Erschöpfend
Von Bernhard SpringEs braucht keine Verschwörungstheorie, um zu erkennen, dass es irgendeine Absprache gegeben haben muss. Wie sonst könnte die gesamte Verlagswelt pünktlich zum Jahresbeginn genügend Material zum 150. Geburtstag von Thomas Mann parat hat – und eben nicht Literatur zum 150. Todestag von Hans Christian Andersen, der zufällig auch in dieses Jahr fällt?
Irgendwie ist es also Thomas Mann geworden. Man ehrt den Schriftsteller, aber das Jubiläum bezieht sich auf den Menschen: 1875 geboren, 1955 gestorben. Beides rundet in diesem Jahr. Der Roman »Buddenbrooks« kam 1901 heraus, der »Tod in Venedig« 1912 und der »Zauberberg« 1924. Obwohl Mann dafür berühmt wurde, taugt nichts davon für einen Jahrestag. Wir gedenken statt dessen des Menschen hinter dem Werk, frei nach der Liedzeile: »Wie schön, dass du geboren bist!«
150 Jahre Thomas Mann also, 80 Jahre davon leibhaftig. In der Buchhandlung am Markt bekommt man aus Fischers Taschenbibliothek den Band »Mit Thomas Mann durch das Jahr«. Recht gewichtig, auch preislich, und darin für jeden Tag ein Zitat aus Briefen oder Tagebüchern des großen Schriftstellers. Die Zusammenstellung ist so zeitlos, dass sogar ein Eintrag »fürs Schaltjahr« vorgesehen ist. Man könnte den Band glatt vererben.
Und was steht da nun so drin? »Nachmittags lange geruht« (14. Januar). »Will Aspirin nehmen« (18. April). »Erschöpfend« (18. Juli). Wer Einblicke in die Gedankenwelt eines Ausnahmekünstlers, in das Seelenleben eines modernen Mannes erwartet hat oder einfach nur eine wertige Gegenleistung für 16 Euro – der könnte leicht enttäuscht sein. Diesen Nörglern sei in Erinnerung gerufen: Wir feiern in diesem Jahr den Menschen Mann, nicht den Schriftsteller. Was läge da näher als allzu menschliches Jammern über Kopfschmerzen und Verdauungsprobleme? Und den Unbelehrbaren, die bemängeln, dass der Eintrag vom 12. Juni (»Kein Stuhl«) das fortschreitende Abholzen des Regenwaldes nun wirklich nicht rechtfertigt, dem sei angeraten, im Wühltisch der nächsten Bahnhofsbuchhandlung nach einem Krimi von Edgar Wallace zu suchen. Ist auch Weltliteratur. Hat auch 150. Geburtstag dieses Jahr. Gibt es aber – weil viel weniger beachtet – schon für 4,50 Euro.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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