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Aus: Ausgabe vom 03.01.2025, Seite 7 / Ausland
Krieg gegen Gaza

Erlaubnis zum Töten

Untersuchung der New York Times: Israels Militär nimmt Tod von Zivilisten – teils Hunderten – in Kauf
Von Gerrit Hoekman
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So sieht es aus, wenn Israel bei Angriffen die Zivilbevölkerung schützt (Blick von Südisrael auf den Gazastreifen, 2.1.2025)

Eine weitere Untersuchung bestätigt, was in den vergangenen 15 Monaten offenkundig war und schon im April in einer Recherche des israelisch-palästinensischen Magazins +972 aufgedeckt wurde: dass Israels Armee den Tod von Zivilisten im Krieg gegen den Gazastreifen wissentlich in Kauf nimmt. Die New York Times (NYT) stützt ihren Bericht vom 26. Dezember auf Dutzende Militärakten und Gespräche mit mehr als 100 Soldaten und Beamten, die überwiegend anonym bleiben wollen. Ihre Aussagen geben ein umfassendes Bild, »wie Israel einen der tödlichsten Luftkriege dieses Jahrhunderts führte«. Zudem seien mangelhafte Methoden für die Zielfindung angewandt worden, routinemäßig habe man versäumt, nach dem Angriff die Schäden an der Zivilbevölkerung zu untersuchen oder Offiziere für Fehlverhalten zu bestrafen. Warnungen aus den eigenen Reihen und von hochrangigen US-Militärs diese Mängel betreffend seien ignoriert worden.

Bereits wenige Stunden nach dem Überfall palästinensischer Gruppen aus dem Gazastreifen auf Israel hatte die israelische Armeeführung am 7. Oktober 2023 um Punkt 13 Uhr ihren Offizieren in den mittleren Rängen die Erlaubnis erteilt, bei jedem Luftangriff auf die Enklave den Tod von bis zu 20 palästinensischen Zivilisten hinzunehmen. Begründet wurde das in der entsprechenden Mitteilung damit, dass es sich um eine Situation handele, die »beispiellos und kaum vergleichbar mit anderen Schauplätzen von Feindseligkeiten weltweit« sei. Zum Abschuss freigegeben waren nun alle, die irgendeinen Posten in der Hamas oder im »Islamischen Dschihad« bekleideten, nicht nur die hohen Ränge und Führer, wie es vorher Praxis gewesen sei. Von Beginn an habe Israel schwere Bomben US-amerikanischer Bauart eingesetzt, auch wenn es möglich gewesen wäre, dafür präzisere Munition zu verwenden.

»Die Genehmigung durch hochrangige Kommandeure war nur erforderlich, wenn das Ziel zu nahe an einem sensiblen Ort wie einer Schule oder einer Gesundheitseinrichtung lag, obwohl solche Angriffe regelmäßig auch genehmigt wurden«, schreibt die NYT. Die in London ansässige Kriegsbeobachtungsgruppe »Airwars« registrierte im Oktober 2023 mindestens 136 Luftangriffe, bei denen jeweils mindestens 15 Menschen umkamen – fast fünfmal so viele, wie »Airwars« seit ihrer Gründung vor zehn Jahren in Konflikten irgendwo sonst auf der Welt innerhalb von einem Monat dokumentiert hat. Ein weiterer Befehl vom 8. Oktober erlaubte dann sogar die Gefährdung von bis zu 500 Zivilisten täglich – aber auch diese Grenze wurde demnach zwei Tage später aufgehoben, und die Offiziere konnten »so viele Luftschläge absegnen, wie sie für legal hielten«. »Eine für ein zeitgenössisches westliches Militär außergewöhnliche Schwelle«, urteilte die NYT.

Am 10. Oktober 2023 bombardierte die Luftwaffe in Deir Al-Balah zum Beispiel das Haus der Familie von Mohammed Al-Nadschar, einem Kommandanten des »Islamischen Dschihad«. Eine Vorwarnung hatte es offenbar nicht gegeben. Die Bombe soll neben der Zielperson auch 20 Mitglieder der Großfamilie, die sich zu dem Zeitpunkt in dem Haus aufhielten, getötet haben, darunter Frauen, Kinder und ein zwei Monate altes Baby. Mindestens ein Nachbar kam wohl ebenfalls ums Leben. Beim Angriff auf den Hamas-Kommandeur Ibrahim Biari starben laut »Airwars« Ende Oktober 2023 sogar mindestens 125 Unschuldige. Und das in früheren Gazakriegen praktizierte sogenannte Roof Knocking, bei dem vor einem Luftangriff ein kleines Projektil ohne Sprengstoff auf das Dach eines Hauses geworfen wird, um die Bewohner durch »Anklopfen« zum Verlassen zu bewegen, sei nach dem 7. Oktober kaum noch angewandt worden, wie die NYT aus Militärkreisen erfuhr.

Innerhalb weniger Tage habe die Armee eine bereits vor dem 7. Oktober erstellte Datenbank angeblich legitimer Ziele abgearbeitet. Danach habe man größtenteils künstliche Intelligenz verwendet, um nach neuen Zielen zu suchen. In den ersten beiden Monaten des Krieges seien die Luftangriffe demnach am intensivsten gewesen, und innerhalb kürzester Zeit wurden mehr als 15.000 Palästinenser getötet. Am Mittwoch teilte das israelische Militär mit, dass seine Luftwaffe im Dezember mehr als 1.400 Angriffe auf die mittlerweile zu großen Teilen zerstörte Enklave geflogen hat.

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