Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 07.01.2025, Seite 6 / Ausland
EU und Korruption

Patin mit Consiglieri

EU: Scheidende Bürgerbeauftragte O’Reilly lässt kein gutes Haar an Kommission
Von Jörg Kronauer
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Hat ihre Aufgabe ernst genommen: Die scheidende EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly (Brüssel, 28.2.2023)

»Das ist frustrierend«: In einem ihrer wohl letzten Interviews im Amt hat die EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly im Dezember heftige Kritik an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geübt. Im Februar wird die irische Journalistin ihren Posten verlassen, der 1994 geschaffen wurde, um der EU vor aller Augen ein hübsches demokratisch-bürgerorientiertes Deckmäntelchen zu verschaffen. O’Reillys Amtsvorgänger hatten den Job des – so der EU-Jargon – Europäischen Bürgerbeauftragten, der Transparenz schaffen und Kungelei offenlegen soll, freilich eher desinteressiert ausgeübt; es sei ein lediglich »dekoratives« Amt, hatte ein EU-Abgeordneter einst konstatiert. O’Reilly hatte seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2013 versucht, ihre Aufgabe ernst zu nehmen, auch wenn das nicht leicht war: Die EU hatte die Inhaber des Postens, wohl vorausahnend, dass einmal jemand wie O’Reilly das sein könnte, nicht mit der Kompetenz ausgestattet, Veränderungen durchsetzen zu können. Die scheidende Amtsinhaberin hat ihre Machtlosigkeit immer wieder erlebt.

Das wohl aktuellste Beispiel ist »Pfizergate«. Die EU-Kommission hatte Anfang 2021 einen Vertrag mit dem US-Pharmakonzern Pfizer geschlossen, der die Lieferung von bis zu 1,8 Milliarden Covid-19-Impfdosen für den erstaunlichen Betrag von 35 Milliarden Euro vorsah. Der Stückpreis lag nicht unter dem Preis früherer Lieferungen, die noch unmittelbar die Entwicklungskosten einspielen mussten, sondern 25 Prozent darüber. Die Anzahl der Impfdosen war absehbar viel zu groß. Allein im Jahr 2023 musste Impfstoff im Wert von vier Milliarden Euro vernichtet werden. Als O’Reilly noch im Jahr 2021 versucht hatte, Unterlagen darüber zu erhalten, wie der Liefervertrag mit Pfizer zustande gekommen war, erfuhr sie nur, was zuvor die New York Times (NYT) recherchiert hatte: Von der Leyen hatte ihn freihändig in Textnachrichten mit dem Pharmachef Albert Bourla ausgehandelt. Damit aber verhielt es sich wie mit den SMS, die die CDU-Politikerin ehedem als deutsche Verteidigungsministerin geschrieben hatte: Sie waren nicht auffindbar.

»Pfizergate« beschäftigt inzwischen in mehreren Verfahren die Justiz. O’Reilly stellte in einem Interview, das das Springer-Onlineportal Politico im Dezember veröffentlichte, trocken fest, es sei eher die Regel als die Ausnahme, dass die EU-Kommission Informationen »aus politischen Gründen zurückhält«. Die Standards der Bürokratie würden immer »an der Spitze« gesetzt, insofern seien für die Intransparenz der Kommission von der Leyen und »ihre mächtigen Consiglieri« verantwortlich. Der Begriff Consiglieri, darauf wies Politico eigens hin, wird im Englischen oft genutzt, um Mafiaberater zu charakterisieren. O’Reilly hielt nicht nur fest, die Intransparenz habe während von der Leyens Kommissionspräsidentschaft klar zugenommen. Sie berichtete auch, immer wieder hätten sich Abgeordnete aus dem EU-Parlament, das doch eigentlich die Kommission kontrollieren solle, mit der Bitte um Hilfe an sie gewandt. Offenkundig habe das Parlament »den Gedanken zu internalisieren begonnen«, dass ihm »angemessene Aufsicht über die Kommission« unmöglich sei.

Von der Leyen, die die EU-Ombudsfrau kein einziges Mal offiziell empfangen hat, war nicht die erste Vertreterin deutscher Netzwerke in Brüssel, mit der O’Reilly im Verlauf ihrer Amtszeit aneinandergeriet. Sie legte sich etwa auch mit Martin Selmayr an, einem CDU-nahen Juristen, der während der Amtszeit von Jean-Claude Juncker als maßgeblicher Strippenzieher in der Kommission galt. Als er im Februar 2018 unter dubiosen Umständen zum mächtigen Generalsekretär der Kommission ernannt wurde, protestierte O’Reilly. Die Kommission versuchte das wie gewöhnlich auszusitzen. Als der Druck aber zu breit und zu stark wurde, musste Selmayr im Juli 2019 gehen. Mit Blick auf von der Leyen hatte O’Reilly sich einst gewundert, die Leitmedien in der EU gingen »erstaunlich milde« mit ihr um und mieden zupackende Fragen sogar in Sachen »Pfizergate«. Hartnäckig dazu recherchiert hat in der Tat allenfalls die NYT. Das ist freilich nicht verwunderlich, sondern eher eine Erkenntnis – nämlich über die realen Kräfteverhältnisse in der EU.

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