Breite Solidarisierung
Von Bernard Schmid, ParisZehn Jahre ist es diesen Dienstag her, dass dschihadistisch motivierte Attentäter, die Brüder Chérif und Saïd Kouachi, in den damaligen Redaktionsräumen der antiklerikal ausgerichteten Satirezeitschrift Charlie Hebdo und im näheren Umfeld zwölf Menschen ermordeten: unter den Redaktionsmitgliedern war auch Chefredakteur Stéphane Charbonnier, genannt »Charb«. Ein zur Redaktionskonferenz eingeladener Künstler, Michel Renaud, ein Hausmeister sowie zwei Polizeibedienstete wurden ebenfalls mit Kalaschnikows niedergemäht.
Am damaligen Redaktionssitz im elften Pariser Arrondissement finden an diesem Dienstag vormittag stille Gedenkfeiern unter Teilnahme des Bezirksbürgermeisters François Vauglin statt. Laut dem Aufruf dazu soll die Veranstaltung nüchtern und besinnlich ausfallen. 2016 wurden dort in der Rue Nicolas-Appert Gedenktafeln angebracht. Die heutigen Redaktionsräumlichkeiten von Charlie Hebdo sind der Öffentlichkeit unbekannt, obwohl der Privatfernsehsender BFM TV am Wochenende einige Bilder präsentieren konnte, und werden wie ein Hochsicherheitstrakt bewacht.
Es geschah an einem Mittwoch – das war damals der Tag der wöchentlichen Zeitungskonferenz. Am übernächsten Tag tötete ein weiterer Dschihadist, Amedy Coulibaly, in einem koscheren Supermarkt am Pariser Stadtausgang Porte de Vincennes weitere Menschen und nahm Geiseln. Am Spätnachmittag stürmte die Polizei in einer koordinierten Aktion sowohl den Supermarkt mit dem Geiselnehmer als auch eine Druckerei in Dammartin-en-Goële im nordöstlichen Pariser Umland, in welcher sich die im Zuge der Fahndung aufgespürten Gebrüder Kouachi mittlerweile verschanzt hatten.
Nochmals zwei Tage später, am Sonntag, dem 11. Januar, demonstrierte in Paris deutlich mehr als eine Million Menschen gegen die ideologisch motivierten Morde und für die Pressefreiheit. Die Kundgebung zog Menschen aus sehr unterschiedlichen Milieus an, von weit links bis weit rechts – wobei allerdings die Führungsspitze des damaligen Front National (FN) und jetzigen Rassemblement National (RN) unerwünscht war. Charlie Hebdo kam ursprünglich aus der antiautoritären, anarchismusnahen und antifaschistischen Linken – bevor sich das Magazin eher in eine linksliberale Richtung entwickelte –, die Gräben zum FN waren tief.
Dagegen versuchte die französische Staatsspitze etwas erfolgreicher, die Demonstration, zu der viele Menschen spontan und aus eigener Überzeugung oder Erschrockenheit kamen, zu vereinnahmen. Jedenfalls in ihren vorderen Reihen wurde sie quasi zum Staatsakt umgewandelt – unter Teilnahme einer Reihe höchst anrüchiger Staatsgäste von Viktor Orbán über Erdoğans Premierminister Ahmet Davutoğlu bis zu Benjamin Netanjahu.
Das machte allerdings nicht den Gesamtcharakter der Demonstration aus. Auch Muslime, die solchen Terror »nicht in ihrem Namen« geschehen lassen wollten, kamen. Ob es heute noch einmal zu einer solchen Solidarisierung kommen könnte, ist eine völlig andere Frage. Die die Gesellschaft spaltenden Gräben zwischen den Bevölkerungsgruppen sind seither viel tiefer geworden.
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