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Aus: Ausgabe vom 02.01.2025, Seite 2 / Ausland
Krise in Georgien

»Die Organisatoren sind zu allem bereit«

Georgien: Zuspitzung des Konflikts könnte die Lage der sozialistischen Kräfte verschlechtern. Ein Gespräch mit Temur Pipia und Ilia Lobjanidze
Interview: Susann Witt-Stahl
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Prowestliche Demonstranten in Georgiens Hauptstadt Tbilissi (3.12.2024)

Warum beunruhigt Sie die Situation in Georgien? Die Pro-EU-Protestbewegung ist nach eigenen Angaben demokratisch und will nur Neuwahlen durchsetzen.

Temur Pipia: Die Initiatoren unterhalten direkte Verbindungen zu Entscheidungsträgern des Westens. Sie wollen die Regierung stürzen und ein ähnliches Regime installieren, wie es in Georgien von 2003 bis 2012 unter Micheil Saakaschwili geherrscht hat. Dahinter stehen geopolitische Interessen. Das Hauptziel ist, den Südkaukasus zu destabilisieren und gegen Russland in Stellung zu bringen. Die Situation ist ähnlich wie in der Ukraine, wo die faschistischen Gruppen reanimiert wurden, um die Bevölkerung gegen Russland aufzuhetzen.

Eine Gewalteskalation ist also nicht ausgeschlossen?

T. P.: Die Gefahr ist real. Die Organisatoren der Pro-EU-Proteste sind zu allem bereit. Für sie wäre es auch kein Problem, einen bewaffneten Konflikt loszutreten.

Aber in Georgien findet sich keine schlagkräftige faschistische Organisation wie der »Rechte Sektor« auf dem Maidan – es fehlt also der paramilitärische Faktor.

T. P.: Die Protestbewegung hat Beziehungen zur Georgischen Legion, die gegenwärtig in der Ukraine kämpft. Beispielsweise war die Schwester des Kommandeurs der Georgischen Legion Parlamentsabgeordnete von Saakaschwilis Partei. Diese Kräfte sind alle miteinander verbunden. Es gab Ankündigungen von Angehörigen der Legion, Panzer zu erbeuten und Georgien damit zu »befreien«, ebenso einen Aufruf an die prowestliche Präsidentin Surabischwili, eine bewaffnete Garde aufzustellen. Das würde Bürgerkrieg bedeuten.

Ist die Georgische Legion faschistisch?

T. P.: Sie ist offen antikommunistisch, antirussisch, nationalistisch, und ihre Führer sind bis heute Anhänger von Saakaschwilis protofaschistischem Regime. Sie hat zwar nicht offiziell erklärt, dass sie in der Tradition der historischen Georgischen Legion steht, die im Zweiten Weltkrieg mit Nazideutschland kollaboriert hat, aber es ist sicher kein Zufall, dass sie deren Namen angenommen hat.

Inwieweit sind Akteure des westlichen Auslands in die Pro-EU-Demonstrationen involviert?

Ilia Lobjanidze: Nach unseren Beobachtungen haben Aktivisten aus der Ukraine, den USA und Großbritannien während der Ausschreitungen als Provokateure agiert und Steine auf die Polizei geworfen. Auch russische Oppositionelle haben sich an den Demonstrationen beteiligt. Und natürlich fungieren unzählige westliche Stiftungen, wie National Endowment for Democracy und Open Society Foundations, als Geldgeber. Dirigiert wird diese vereinte liberale Plattform von der US-Botschaft.

Welche Rolle spielt Deutschland?

I. L.: Für die georgischen Liberalen ist es das wichtigste Land in Europa. Sei es, um dort zu arbeiten, zu studieren oder Partys zu feiern. Es bestehen historisch enge Bindungen zwischen den deutschen und georgischen Eliten. Deutschland war auch die erste Nation, die 1990 Georgiens Unabhängigkeit anerkannt hat. Die erste EU-Abgeordnete, die gegen das Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme protestiert hat, war eine Deutsche, Viola von Cramon von den Grünen. Und die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Friedrich-Naumann-Stiftung sind hier sehr aktiv.

Welche Folgen hätte eine weitere Eskalation der Lage für die Gewerkschaftsbewegung und die Arbeiterklasse?

I. L.: Kürzlich hat ein Funktionär der Gewerkschaftskonföderation eine Demonstration wegen der schlechten Arbeit ihrer Führung organisiert. Damit wird die Polarisierung zwischen den Kräften, die die Regierung unterstützen, und dem prowestlichen Lager auch in der Arbeiterklasse gefördert. Das erinnert an die Spaltung der Gewerkschaften in der Ukraine im November 2013 und an die Instrumentalisierung der Arbeiterbewegung für den Putsch gegen Allende 1973 in Chile.

Was hätten Sozialisten und Kommunisten im Fall eines Regime-Changes zu erwarten?

T. P.: Das würde das Ende unserer Arbeit in der Legalität bedeuten. Es würde Jagd auf Kommunisten gemacht wie auf dem Maidan und ein noch brutaleres Regime an die Macht kommen, als wir es aus der Ära Saakaschwili kennen. Unter seiner Regierung wurde 2011 die sogenannte Freiheitscharta verabschiedet, mit der die kommunistische Weltanschauung und die Verwendung sowjetischer Symbole in der Öffentlichkeit verboten wurden. Seitdem ist der Antikommunismus Staatsideologie. Dagegen kämpfen wir.

Temur Pipia ist Koordinator und Ilia Lobjanidze ist Sekretär für internationale Beziehungen der Sozialistischen Plattform Georgiens

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