum Schutz kriegsentscheidender Kommunikation. So wurde auch Richard Sorge einmal als »Hacker des Zweiten Weltkriegs« gewürdigt. Sorge hatte für die Sowjetunion im mit Hitlerdeutschland verbündeten Japan deutsche Militärgeheimnisse ausgekundschaftet.

Auffällig häufig geht es in den Kongressbeiträgen auch um Astrophysik. Das reicht von Überlegungen, wie der Mond als Plattform künftiger Weltraummissionen dienen könnte, über Antriebstechnologien bis hin zur Frage, wie kosmische Distanzen überhaupt gemessen bzw. dank Rechentricks ermittelt werden. Auf vergangenen Kongressen wurde auch bereits diskutiert, wie die Menschheit sich künftig im Sonnensystem ausbreiten könnte – und ob man zuerst den Space-Kommunismus à la »Star Trek« erkämpfen müsse oder die Erforschung des Weltalls ohnehin den Menschheitsfortschritt herbeiführe.

2025 jährt sich übrigens auch der erste vom CCC mitgeplante Hackerkongress in der DDR zum 35. Mal. Im Haus der Jungen Talente in der Berliner Klosterstraße waren vom 24. bis 25. Februar 1990 »Computer- und Medienfreaks und Fachleute« aus beiden deutschen Staaten unter dem Motto »Bürgerdiplomatie« zum »Austausch und Kennenlernen« zusammengekommen. Die Abwicklung der DDR war in vollem Gange. Das wusste auch der CCC. »In diesen Tagen werden die Weichen für die Infrastruktur (Machtkoppelungen) der DDR gestellt« und den »Bürgerbewegungen« fehle es an »Know-how, Verbindungen und Kontakten«, um »dem etwas entgegensetzen zu können«, konstatierten die Hacker.

In 40 Jahren zeigten die Programme der Kongresse selten Berührungspunkte mit sozialistischen Ideen. Die hiesige Hackerszene bleibt im wesentlichen im linksliberalen, libertären und anarchistischen Milieu verwurzelt. So wurde in der Eröffnung am vergangenen Freitag explizit der prowestliche Protest in Georgien gegen die dortige Regierung als Kampf um Demokratie und bürgerliche Freiheitsrechte unterstützt. Dennoch bieten die Kongresse reichlich Material zur Aufklärung über die Möglichkeiten der Produktivkraftentwicklung oder über Bemühungen der reaktionären Obrigkeit, Technologien gegen die Bevölkerung in Stellung zu bringen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (2. Januar 2025 um 14:59 Uhr)
    »Die Rezeption des Romans ›1984‹ des britischen Autors George Orwell ist bis heute richtungsweisend dafür, wogegen die (deutsche) Hackingszene ankämpfen will.« Man könnte auch sagen: Die Sympathie für den antikommunistischen Schriftsteller zeigt eindrucksvoll, wofür (!) die Hackingszene kämpft: »Der militärische Einsatz von Technologie war in der Vergangenheit ein stets wiederkehrender Programmpunkt. Das reichte von Systemen der Nachrichtenübertragung über den Wettbewerb zwischen Bombenentschärfern und -produzenten bis hin zum Schutz (!) kriegsentscheidender Kommunikation (…) So wurde in der Eröffnung am vergangenen Freitag explizit der prowestliche Protest in Georgien gegen die dortige Regierung als Kampf um Demokratie und bürgerliche Freiheitsrechte unterstützt.«

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