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Aus: Ausgabe vom 07.01.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Wirtschaftskrieg gegen Russland

Fischen im trüben

Von Finnland beschlagnahmter Tanker »Eagle S« soll zu »russischer Schattenflotte« gehören. Medien streuen Spionagegerüchte
Von Knut Mellenthin
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Der Öltanker »Eagle S« vor der finnischen Küste (27.12.2024)

Die Unterwasseruntersuchungen zum Fall des beschlagnahmten Tankers »Eagle S« sind fast abgeschlossen, wie die finnischen Ermittler am Montag mitteilten. Das Schiff, das von westlichen Medien und Politikern ohne Rücksicht auf die magere Beweislage der »russischen Schattenflotte« zugeordnet wird, soll am 25. Dezember durch einen auf dem Meeresboden schleifenden Anker ein Unterseekabel beschädigt haben, durch das Estland mit Strom aus Finnland versorgt wird. Der finnische Grenzschutz brachte den Tanker, der Benzin aus Russland nach Ägypten transportieren sollte, einen Tag später mit Unterstützung einer Spezialeinheit unter Kontrolle. Dabei wurde festgestellt, dass der Anker sich nicht mehr an der Kette befand. Am 28. Dezember wurde das Schiff zur Erleichterung der Ermittlungen in eine Bucht an der Küste dirigiert. Am 30. Dezember wurde gemeldet, dass auf dem Meeresboden eine Schleifspur von annähernd 100 Kilometern Länge entdeckt worden sei.

Verdacht der Sabotage

Die 24köpfige Crew der »Eagle S«, bestehend aus Georgiern und Indern, wird seither unter dem Verdacht der »schweren Sabotage« verhört. Als erstes Ergebnis wurde gegen acht Besatzungsmitglieder ein Ausreiseverbot verhängt. Eine Klage der Schiffseigner – zwei Unternehmen im indischen Mumbai und eines aus Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten – auf Freigabe des Tankers wurde inzwischen von einem Amtsgericht in Helsinki zurückgewiesen. Demnach dürfen die finnischen Sicherheitsorgane das Schiff unbegrenzt lange zur Fortsetzung der Ermittlungen festhalten. Neben strafrechtlichen Konsequenzen drohen auch Klagen auf Schadenersatz, vor allem vom finnischen Stromlieferanten Fingrid.

Bei dem am Montag als fast abgeschlossen gemeldeten Teil der Ermittlungen geht es um die Untersuchung des Meeresbodens im Bereich der Beschädigung am Stromkabel und die Suche nach dem abgerissenen Anker. Dazu wurde ein Spezialschiff der schwedischen Marine nach Finnland entsandt. Auch andere Staaten sind an den Ermittlungen beteiligt. Direkt genannt werden die Cookinseln, unter deren Flagge die »Eagle S« fährt, und Estland. Es wäre überraschend, wenn sich nicht auch deutsche Sicherheitsorgane einmischen würden.

Behauptungen westlicher Medien, dass Schiffe der russischen »Schattenflotte«, die eigentlich zur Umgehung der westlichen Sanktionen dienen sollen, gleichzeitig auch noch Sabotage- und Spionagedienste leisten, häufen sich seit spätestens 2022. Sachlich ist diese Verbindung unwahrscheinlich, weil sie den eigentlichen Zweck dieser Transporte gefährden und konterkarieren würde. Noch vor dem Zwischenfall mit dem Stromkabel zwischen Finnland und Estland berichtete Der Spiegel am 12. Dezember 2024, dass jährlich bis zu 200 Unterseeleitungen »durch Schleppnetzfischerei, Anker oder natürliche Ursachen wie Seebeben« beschädigt werden. Für absichtliche Sabotage durch Schiffe in russischem Auftrag gibt es bisher keine Beweise.

Ein bemerkenswerter Aspekt der Affäre um die »Eagle S« ist, dass der Tanker offensichtlich schon seit Monaten im Visier mindestens eines westlichen Geheimdienstes war. Aber in der Berichterstattung bürgerlicher Medien spielt diese Tatsache keine Rolle. Der Sachverhalt: Die in Fachkreisen gut angesehene britische Nachrichtenseite zur Marineindustrie Lloyd’s List meldete am 27. Dezember, das am Vortag von finnischen Sicherheitsorganen beschlagnahmte Schiff sei »vollgeladen mit Spionageausrüstung«. In der Headline erschien das als Tatsachenbehauptung. Aus dem Text ergab sich jedoch, dass es sich um unbewiesene Informationen einer anonymen »Quelle« handelte, die es »abgelehnt« habe, »sich zu identifizieren, um ihre« – Plural! – »Sicherheit zu schützen«. Diese »Quelle« hatte der Website im Juni 2024 ein Dossier von »mindestens 60 vertraulichen Dokumenten« über den Tanker zukommen lassen, in denen unter anderem schwere Mängel an dessen Zustand geschildert wurden. Später habe die Quelle zusätzliche Informationen an Lloyd’s List geliefert.

Gerüchte dementiert

Lloyd’s List berichtete auf Grundlage dieses Dossiers im Juli zunächst über die schweren Sicherheitsmängel des 20 Jahre alten Schiffs. Die Gesamtheit der von der »Quelle« erhaltenen Informationen stellte die Website aber erst in ihrem Artikel vom 27. Dezember dar. Darunter auch die Behauptung, »in großen tragbaren Koffern« seien »Abhör- und Aufnahmegeräte« an Bord geschafft worden.

Deutsche Medien übernahmen diese Darstellung, für die es keine Beweise gab, als scheinbare Tatsachen. Die finnischen Ermittler hätten »Fernmeldeaufklärung« an Bord des beschlagnahmten Tankers gefunden, wurde beispielsweise am 30. Dezember bei ZDF-»Heute« behauptet, ohne dabei Lloyd’s List als Ausgangspunkt dieses Gerüchts zu nennen. Einen Tag zuvor hieß es im Berliner Tagesspiegel: »Die ›Eagle S‹ war einer Investigativrecherche der britischen Marinezeitschrift Lloyd’s List zufolge ›vollbeladen mit Spionageausrüstung‹.«

In Wirklichkeit hatte das britische Onlinefachorgan aber gar nicht behauptet, durch eigene Recherchen an die vermeintlichen Informationen gekommen zu sein, sondern den Vorgang am 27. Dezember ausführlich und detailliert beschrieben. Aber in deutschen Medien ist schon länger die Unsitte eingerissen, mit »Investigativrecherchen« zu prahlen, wenn man in Wirklichkeit nur referiert, was man aus politisch motivierten staatlichen Stellen »zugespielt« bekommt. Die finnischen Ermittler dementierten die Gerüchte über das Auffinden von Spionageausrüstung an Bord der »Eagle S« umgehend.

Hintergrund: »Yi Peng 3«

Der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock wurde von ZDF-»Heute« am 28. Dezember die Äußerung zugeschrieben, Schiffe der »russischen Schattenflotte« würden zur Zeit »fast im Monatsrhythmus« »wichtige Unterseekabel in der Ostsee« beschädigen. Sachlich ist das sehr übertrieben, und um die Beweislage steht es bisher ganz schlecht.

Der letzte Zwischenfall, der diesem Vorwurf zuzuordnen ist, ereignete sich im November 2024. Die Besatzung des chinesischen Tankers »Yi Peng 3« wurde verdächtigt, am 17. des Monats eine Datenleitung zwischen dem schwedischen Gotland und Litauen und einen Tag später eine andere zwischen der BRD und Finnland absichtlich beschädigt zu haben. Anschließend lag das Schiff mehrere Wochen lang in internationalen Gewässern zwischen Schweden und Dänemark vor Anker. In westlichen Medien wurde diese Tatsache als höchst mysteriös und verdächtig kommentiert: Die »Yi Peng 3« habe den Auftrag gehabt, den internationalen Schiffsverkehr im Kattegat zu beobachten, hieß es. Eine sachliche Notwendigkeit für eine solche »Spionagetätigkeit« besteht nicht, denn aufgrund eines intensiven »Ship trackings« durch spezialisierte Firmen und private Amateure kann sich heute jedes Kind im Internet kundig machen, welches Schiff sich gerade wo befindet, was es an Bord hat, woher es kommt und wohin es sich bewegt.

Tatsächlich war der lange Aufenthalt des Frachters im Kattegat einerseits seiner Blockierung durch dänische und schwedische Küstenwachtschiffe und zugleich auch der Kooperationsbereitschaft der chinesischen Seite geschuldet, an der Aufklärung des Vorfalls mitzuwirken. Zunächst war nur die schwedische Polizei zur Beobachtung der chinesischen Ermittlungen an Bord eingeladen. Am 19. Dezember fanden sich schließlich auch Vertreter der Sicherheitsbehörden Dänemarks, Finnlands und der BRD auf dem Schiff ein. Zwei Tage später wurde die Weiterfahrt des chinesischen Frachters freigegeben. (km)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christoph H. (6. Januar 2025 um 21:39 Uhr)
    Danke für den propagandakritischen Artikel. Sehr nützlich, auch wenn die blödsinnigen Non-Sequiturs in den Hervorbringungen der Bürgermedien sich oft genug selbst entlarven. Noch ein Hinweis zu »Aus dem Text ergab sich jedoch, dass es sich um unbewiesene Informationen einer anonymen ›Quelle‹ handelte, die es ›abgelehnt‹ habe, ›sich zu identifizieren, um ihre‹ – Plural! – ›Sicherheit zu schützen‹.« – Hier liegt wohl ein Missverständnis vor: Das englische Possessiv »their« wird auch im Singular benutzt, wenn Gender-Neutralität oder überhaupt Anonymität ausgedrückt werden soll. Und zwar schon seit Jahrhunderten; die derartige Verwendung hat aber im Zuge moderner Sprachpolitik in den vergangenen Jahren stark zugenommen.

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