Meloni schwächelt
Von Gerhard FeldbauerMedien des Kapitals wie die US-Zeitung Politico sehen die Führerin der faschistischen Partei Brüder Italiens (FdI) zu Beginn ihres dritten Amtsjahrs an der Spitze »einer der stabilsten Regierungen, die es je in Italien gab«, als die »mächtigste Persönlichkeit Europas«. Für die FAZ ist sie unter den führenden EU-Regierungschefs »hervorragend positioniert«, und der britische Economist stilisiert sie zur »maßgeblichen Stimme im globalen politischen Panorama« mit einer »transatlantischen Vermittlerrolle« im Konflikt »zwischen Brüssel und dem neuen Bewohner des Weißen Hauses«.
In jedem Fall hat sich Melonis Abkehr von EU-kritischen Positionen hin zu einem pragmatischen Kurs »pro Europa, pro Ukraine« ausgezahlt. Bei den EU-Wahlen im Juni wurden ihre FdI mit 28,9 Prozent stärkste Partei. Allerdings erreichte der führende oppositionelle sozialdemokratische Partito Democratico (PD) nur vier Prozentpunkte weniger. Danach setzte Meloni in Brüssel die Ernennung ihres Parteifreundes Raffaele Fitto zum stellvertretenden Vizepräsidenten der EU-Kommission durch, was sie als eine Anerkennung der »neuen zentralen Rolle unseres Landes« in der EU feierte. »Italien ist endlich wieder ein Protagonist in Europa«, wird sie von ANSA zitiert.
Repression ohne Grenzen
2024 setzte Meloni die Säuberung öffentlich-rechtlicher Institutionen vom öffentlichen Dienst bis hin zur Rundfunkanstalt Rai von »linken Elementen« fort und besetzte die Posten mit den FdI angehörenden oder nahestehenden Personen. Selbst die Intendanten der Opernhäuser blieben nicht verschont. Ihr Unterdrückungsfanatismus kennt keine Grenzen. Verfolgt werden nicht nur die linke Mitte und sogenannte Migranten, sondern ebenso LSBTI-Personen. Um den Widerstand gegen ihren sozialfeindlichen Regierungskurs zu stoppen, erließ Meloni 2024 ein ganzes Bündel von Gesetzen zur verschärften Repression. Unter anderem sind bei der Besetzung von Gebäuden, Blockaden von Eisenbahnen und selbst unbefestigten Straßen, die bisher mit Verwaltungssanktionen geahndet wurden, jetzt langjährige Gefängnisstrafen vorgesehen.
Unterstützt von Brüssel, hat Meloni die Internierung Schutzsuchender an den EU-Außengrenzen in Verhandlungen mit Tunesien, Algerien, Ägypten und weiteren Ländern gegen die Zahlung von Hilfsgeldern durchgesetzt, wodurch es laut Innenministerium möglich geworden sei, von Januar bis Mai 2024 rund 90.000 Menschen abzufangen und die Zahl von 152.272 Geflüchteten 2023 auf 62.000 zu reduzieren.
Ein Erfolgsmodell sollte die Errichtung von Aufnahmelagern in Albanien werden. Asylanträge von etwa 36.000 Personen sollen dort jährlich geprüft werden, auf Ablehnung soll eine Abschiebung folgen. Das Abkommen, das als »Modell für die Zusammenarbeit zwischen EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern bei der Bewältigung der Migrationsströme« gedacht war, scheiterte zunächst an zweimaligen Einsprüchen eines römischen Gerichts, das die Unterbringung von Asylsuchenden in Albanien als »unrechtmäßig« einstufte. Auf einem vergangene Woche in Rom einberufenen Albanien-Gipfel kündigte Meloni an, die Transfers diesen Monat wiederaufzunehmen, und behauptete, das Oberste Gericht habe dem zugestimmt.
Ihre Pläne, sich als Ministerpräsidentin künftig »direkt wählen« zu lassen, hat Meloni bisher nicht konkret in Angriff genommen, da das auf eine Verfassungsänderung hinausliefe, für die sie die nötige Zweidrittelmehrheit derzeit kaum erhalten würde. Meloni betont jedoch, das Vorhaben bleibe auf ihrer Agenda. Gleichzeitig erklärte sie, wenn sie dabei eine Niederlage erleide, werde sie nicht zurücktreten.
Unter Meloni hat die Armut einen Rekordstand erreicht. Im April 2024 meldete das Statistikamt Istat, dass 2023 etwa 8,5 Prozent aller italienischen Familien als »absolut arm« einzustufen waren. Der Präsident der Stiftung Banco Farmaceutico, Sergio Daniotti, schockierte zum Jahresende mit der Nachricht, dass im vergangenen Jahr 463.000 Menschen die Kosten für Medikamente nicht aufbringen konnten.
Gegen den hemmungslosen Sozialabbau formiert sich der Widerstand der Gewerkschaften. Zuletzt fanden im November und Dezember zwei Generalstreiks statt, um eine Sicherung der Arbeitsplätze und höhere Löhne durchzusetzen und gegen die Kriegswirtschaft sowie dagegen zu protestieren, dass die Konzerne den Aktionären Dividenden in Milliardenhöhe zahlen, statt fällige Investitionen vorzunehmen.
Opposition formiert sich
Die Sekretärin des PD, Elena Schlein, und der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), Expremier Giuseppe Conte, haben ihre Meinungsverschiedenheiten hintangestellt. Die Mitte-links-Opposition ist auf dem Weg, einen »Campo Largo« (breites Feld) gegen Meloni zu bilden. Dieses Bündnis konnte bei drei von sechs Regionalwahlen, die als Stimmungstests für Meloni galten, einen Sieg einfahren: Der PD verteidigte seine »rote Hochburg« Emilia Romagna, die Meloni, propagandistisch groß angekündigt, »erobern« wollte. Auf Sardinien und in Umbrien löste Mitte-Links bestehende faschistische Koalitionen ab.
Meloni sitzt also zu Beginn ihres dritten Amtsjahres keineswegs so fest im Sattel, und selbst der Industriellenverband Confindustria schließt ihren Fall nicht mehr aus und will vorbeugen, dass nach ihr Schleins Sozialdemokraten das Ruder übernehmen. Der Leiter der Partei »Lebendiges Italien« (IV), der frühere Premier Matteo Renzi, der sich in seiner Regierungszeit (2014–16) offen zum Bündnis mit dem Industriellenverband bekannte, hat sich wohl deshalb dem Mitte-links-Bündnis angeschlossen. Laut der Zeitung Libero Quotidiano unterstützt ihn der frühere Premier und Senator Mario Monti, der gegen Meloni schweres Geschütz auffuhr. Mit ihrem Verhältnis zu Elon Musk zwinge sie »Italien ein Protektorat auf«, so der frühere EU-Kommissar, der auch die Nominierung Fittos kritisierte. Damit stellt sich auch Monti, der nach dem Sturz Berlusconis 2011 eine Übergangsregierung bildete, an die Seite der Mitte-links-Opposition, um für eine Nachfolge bereitzustehen.
Dass in dieser Situation Mitglieder faschistischer »Werwolf-Divisionen« eine Ermordung Melonis geplant haben sollen, weil sie eine »Verräterin« und eine »ekelhafte Konkubine Zions« geworden sei, hielten selbst großbürgerliche Medien wie La Stampa für fraglich. Vermutet wird eine Inszenierung, wozu die Mailänder Zeitung Corriere della Sera erwähnte, dass die Aktivitäten der Werwölfe spätestens seit Mai 2023 bekannt waren. Dass sie erst jetzt an die große Glocke gehängt wurden, hängt erkennbar damit zusammen, dass Meloni in Brüssel von Mitte-Links kritisiert wird. Mit ihrer Darstellung als Opfer faschistischer Anschlagspläne wird nun anscheinend versucht, ihr mit der Nominierung Fittos erneut unter Beweis gestelltes Festhalten am giftigen Erbe Benito Mussolinis zu verschleiern.
Meloni hielt das nicht ab, im Dezember auf dem Atreju-Festival ihrer Parteijugend im Circus Maximus in Rom die Stabilität ihrer Regierung – ihre Erfolge, ihren international gewonnenen Einfluss, ihre Rolle als Schlüsselakteurin in der europäischen Politik und als Brückenbauerin zu den USA – lobend herauszustellen.
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