Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Mittwoch, 8. Januar 2025, Nr. 6
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 06.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Was nicht ist, kann ja noch werden

Freie Gesellschaft, freie Geschlechter und Peter Hacks’ »Omphale« in einer Neuausgabe
Von Erwin Grave
imago162140326.jpg
Solange es Monster gibt, werden Frau wie Mann nicht glücklich: Herakles und Omphale (Palazzo del Magnifico, Siena)

Als Herakles en passant den Rinderdieb Cacus umbringt, verkohlt dieser dem herrlichsten Helden der Griechen noch den Popo, ehe er unter den Schlägen von Herakles Keule zusammenbricht. Cacus war nämlich Sohn des Vulkan, und so konnte er Feuer spucken. Peter Hacks nimmt in seinem Kindergedicht »Der Mann mit dem schwärzlichen Hintern« eben diesen als Charakteristikum des Herakles, wogegen die beiden ihn ärgernden Lausbuben noch Milchpopos haben. Und mag auch Herakles selbst einmal ein Lausbub gewesen sein, »nicht aus jedem Lausbub wächset ein Held einst«. Der Mann Herakles ist bei Hacks daher Vorbild der Jugend, »denn seine mutigen Taten gereichten den Menschen zum Heile«.

Das Gedicht ist der Einzelausgabe des 1969 geschriebenen Stücks »Omphale« angehängt, die kürzlich bei Eulenspiegel in einer Neuauflage erschienen ist. Das Stück selbst handelt von einer zentralen Begebenheit im Leben Herakles, seinem Aufenthalt bei Omphale, Königin von Lydien, noch zur Zeit des Mutterrechts. Diese hat sich in ihre Gartenresidenz zurückgezogen, als Herakles ihr als Sklave dienen soll. Es kommt, wie es kommen muss, denn wenn schon das Weib an sich das Wunder unter den Wesen darstellt, die schöne Omphale, ein »herrliches Gefäß von dunklem Brand«, ist noch das Wunder dieser Wunder. Die beiden Barbaren verlieben sich also und der Held treibt im blumenumkränzten Ehebett das wildeste seiner Werke mit der Königin: »Schon wie aus zwei fernsten Sphären, Welt und Gegenwelt, einander begegnen, streben sie in reicher Mitte, heiliger Versöhnung.«

Die patriarchalische Variante dieses Märchens will, dass Omphale den Helden daraufhin demütigt. Lukian von Samosata etwa spottet, Herakles habe »Wolle in Lydien gekämmt«, einen »purpurnen Weiberrock getragen« und sei dabei von seiner Omphale »mit einem goldnen Pantoffel um die Ohren geschlagen worden«. Hacks sieht dies nicht so streng und so sehr er im Ganzen die Notwendigkeit der geschlechtlichen Arbeitsteilung in der Vorgeschichte aufzeigt, die Versuchung ihrer Aufhebung wird im Stück ausgeführt. Jeder versteht, warum Herakles Omphale seine Keule und sein Löwenfell überlassen hat, um aus freien Willen und trotz des Gespötts von Omphales Dienerin und seiner eigenen Kollegen aus dem Heroenstand zum Weib zu werden: »Ja, an dir scheitern will ich, Schmiegsame, an deinem ganz geschmolzenen Leib zerschellen.« Also wäscht er nach vollbrachter Liebesnacht im Sitzbad seinen rußverschmierten Hintern, schminkt sich, »besprüht das Haar mit Narde«, trägt »ein safrangelbes Unterkleid«, »ziert den Hals mit einer Doppelschnur von Perlen und den Arm mit klirrenden Ringen«.

Es handelt sich bei Hacks dabei um keine Verwässerung der Geschlechtscharaktermasken. Die »reiche Mitte« entsteht aus vollständiger Ausschöpfung der in den Extremen liegenden Möglichkeiten und so sind es eine vollkommende Frau und ein vollkommener Mann, die mit ihrem jeweiligen Gegenteil experimentieren. »Herakles und Omphale«, schreibt Hacks, »sind in ihren sexuellen Haltungen so erfolgreich, daß sie, um weiterzukommen, beschließen, ihren Erfolg zu verwerfen.« Das Experiment scheitert schließlich an der in den Garten Omphales hereinbrechenden Welt, gegen die keine Mauer hilft: Es gibt noch Monster zu besiegen. Die beiden Helden müssen daher zu recht in die von ihnen ebenso zu recht abgelegten Rollen zurück – das Stück endet tragisch. Das Mutterrecht erscheint hier ähnlich wie bei Friedrich Engels als Utopie, zu deren Realisierung wir allerdings erst nach einer langen Periode der Entzweiung gelangen können. Die Herakliden, deren Omphale noch drei weitere gebiert, sollen es besser ausfechten.

Die Komödie ist selbst ein Experiment. Hacks wollte nämlich eigentlich den Text für eine Oper liefern, die dann auf den Salzburger Festspielen gefeiert würde. Deren Musik hätte heiter sein sollen, wie bei Mozart oder Offenbach. Wunschkomponist war Werner Henze, aber der wollte oder konnte nicht und so wurde das im Einzelband ebenso abgedruckte Libretto durch eine längere für das Theater taugende Version ergänzt. Etwas später erbarmte sich Siegfried Matthus und es kam doch noch zu einer 1976 uraufgeführten Oper. Matthus verweigerte sich dabei den Hacksschen Wünschen standhaft und machte einen modernisierten Wagner daraus. Das passt schon auch. Siegfried wurde schließlich auch erst durch die Schönheit seiner Brunhilde zum ganzen Menschen, um dann an der Welt zu scheitern. Es fragt sich dennoch, warum es kein moderner Mozart sein durfte: »Das allzu heitere Spiel, brechen wirs ab. Obs möglich war? Es ist möglich.« – Aber eben nicht solange es Monster in der Welt gibt oder wenigstens solange nicht, bis jemand Ferruccio Busoni entdeckt und die Sache neu komponiert. Bis dahin wird man sich mit dem Stück begnügen müssen.

Peter Hacks: Omphale. Hrsg. v. Marie Hewelt und Ruben Luckardt. Aurora-Verlag, Berlin 2024, 134 Seiten, 14 Euro

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Mehr aus: Feuilleton