Eine Gitarre ist keine Gitarre
Von Alexander Kasbohm![11 (c) Carsten Nicolai.jpg](/img/450/203752.jpg)
Der österreichische Musiker Christian Fennesz veröffentlicht seit knapp 30 Jahren experimentelle Musik, die in Worte zu fassen schon manch großen Geist scheitern ließ. Mit etwas gutem Willen könnte man sie dem recht amorphen Genre Ambient zuordnen. Andererseits möchte man Fennesz genau da raushalten. Es sind ja gerade die »störenden« Elemente, die seine Musik definieren. Untypisch für Ambient ist auch, dass die primäre Klangquelle eine Gitarre ist, die Fennesz so stark verfremdet, dass sie kaum noch als Gitarre erkennbar ist. Seine Musik funktioniert wie eine Klanginstallation, nur eben ohne den physischen Aspekt – die Installation.
Visuell lenkt Fennesz die Assoziationen zuverlässig ins Maritime. Auch das Cover des neuen Albums »Mosaic« zeigt eine Szene am Meer. Die Küste, an der der Betrachter steht, ist nicht zu sehen, nirgends Menschen, die See füllt mehr als die Hälfte des Bildes. Große, sanfte Wogen, von kleinen, unruhigen Wellen texturiert. Irgendwo im Hintergrund eine Fähre, am Horizont eine Berglandschaft.
Wassermetaphern passen hervorragend zur Musik. Strömungen und Unterströmungen, die Gleichzeitigkeit von Ruhe im Gesamtbild und Unruhe im Detail. Wie Erinnerungen, bei denen die Grenze zwischen Erlebtem und Erfundenem verschwimmt. Gedehnte Augenblicke, die sich wie in Zeitlupe vor dem inneren Auge abspielen, klare Details in einem eher vagen Bild.
Das Stück »Heliconia« beginnt mit sanften Klangflächen, die bis zur Hälfte des gut neunminütigen Tracks dahinschaukeln, bis eine erkennbare, für Fennesz ungewohnt klare Gitarre ein paar Akkorde schrammt. Einbruch der Metarealität in die Welt der musikalischen Fiktion. Über die verbleibenden viereinhalb Minuten vereinigen sich die beiden Ebenen, bevor der Track »Love and the Framed Insects« eine friedfertige Harmonie über einen immer wieder durchscheinenden rauhen Untergrund legt. Gitarrenklänge scheinen sich den gemächlichen Wogen anzupassen. Man kann auf ihnen liegen, untertauchen, auftauchen.
Die an- und abschwellenden, sich langsam verändernden Klangflächen werden immer wieder von Geräuschen unterbrochen, die Glitches in der Matrix sein könnten, das Knacken eines Verstärkers. Oder etwas völlig anderes. Diese Elemente irritieren, verhindern, dass man in den Klängen versinkt. Es sind Spuren des Arbeitsprozesses, die die Künstlichkeit des hier Geschaffenen bezeugen. So gesehen, ist die Musik von Fennesz immer auch eine Verteidigung des Genres »Ambient« gegen sich selbst, gegen die esoterischen, nichtssagenden, allzu harmonischen Klangteppiche, zu denen sich der gestresste Manager mit für diesen Zweck erstellten Spotify-Playlisten entspannen, sein Bewusstsein ausschalten kann. Bevor er wieder an die Arbeit geht.
Dem reaktionären Ambient antwortet Fennesz mit einem durchaus progressiven Werk, das Aufmerksamkeit verlangt, Auseinandersetzung fordert. »Mosaic« ist definitiv kein Album, das man im Hintergrund laufen lassen kann, während man anderen Tätigkeiten nachgeht. Es will, dass du zuhörst.
Fennesz: »Mosaic« (Touch)
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