Aufwertungsobjekt Einkaufsmeile
Von Oliver RastEs klingt nach einem großen Wurf: die Novellierung des Berliner Gesetzes zur Einführung von Immobilien- und Standortgemeinschaften, kurz BIG. Das Berliner Abgeordnetenhaus (AGH) hatte die Neufassung am 19. Dezember mit der Mehrheit der CDU-SPD-Koalition beschlossen. Im Anschluss haben der Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler, Bürgermeisterin und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (beide SPD) sowie der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin, Sebastian Stietzel, eine Kooperation zur Unterstützung der Immobilien- und Standortgemeinschaften (ISG) vereinbart.
Das BIG ermögliche Initiativen, »eigenverantwortlich in privater Organisation und Finanzverantwortung ein räumlich abgegrenztes Geschäftsumfeld durch geeignete Maßnahmen aufzuwerten«, sagte eine Pressesprecherin Gaeblers am Montag gegenüber jW. Das übergeordnete Ziel sei die Stärkung der Berliner Zentren. Bestimmte Areale sollten »attraktiver« bzw. wiederbelebt werden. Besonders Einkaufsstraßen und Geschäftsmeilen. Blaupausen sind dabei die bereits bestehenden ISGs »Spandau Altstadt« und »Ku’damm Tauentzien« in Westberlin.
Eine Art städtische Aufwertung, von der Katalin Gennburg (Die Linke) nichts hält. Denn das Gesetz bevorzuge Grundstückseigentümerinnen und -eigentümer mit Hochhäusern gegenüber denjenigen mit kleinen Gebäuden, kritisierte die Fraktionssprecherin für Stadtentwicklung, Bauen, Umwelt und Tourismus am Montag im jW-Gespräch. Alteingesessene mit meist kleinräumigen Läden hätten das Nachsehen, drohten seitens finanzstarker Immobilienhaie verdrängt zu werden. Das BIG sei Ausdruck einer verschärften kapitalistischen Verwertung des öffentlichen Raums, einer sich noch schneller drehenden Spekulationsspirale bei Grund und Boden.
Christoph Wapler reagiert eher gelassen. Die Erfahrungen hätten gezeigt, »dass bisher nur vereinzelt ISG entstanden sind, die aufgrund geringer Ressourcen auch nur begrenzte Wirkung entfalten konnten«, bemerkte der bündnisgrüne Fraktionssprecher für Wirtschaft am Montag gegenüber jW. Die Tätigkeiten der ISGs seien politisch aber so zu kontrollieren, dass sie nicht in eine Ökonomisierung des öffentlichen Raums umschlügen. Ähnlich äußerte sich Mathias Schulz, Sprecher der SPD-Fraktion für Stadtentwicklung, gleichentags gegenüber jW. Klar sei, »die Aktivitäten der Standortgemeinschaften sind kein Ersatz für Investitionen und Vorgaben der öffentlichen Hand«.
Wie finanzieren sich ISGs? Mittels Abgabe aller örtlichen Grundeigentümer. Ein Knackpunkt. Das bisherige Abgabenmodell »basierte auf dem Einheitswert der Grundsteuer«, so Gaeblers Sprecherin. Dies hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im April 2018 für unzulässig erklärt. Deshalb war die Novelle überfällig. Nun bemisst sich die Abgabe nach Grundstücksgröße und Geschossanzahl. »Eine faire Kostenverteilung unter allen Immobilieneigentümern«, sagte Henrik Vagt, Vizehauptgeschäftsführer der IHK Berlin, am Montag jW. Hinzu kommt: Der Senat will jede neue ISG mit bis zu 300.000 Euro sponsern. »Anschubfinanzierung« nennt das Wirtschaftssenatorin Giffey.
Eine ISG kann beim zuständigen Bezirksamt beantragt werden – vorausgesetzt 15 Prozent der ansässigen Eigentümer votieren für die Antragstellung. Trifft das zu, sind alle des betreffenden Areals Teil der Standortgemeinschaft – und müssen entsprechend löhnen. Alles rechtssicher also? Kaum. Ein Modus, der weiterhin eine hohe Klageanfälligkeit schaffe, ahnt Linke-Politikerin Gennburg. Zumal Ladeninhaber außen vor bleiben, nur Eigentümer entscheiden bei einer Zweidrittelmehrheit über »Aufwertungsmaßnahmen«. Für Vagt wohl kein Problem. Zudem würden kleine inhabergeführte Gewerbe von den Verbesserungen profitieren, »da ein attraktiveres Umfeld zusätzliche Kundschaft anzieht und die Standortqualität erhöht«.
Bemerkenswert: Textsicher sind die Gesetzestexter aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung offenbar nicht. Eigens für die Novelle hat Ressortchef Gaebler eine Großkanzlei beauftragt. Der Expertise wegen. Und die kostet. Auf knapp 130.000 Euro belief sich das Kanzleihonorar, weiß Gennburg. Das AGH sei aber der Gesetzgeber und benötige keine Kanzlei für einen Gesetzesbeschluss. Mehr noch: »Das BIG braucht niemand.«
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