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Aus: Ausgabe vom 04.01.2025, Seite 15 / Geschichte
Nahostkonflikt

Die ewige Hauptstadt

Vor 75 Jahren erklärte Israels Premierminister David Ben-Gurion Jerusalem zum Regierungssitz
Von Knut Mellenthin
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Militärparade zum Unabhängigkeitstag im 1950 zur »ewigen Hauptstadt Israels« erklärten Jerusalem (25.4.1950)

Jerusalem ist seit 75 Jahren offiziell die Hauptstadt Israels. Dort tagt das Parlament, dort befinden sich das Büro des Premierministers und alle Ministerien, mit einer Ausnahme: Das Verteidigungsministerium hat ebenso wie das Hauptquartier der Streitkräfte seinen Sitz immer noch in Tel Aviv.

Aber international haben nur wenige Staaten diese von Israel geschaffene Realität anerkannt, und fast alle Mitglieder der Vereinten Nationen unterhalten ihre Botschaften immer noch in Tel Aviv. Ursprünglicher Anlass dafür ist ein Passus der Resolution 181 der UN-Vollversammlung vom 29. November 1947. Diese Erklärung – genau betrachtet nur ein Vorschlag – sah die Bildung eines arabischen und eines jüdischen Staates auf dem Gebiet des britischen Völkerbundmandats Palästina vor, die durch eine Wirtschaftsunion verbunden sein sollten. Ausgenommen davon war Jerusalem mit seiner nahen Umgebung, das als separates politisches Gebilde unter internationale Aufsicht gestellt werden sollte. Praktisch jedoch war die Stadt aufgrund des Kriegsverlaufs und Israels Waffenstillstandsvereinbarung mit Jordanien vom 3. April 1949 zwischen beiden Ländern geteilt.

Wann sich die israelische Regierung intern und im Kontakt mit Jordanien, das in dieser Frage ähnliche Interessen hatte, auf die offizielle Legitimierung der realen Situation vorzubereiten begann, lässt sich nicht genau feststellen. Offensichtlich ist, dass Israel zunächst seine Aufnahme in die UNO abgewartet hatte, die es nicht durch die explizite Abkehr von der Resolution 181 gefährden wollte. Die entsprechende Abstimmung der UN-Vollversammlung erfolgte am 11. Mai 1949, nachdem der Sicherheitsrat am 4. März 1949 gegen die Stimme Ägyptens und bei Enthaltung Großbritanniens die Aufnahme Israels empfohlen hatte.

Nicht mehr gebunden

In beiden Entschließungen findet sich die Formulierung, dass Israel »ein friedliebender Staat« und bereit sei, die in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen Verpflichtungen zu erfüllen. Grund für Zweifel an dieser Beurteilung gab es schon damals: Israelische Politiker und Diplomaten, darunter auch Israels Botschafter bei der UNO, Abba Eban, hatten mehrfach öffentlich ihre Ablehnung der Resolution 194 erklärt, die die Vollversammlung am 11. Dezember 1948 mit 35 gegen 15 Stimmen bei 8 Enthaltungen beschlossen hatte. Es ist die Resolution, die das Recht der im Krieg vertriebenen und geflüchteten Palästinenser – damals mehr als 700.000 Menschen – auf Rückkehr in ihre Heimatorte zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder auf Entschädigung für ihre materiellen Verluste festschreibt.

Am 5. Dezember 1949 erklärte Premierminister David Ben-Gurion in der Knesset zum ersten Mal öffentlich, Israel fühle sich an den Teilungsplan vom November 1947 »moralisch nicht mehr gebunden«, weil die UNO nicht in der Lage gewesen sei, ihn durchzusetzen. Nach israelischer Auffassung sei die Resolution 181 in bezug auf Jerusalem »null und nichtig«. Das »jüdische Jerusalem« sei »ein organischer, untrennbarer Teil des Staates Israel«.

Offenbar war der Zeitpunkt dieser Erklärung dadurch bestimmt, dass der Status Jerusalems bei den Vereinten Nationen gerade wieder auf der Tagesordnung stand. Ein von Australien eingebrachter Entwurf sollte die fortbestehende Gültigkeit der Teilungsresolution bekräftigen. Der Antrag wurde von der UN-Vollversammlung am 9. Dezember 1949 als Resolution 303 mit 38 gegen 14 Stimmen bei 7 Enthaltungen angenommen. Für den Antrag stimmten die meisten Staaten, die heute dem »globalen Süden« zugerechnet werden, die Staaten des »Ostblocks«, aber auch Frankreich und mehrere andere europäische Länder. Dagegen stimmten die USA, Großbritannien und mehrere Mitglieder des Commonwealth wie Kanada, Südafrika und Neuseeland.

Einmütige Zustimmung

Am 13. Dezember 1949 trat Ben-Gurion erneut vor die Knesset mit dem Antrag, die Regierung und das Parlament von Tel Aviv offiziell nach Jerusalem zu verlegen. Er erwähnte in diesem Zusammenhang, dass der Umzug der Ministerien schon gleich nach Ende der Kampfhandlungen, also wohl im ersten Quartal 1949, begonnen habe. Nur das Außenministerium – das erst 1953 nach Jerusalem verlegt wurde – und das Verteidigungsministerium sollten in Tel Aviv bleiben. Die Knesset stimmte dem Vorschlag des Premierministers ohne Abstimmung »einmütig« zu. Oppositionsführer Menachem Begin von der ultrachauvinistischen Cherut-Partei ging noch darüber hinaus mit der Forderung, der Welt müsse gesagt werden, dass »das gesamte Jerusalem uns gehört«.

Seit dem 27. Dezember 1949 tagt die Knesset in Jerusalem, wo sie zuvor nur einmal, zur Eröffnungssitzung am 14. Februar 1949, zusammengekommen war. Am 4. Januar 1950 verkündete Ben-Gurion während einer Kabinettssitzung, dass Jerusalem »die ewige Hauptstadt Israels« sei. Die Knesset schloss sich dieser Aussage am 23. Januar 1950 mit 61 gegen zwei Stimmen von Abgeordneten der Kommunistischen Partei und bei vielen Enthaltungen der Cherut-Partei und anderer Rechter an.

Im Junikrieg 1967 eroberten israelische Truppen den jordanischen Ostteil Jerusalems einschließlich der Altstadt. Bürgermeister Teddy Kollek ließ sofort das Marokkanische Viertel abreißen, dessen Existenz bis ins 12. Jahrhundert zurückreichte. Den Bewohnern blieben nur wenige Stunden Zeit, ihre Wohnungen zu verlassen. Im eroberten Ostjerusalem, dem zahlreiche Dörfer in der Umgebung der Stadt angegliedert wurden, galt nun israelisches Recht.

Der faktischen Annexion folgte am 30. Juli 1980 auch die formale. Seither betrachtet Israel ganz offiziell »das vollständige und vereinte Jerusalem« als seine Hauptstadt. Der UN-Sicherheitsrat reagierte am 20. August 1980 mit der Resolution 478, deren Annahme die US-Regierung unter Jimmy Carter durch Stimmenthaltung ermöglichte. Mit dieser Resolution wurde die Annexion als Verletzung internationalen Rechts verurteilt und alle damit verbundenen Maßnahmen für null und nichtig erklärt. Die Mitglieder der Vereinten Nationen wurden aufgefordert, diese Entscheidung des Sicherheitsrats zu akzeptieren und – soweit sie ihre Botschaften in Jerusalem hatten – von dort abzuziehen. Das betraf mindestens 20 Länder, hauptsächlich in Afrika und Lateinamerika, die ihre Vertretungen während der 1960er Jahre aufgrund israelischer Hilfsversprechen dorthin verlegt hatten.

Keine Hindernisse mehr

Seit der Bildung der Provisorischen Regierung haben wir den Frieden, die Sicherheit und die wirtschaftliche Konsolidierung Jerusalem zu unserem Hauptanliegen gemacht. Während der Kriegsanstrengungen, als Jerusalem abgeschnitten war, waren wir gezwungen, den Regierungssitzung nach Tel Aviv zu verlegen.

Sobald die Kämpfe aufhörten, begannen wir, die Regierungsbüros nach Jerusalem zu verlegen und die Bedingungen zu schaffen, die die Hauptstadt benötigte – wirksame Kommunikationsverbindungen, wirtschaftliche und technische Vorkehrungen. Wir setzen den Umzug der Regierung nach Jerusalem fort und hoffen, ihn so bald wie möglich abzuschließen.

Als die erste Knesset am 14. Februar 1949 in Jerusalem eröffnet wurde, gab es keine entsprechenden Einrichtungen für ihr normales Funktionieren (…). Es war nötig, ihre Sitzungen zeitweise nach Tel Aviv zu verlegen. Die erforderlichen Rahmenbedingungen in Jerusalem stehen kurz vor ihrer Vollendung. Es gibt jetzt nichts, was die Knesset daran hindert, nach Jerusalem zurückzukehren. Wir schlagen vor, dass Sie eine Entscheidung in diesem Sinn treffen. Aber für den Staat Israel hat es immer nur eine einige Hauptstadt gegeben und wird es immer nur geben: Jerusalem, die Ewige. So war es vor 3.000 Jahren – und so wird es, glauben wir, bis zum Ende der Zeit sein.

(Premierminister Ben-Gurion am 13. Dezember 1949 in Tel Aviv vor der Knesset)

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (4. Januar 2025 um 00:07 Uhr)
    Die oben aufgeführten Fakten belegen klar und deutlich, dass Israel von Anfang an kein Interesse an der von der UNO beschlossenen Zweistaatenlösung gezeigt hat. Stattdessen verfolgte es eine Politik, die auf die einseitige Durchsetzung eigener territorialer Ansprüche ausgerichtet war. Zudem sind Behauptungen wie genau »das ewige Rom« als auch »die ewige Hauptstadt Jerusalem« problematisch. Diese Narrative versuchen, historische oder religiöse Mythen zu politischen Zwecken zu instrumentalisieren. Jerusalem als »ewige Hauptstadt« eines Staates zu bezeichnen, dessen Legitimität auf einem umstrittenen Völkerrechtsverständnis beruht, erscheint nicht nur als Geschichtsklitterung, sondern grenzt an eine bewusste Verfälschung historischer Tatsachen. Solche Aussagen vernebeln die realen Konflikte und schaffen eine Grundlage für politische Rhetorik, die der Versöhnung und Verständigung eher im Wege steht, als sie zu fördern.

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