Pass unter Vorbehalt
Von Kristian StemmlerGut sechs Wochen vor der Bundestagswahl fokussiert die Union ihren Wahlkampf mehr und mehr auf das Thema Migration. Die CSU begründet das damit, dass die mittlerweile zerbrochene Ampel jahrelang »nicht geliefert« habe, wie der Vorsitzende der Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, am Montag im Deutschlandfunk erklärte. Deswegen werde »das im Wahlkampf eine ganz bedeutende Rolle spielen«. Inzwischen wird der Anschlag eines rechten »Islamkritikers« auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg für immer autoritärere Forderungen instrumentalisiert.
Entsprechende Einlassungen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz beantwortete SPD-Chefin Saskia Esken gegenüber dem Stern am Montag mit dem Vorwurf, er spiele »bewusst mit dem rechtspopulistischen Feuer« und sei »als Kanzler aller Deutschen nicht geeignet«. Der Welt am Sonntag hatte Merz gesagt, es müsse »eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben«.
Merz will, dass »ausländische Straftäter spätestens nach der zweiten Straftat ausgewiesen werden«. Wer die doppelte Staatsbürgerschaft erworben habe, müsse in einem solchen Fall ausgebürgert werden können. Merz hat die von der Ampelkoalition erleichterte Einbürgerung grundsätzlich zum Problem erklärt. Die doppelte Staatsbürgerschaft werde »zum Regelfall«, klagte er; man hole sich »damit zusätzliche Probleme ins Land«.
Die migrationspolitische Sprecherin der Gruppe Die Linke, Gökay Akbulut, erklärte am Montag, die Forderung von Merz sei »brandgefährlich, da sie Forderungen aus den Reihen der AfD und anderer Rechtsextremisten aufgreift«. Der Spitzenkandidat der Linkspartei, Jan van Aken, nannte am Montag in Berlin die Äußerungen von Merz »widerlichen Rassismus«. Esken bezeichnete die Forderungen von Merz als gefährlich. Der CDU-Kanzlerkandidat mache Eingebürgerte »zu Bürgern zweiter Klasse, deren ›Deutschsein‹ er offenbar unter Vorbehalt sieht«. Dieser »populistische Aktionismus« erzeuge Misstrauen gegen alles Fremde und führe »zu großer Verunsicherung in der migrantischen Community«. Tatsächlich untersagt Artikel 16 des Grundgesetzes vor dem Hintergrund der Ausbürgerungen durch das Naziregime den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft, sofern Betroffene dadurch staatenlos werden.
Derweil sorgte sich die Bundestagsfraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen um mögliche volkswirtschaftliche Effekte. Katharina Dröge kritisierte die Aussagen von Merz als »diskriminierend« und »schädlich für die Willkommenskultur«, die zur Anwerbung von Fachkräften nötig sei. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), zeigte sich besorgt. Im Netzwerk Linkedin schrieb Fratzscher, die Forderung nach Ausbürgerung sei ein »Dammbruch« und »würde zu einer Zweiklassengesellschaft bei der Staatsbürgerschaft führen«.
Unterdessen arbeitet Dobrindts Partei daran, bei dem Thema gegenüber der Schwesterpartei CDU nicht zurückzubleiben. In einem Papier für ihre am Montag gestartete Winterklausur im oberbayerischen Kloster Seeon heißt es laut dpa, eine Aufenthaltserlaubnis solle nur noch bekommen, wer seinen Lebensunterhalt »durch eigene Arbeit« bestreiten könne. Zudem wolle die CSU das Aushebeln der Bezahlkarte für Asylsuchende unter Strafe stellen. Man werde verhindern, dass sich »eine linke Umgehungsindustrie« formiere und Flüchtlinge mit der Bezahlkarte Gutscheine kauften, um diese »beispielsweise in Kreisgeschäftsstellen der Grünen« gegen Bargeld einzutauschen.
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