»Betroffen waren Kinder und hochschwangere Frauen«
Interview: Henning von StoltzenbergVor kurzem wurden wieder Häuser im Duisburger Stadtteil Marxloh geräumt. Welche Begründung gab die Stadt diesmal an?
Im Dezember wurden erneut zwei Häuser geräumt. Das Prozedere war genau wie bei den vorherigen Räumungen: Die sogenannte Taskforce Problemimmobilien der Stadt Duisburg rückte am frühen Morgen des 11. Dezember an und verschaffte sich Zutritt zu den Wohnungen. Mitarbeiter der Feuerwehr Duisburg und des TÜV Nord haben innerhalb kürzester Zeit und unter lautstarkem Protest der dort lebenden Familien die beiden Immobilien für nicht bewohnbar erklärt. In einem Zeitfenster von zwei Stunden sollten die Menschen das Nötigste zusammenpacken und ihre Wohnungen verlassen.
Wer wohnte in den Wohnungen?
Betroffen waren Kinder, zwei hochschwangere Frauen, von denen eine nach der Räumung stationär im Krankenhaus behandelt werden musste, und ein schwerstbehindertes Kind. Eine Begründung für das brutale Vorgehen wurde den Betroffenen und uns zunächst verweigert. Auch dem Hausbesitzer wurden zunächst keinerlei Informationen gegeben. Inzwischen liegt uns das entsprechende Gutachten vor. Derzeit prüfen wir das Gutachten und werden im Januar öffentlich dazu Stellung beziehen.
Was ist aus den mehreren hundert Menschen geworden, die im September wegen nicht gezahlter Nebenkosten durch die Ivere Property Management GmbH an die Stadtwerke aus den Wohnungen geräumt werden sollten?
In diesem Fall konnte die Räumung der Hunderten Wohnungen vereitelt werden. Die Bewohner hatten durch ihren entschlossenen Protest für viel Öffentlichkeit gesorgt. Die Stadt hatte daraufhin mit dem Eigentümer lange Verhandlungen geführt, die schließlich zum Einsatz einer neuen Verwalterfirma führten. Inzwischen sind die nötigen Reparaturen wie die der Heizungsanlage erledigt, und die Familien können seit nunmehr zwei Jahren endlich wieder heizen. Einige leerstehende Wohnungen stehen nun sogar wieder dem Wohnungsmarkt zur Verfügung.
Über wie viele Wohnungsräumungen reden wir mit Blick auf die vergangenen Jahre?
Die »Taskforce Problemimmobilien«, die die rassistische Verdrängungsstrategie der Stadt Duisburg umsetzt, gibt es inzwischen seit zehn Jahren. Insbesondere in den prekarisierten und von Armut betroffenen Stadtteilen wie Marxloh und Hochfeld setzt die Stadt immer wieder Menschen der Wohnungslosigkeit aus. Rechtlich abgesichert durch das 2014 in Kraft tretende »Wohnraumstärkungsgesetz« und finanziert durch das Land NRW, sorgt die Duisburger Räumungspraxis überregional für traurige Schlagzeilen.
Die Stadt Duisburg erhält durch das Projekt »Maßnahmenprogramm Südosteuropa« vom Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes zur Umsetzung des Programms Fördermittel in Höhe von 250.000 Euro pro Jahr, von denen vor allem die Einsätze der Taskforce finanziert werden.
Welche Systematik vermuten Sie hinter der Vorgehensweise der Stadtspitze und der Konzerne?
Der derzeitigen Duisburger Stadtspitze sind die zumeist von Armut betroffenen Zuwanderer aus Südosteuropa ein Dorn im Auge. Die klammen Stadtkassen schreien offenbar nach Zuwanderung von wohlhabenden Menschen – wie etwa aus Düsseldorf. Deshalb legt die Stadt Projekte auf, die genau diese Menschen in die Stadt locken sollen. Gleichzeitig lässt der sozialdemokratische Duisburger Oberbürgermeister Sören Link keine Gelegenheit aus, gegen die Zuwanderer aus zumeist Rumänien oder Bulgarien zu hetzen.
Er bezichtigt die Betroffenen zum Beispiel des Sozialbetrugs. Der in die Jahre gekommene Wohnungsbestand in Marxloh wird immer wieder Opfer von Spekulanten und Miethaien, die ganze Straßenzüge aufkaufen und aus der Armut der Menschen satte Renditen ziehen. Nicht wenige Häuser wurden nach den Zwangsräumungen abgerissen. So entsteht Wohnraumverknappung, die wiederum zu einem Anstieg der Mietpreise geführt hat. In der Folge wird auch im Duisburger Norden bezahlbarer Wohnraum immer knapper.
Sylvia Brennemann ist Sprecherin der Initiative Marxloher Nachbarn
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