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Aus: Ausgabe vom 07.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Ökonomie

Der stumme Zwang

Frank Engster, Aldo Haesler und Oliver Schlaudt erhellen die ewige Gegenwart des Kapitalismus
Von Volker Potrykus
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Schön altmodische Form der Kriegsfinanzierung: Banknotendruck bei Gosnak in Moskau

Für den Alltagsverstand und die Volkswirtschaftslehre gilt: Geld ist eine praktische Sache, um den Austausch von Gütern und Dienstleistungen in einer komplexen Gesellschaft zu ermöglichen. Linke kritisieren immerhin die Profitlogik und die Ausbeutung der Arbeitskräfte – dass aus Geld mehr Geld werden muss. Geld in Bewegung ist also Kapital, kein neutrales Tauschmittel. Doch wer bewegt wen, und warum geht das immer so weiter?

Die drei Autoren Frank Engster, Aldo Haesler und Oliver Schlaudt nähern sich in ihrem Buch »Kleine Philosophie des Geldes im Augenblick seines Verschwindens« diesen Fragen aus der Gegenwart. Seit den 1970er Jahren wird Geld entmaterialisiert und digitalisiert, das Bargeld verschwindet. Spätestens seit der Krise 2007/2008 werden die Geldmengen per Kreditgeldschöpfung aus dem Nichts schwindelerregend aufgebläht. So eignet sich das Kapital menschliches Leben und natürliche Ressourcen umfassend an – in weitem Vorgriff auf die Zukunft. Das Geld als Ding verschwindet, während die Wirkungen des Geldes totalisiert werden. Worin bestehen diese Wirkungen, dieser Mechanismus?

Geld wird im Kapitalismus zum universellen Maß menschlicher Tätigkeit und bringt so die moderne Zeitlichkeit hervor. Zeit ist Geld, wie der Volksmund erkennt. Das wird im ersten Teil des Buches, »Chronos« (altgriechisch für Zeit im quantitativen Sinne), diskutiert. Anknüpfend an die Marxsche Bestimmung des Geldes als universelle Ware (ironisch nannte er es »Gott der Waren«) kann es paradox als sich selbst messendes Maß verstanden werden: »Wir halten uns durch das Geld an das Maß der Zeit und unterziehen uns dieser Zeit durch die Quantifizierung unserer Verhältnisse.«.

In vorkapitalistischen Zeiten schien Reichtum begrenzt, weil die Ressourcen der Welt endlich sind. Ein Nullsummenspiel: Wenn jemand mehr bekam, hatte jemand anderes weniger. Im Kapitalismus dagegen scheint Reichtum unendlich vermehrbar zu sein. Diese neue Vorstellung wird im zweiten Teil, »Kosmos« (altgriechisch für Welt oder Weltordnung), untersucht. Die Autoren knüpfen an die frühen Überlegungen Georg Simmels zu den Folgen einer Entmaterialisierung des Geldes an. Auf seine teilweise über Marx hinausgehende »Philosophie des Geldes« von 1900 bezieht sich der Titel des Buches.

Entmaterialisierung war zunächst die Ablösung der Edelmetalle durch minderwertigere Münzen und Papiergeld. In den 1970er Jahren begann die allgemeine Nutzung von Konten und bargeldloser Zahlung (mit der Kreditkarte). Dies bekommt durch die Digitalisierung eine neue Dimension. Zahlungen werden mit vollständigen, auch ehemals privaten Informationen der Akteure verknüpft. Damit kann global gerechnet werden, für alles, was mit großer Rechenleistung und der sogenannten künstlichen Intelligenz erfassbar ist: Konsum, Migrationsströme, Gesundheit, Kriminalität, Wählerverhalten, Wehrwillen und vieles andere mehr.

Das Geld totalisiert sich so zu einem »Makroprozessor«: »In der Steuerung durch die [digitalen] Preissignale versinkt die Welt vor unseren Augen und wir werden zu Sklaven von Bedürfnissen, von denen wir lediglich glauben dürfen, dass es unsere eigenen sind, während sich hinter unserem Rücken die Logik des sich selbstverwertenden Werts durchsetzt und unsere wohlgehegte Subjektivität dabei nur eine abhängige Variable darstellt.«

Im dritten Teil, »Logos« (altgriechisch für Logik, Vernunft, Sinn, aber auch Wort, Sprache), kritisieren die Autoren die seit einem halben Jahrhundert als Neoliberalismus radikalisierte Idee von Markt und Geld als natürlichen und alternativlosen Einrichtungen. Entgegen den utopischen Versprechungen des liberalen Ökonomen Friedrich August v. Hayek stellen sie fest: »Der Kapitalismus überlebt immer, und die Verwüstung, die er hinterlässt, stellt ihm immer nur wieder ein neues Geschäftsfeld dar: die Renaturierung nach der Verwüstung, und mit beiden lässt sich Geld verdienen.«

Allerdings bleibt die scheinbare Unendlichkeit der Geld- bzw. Kreditschöpfung seit der offiziellen Aufhebung der Golddeckung des US-Dollars 1971 ein ungelöstes Rätsel: »Kann das Geld dauerhaft gleichsam ›über seine Verhältnisse leben‹? Oder stehen Prozesse der Geldentwertung, der Kapitalvernichtung und der ökonomischen Krisen an?« Die Autoren warnen vor linken Hoffnungen auf Krise und Zusammenbruch des Kapitalismus und betonen die »schier unglaubliche Metastabilität« des Systems durch die Externalisierung seiner Existenzbedingungen (u. a. Umweltzerstörung, Ressourcen- und Arbeitskräfteerschöpfung).

Wie kann der Kapitalismus trotzdem überwunden werden? Dazu im »Finale« des Buches: »Hieße dem Geld entkommen nicht, einem ganzen Kosmos, einer Logik und unserem Chronos, d. h. unserer Zeit und Zeitlichkeit, entkommen zu müssen? Ja, ist es nicht auch und gerade, wie es vom Hegel’schen Geist angenommen wurde, unser Denken, das vom Geld herstammt?« Letzteres bezeichnen die Autoren als »Hyperfetischismus« – dass es den Individuen nicht mehr möglich ist, im Geld seine Wirklichkeit als Kapital zu erkennen. Dies bei allen linken Bemühungen mitzudenken wäre eine praktische Konsequenz dieser philosophischen Untersuchung.

Frank Engster/Aldo Haesler/Oliver Schlaudt: Kleine Philosophie des Geldes im Augenblick seines Verschwindens. Matthes & Seitz, Berlin 2024, 318 Seiten, 28 Euro

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