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Aus: Ausgabe vom 03.01.2025, Seite 15 / Feminismus
Lateinamerika

Getötet, weil sie Frauen waren

Lateinamerika: Zahl der Femizide weiterhin hoch – Straflosigkeit und mangelnde institutionelle Unterstützung befördern Gewalt
Von Sara Meyer, Bogotá
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Mehr als zwei Femizide am Tag: Protest gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Bogotá (25.11.2024)

Camila Ortega, acht Jahre alt, Taxco, Mexiko – tot. Sofía Delgado Zúñiga, zwölf Jahre alt, Bogotá, Kolumbien – tot. Sheyla Cóndor, 26 Jahre alt, Lima, Peru – tot. Weshalb? Weil sie Mädchen oder Frauen waren. Die Rede ist vom Femizid, also der Ermordung von Frauen wegen ihres Geschlechts.

Laut der Weltgesundheitsorganisation (2023) hat weltweit etwa jede dritte Frau in ihrem Leben körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erlebt. Lateinamerika verzeichnet besonders hohe Raten: sieben von zehn Mädchen und acht von zehn Frauen sind in ihrem Leben in irgendeiner Form mit geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert, wie ein Oxfam-Report 2024 zum Thema zeigt. Die Gewalt ist allgegenwärtig und äußert sich nicht nur in der häuslichen Sphäre, sondern auch im öffentlichen Raum und zunehmend in sozialen Netzwerken, wo Frauen bedroht und angegriffen werden, resümiert die Organisation.

Die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) berichtete, dass im Jahr 2023 mindestens 3.897 Frauen in der Region Opfer von Femiziden wurden – das entspricht elf geschlechtsspezifischen Tötungen pro Tag. Für 2024 sind die Zahlen ähnlich besorgniserregend. In Mexiko wurden von Januar bis November 762 Femizide dokumentiert, während die Gesamtzahl der ermordeten Frauen bei 2.409 lag. Jeden Tag sterben dort durchschnittlich sieben Frauen.

Argentinien meldete bis Ende November 252 Femizide. Trotz zahlreicher Kampagnen und staatlicher Maßnahmen hat sich die Zahl in den vergangenen sieben Jahren kaum verändert. In Kolumbien wurden bis Oktober 745 Frauen ermordet, darunter 44 Mädchen und elf Transgenderpersonen. Besonders betroffen sind Regionen, in denen bewaffnete Gruppen aktiv sind. Die kolumbianische Ombudsstelle registrierte zudem 26.605 Fälle von Gewalt in Paarbeziehungen und 33 Fälle von Menschenhandel, was die prekäre Sicherheitslage für Frauen weiter verdeutlicht.

Die Situation ist in anderen Ländern Lateinamerikas nicht weniger dramatisch: Honduras verzeichnete 216 Femizide, Peru 141, Bolivien 81, Ecuador laut Regierungsangaben 38 – die Lateinamerikanische Vereinigung für alternative Entwicklung (Aldea) spricht jedoch von 180 Fällen; mehr als 100 Kinder verloren ihre Mutter. Paraguay meldete 31, El Salvador 36 Femizide. Die höchsten Mordraten im Verhältnis zur Bevölkerungszahl fanden sich im Vorjahr in Honduras, der Dominikanischen Republik und in El Salvador.

Eine der Hauptursachen für die hohe Zahl an Femiziden ist die weitverbreitete Straflosigkeit. In vielen Fällen werden Morde an Frauen nicht als Femizid eingeordnet, da das Motiv des Täters – der geschlechtsspezifische Aspekt – oft nicht eindeutig nachgewiesen werden kann. Zivilgesellschaftliche Organisationen bringen die hohen Zahlen in Lateinamerika mit der noch immer vorherrschenden Machokultur in Zusammenhang.

Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IACHR) verurteilte bereits 2009 den mexikanischen Staat für seine Untätigkeit in Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt und forderte umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung von Femiziden. Trotz vieler Versprechen sind die Fortschritte marginal. Mexikos dabei führender Bundesstaat, der die Hauptstadt umschließt, verzeichnete 2024 zwar einen Rückgang der Morde um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, doch die Gesamtzahlen bleiben erschreckend hoch.

Ein weiterer beunruhigender Aspekt ist die soziale und ethnische Dimension der Femizide. Laut Oxfam gehören die Hauptopfer zu historisch benachteiligten Gruppen: junge, mestizische und arme Frauen, die oft wenig Zugang zu Bildung und wirtschaftlichen Ressourcen haben. Diese Frauen sind nicht nur besonders gefährdet, Opfer von Gewalt zu werden, sondern auch von einem Justizsystem, das ihre Rechte nicht schützt.

Soziale Bewegungen wie »#NiUnaMenos« (Nicht eine mehr) spielen eine entscheidende Rolle im Kampf gegen Femizide. In Argentinien, wo die Bewegung ihren Ursprung hat, mobilisierten Frauen im November erneut Hunderttausende, um auf die andauernde Gewalt aufmerksam zu machen. In Kolumbien und Mexiko setzen Aktive zunehmend auf digitale Plattformen und Schutzapps, die bei Gewalt helfen, Daten zu dokumentieren und Netzwerke zu schaffen. Services wie »Femitaxis«, die auf weibliches Fahrpersonal setzen, bringen Frauen sicher nach Hause.

Zwar haben viele Länder Femizidgesetze erlassen, doch die Umsetzung scheitert oft an fehlenden Ressourcen und institutionellen Kapazitäten. Es braucht höhere Investitionen in Präventionsprogramme, Bildung und psychosoziale Unterstützung für Opfer sowie eine Stärkung der Justizsysteme. Die Aufstockung von Mitteln für geschlechtsspezifische Gerechtigkeit ist unerlässlich, insbesondere für ethnische Minderheiten, die besonders stark betroffen sind, fordert auch Oxfam. Feministische Organisationen verlangen zusätzlich einen nachhaltigen Wandel, der Frauen stärkt und patriarchale Strukturen aufbricht, um die Gewaltspirale zu durchbrechen.

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