Lichtblick aus İmralı
Von Tim Krüger»Es ist Zeit für eine Ära des Friedens, der Demokratie und der Geschwisterlichkeit in der Türkei und der ganzen Region.« Mit diesen Worten zitieren Pervin Buldan und Sırrı Süreyya Önder in einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung den inhaftierten kurdischen Politiker Abdullah Öcalan. Am Vortag hatte die türkische Regierung den beiden Politikern der prokurdischen Dem-Partei Zugang zur Gefängsnisinsel İmralı gewährt. Buldan und Önder waren bereits in den Jahren 2013 bis 2015 an Unterredungen zwischen Öcalan und Staatsvertretern beteiligt. Das mit großer Spannung erwartete Treffen war die erste Zusammenkunft Öcalans mit einer politischen Delegation, seit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Frühjahr 2015 den Friedensprozess mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) abrupt abbrach.
Brisant ist der Besuch vor allem vor dem Hintergrund der seit Oktober in der Türkei laufenden Debatte über eine mögliche Wiederaufnahme von Friedensgesprächen mit dem 75jährigen Vorsitzenden der PKK. Im Oktober startete der Chef der faschistischen Regierungspartei MHP, Devlet Bahçeli, einen ungewohnten Vorstoß und forderte, Öcalan solle im Parlament sprechen und die »Auflösung der Organisation« bekanntgeben. Bereits am 23. Oktober gestattete die türkische Justiz nach mehr als 43 Monaten der Totalisolation Öcalans dessen Neffen Ömer Öcalan einen Besuch in İmralı. Der PKK-Vorsitzende wandte sich über ihn an die Öffentlichkeit und erklärte, dass er den Konflikt »auf eine rechtliche und politische Ebene« lenken könne, wenn die Bedingungen dies zuließen.
Doch statt der Aufnahme von Friedensgesprächen intensivierte die türkische Führung ihre kriegerische Kampagne gegen die kurdische Bewegung ein weiteres Mal. In mehreren Angriffswellen legte die türkische Luftwaffe große Teile der zivilen Infrastruktur Nordsyriens in Schutt und Asche, mehrere demokratisch gewählte Stadtverwaltungen in den kurdischen Gebieten der Türkei wurden ihres Amts enthoben und durch Zwangsverwalter ersetzt, und zuletzt überfielen von der Türkei gestützte Dschihadistenverbände der sogenannten Syrischen Nationalarmee kurdische und arabische Gebiete der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens.
Die PKK zeigte sich bis dato äußerst skeptisch über die vermeintliche Kompromissbereitschaft des türkischen Regimes. Ob das jüngste Gespräch mit Öcalan einen Wendepunkt bedeuten kann, wird in erster Linie von der Haltung und den weiteren Schritten Ankaras abhängen. Öcalan selbst betonte seine Entschlossenheit, einen positiven Beitrag zur jüngsten Friedensinitiative leisten zu wollen. Die Lösung der kurdischen Frage sei angesichts der Ereignisse in Gaza und Syrien eine dringende Notwendigkeit, und einer der wichtigsten Orte für die Aushandlung einer Lösung sei das Parlament der Türkei. Am Dienstag äußerte sich Bahçeli in der Fraktionssitzung seiner Partei zur Botschaft Öcalans. Er bezeichnete das Treffen als »Impuls für einen verheißungsvollen Anfang«. Während »auf der anderen Seite« der türkischen Grenzen »eine Krise nach der anderen ausbricht«, sei es geboten, sich im Innern gegenseitig beizustehen, so Bahçeli.
Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) nannte die Deklaration Öcalans in ihrer Neujahrserklärung ein »Manifest«. Öcalan habe darin erneut seine »positiven Ansichten« dargelegt. Bereits im Oktober hatte der Dachverband seine grundlegende Verhandlungsbereitschaft signalisiert und angekündigt, die »Bewegung« werde sich »mit all ihren Teilen, Strukturen und Organisationen« einem von Öcalan geführten Prozess anschließen. Besê Hozat, Kovorsitzende des Verbandes, äußerte sich in einem Fernsehinterview gegenüber dem Kanal Medya Haber dennoch weiterhin skeptisch über die Absichten der türkischen Führung. In bezug auf den andauernden türkischen Angriffskrieg in Nordsyrien fragte sie: »Wie kann eine Regierung, die die dortige Autonomieverwaltung zu zerstören versucht, ernsthaft eine demokratische Lösung für die kurdische Frage anbieten?«
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