Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 07.01.2025, Seite 12 / Thema
30. Rosa-Luxemburg-Konferenz 2025

Unter Feuer

Die »Zeitenwende« kommt einem Frontalangriff auf die Arbeiterklasse gleich
Von Ulrike Eifler
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Die »Zeitenwende« ist die Wende zum Krieg (Ostermarsch in Nürnberg, 1.4.2024)

Traditionell bildet die Podiumsdiskussion den Abschluss der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Sie steht dieses Mal unter dem Motto »Kriegstüchtig? Nie wieder! Wie stoppen wir die Aufrüstung in Deutschland?«. Wie in den Jahren zuvor haben wir die Diskutantinnen und Diskutanten auch in diesem Jahr gebeten, ihren Standpunkt vorab vorzustellen. (jW)

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat den öffentlichen Diskurs in der Bundesrepublik verändert. Olaf Scholz leitete daraus eine neue Kriegsgefahr für Europa ab. Die Bundesregierung spricht seitdem von einer »Zeitenwende« und arbeitet unter Hochdruck an den Vorbereitungen eines Krieges gegen Russland: 100 Milliarden Euro Sondervermögen, Wehrpflichtdebatte, Militarisierung des Gesundheitswesens, Stationierung von Mittelstreckenraketen und ein Bundesverteidigungsminister, der ohne jede Zurückhaltung von der neuen Kriegstüchtigkeit Deutschlands spricht. Hinzu kommen Veteranentage, freiwillige Heimatschutzregimenter, Rheinmetall-Werbung in Fußballstadien, Pizzakartons in Tarnfleckfarben und kriegsverharmlosende Animationsfilme im öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehen – all das soll militärisches Denken im Alltag verankern.

Gleichzeitig durchdringt die »Zeitenwende« die Arbeitswelt: Das Lehrpersonal wird dazu verpflichtet, Soldaten in den Unterricht einzuladen. Medienschaffende müssen ihre Arbeit in einem politischen Meinungskorridor verrichten, der sich mehr und mehr verengt. Hochschullehrer werden mittels politischen Listen diszipliniert, wenn sie sich mit ihren protestierenden Studierenden solidarisieren. Pflegekräfte werden auf Katastrophenschutzseminare geschickt, während die Stationen auch ohne diese Seminare schon unterbesetzt sind. Lokführer müssen den Transport der Panzer in die Ukraine sicherstellen. Und die Mitarbeiter in den Jobcentern und Arbeitsagenturen müssen auf der Grundlage einer neuen Kooperation zwischen Verteidigungsministerium und Bundesagentur Arbeitsuchende in die Bundeswehr vermitteln. Im Zuge dieser Entwicklung wird die militaristische Durchdringung der Gesellschaft auf allen Ebenen zu einem Frontalangriff auf die arbeitenden Klassen.

Tarifpolitik unter Druck

Dabei erleben wir, wie sehr die gewerkschaftliche Tarifpolitik unter Druck gerät. Bereits in den ersten Monaten des Ukraine-Krieges hat sich gezeigt, dass der inflationsbedingte Kaufkraftverlust tarifpolitisch nur schwer auszugleichen war. Denn während der Anstieg der Löhne 2022 nahezu unverändert blieb, vervielfachte sich der Anstieg der Preise. Nach Angaben des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) verharrten die Tariflöhne 2024 auf dem Stand von 2016. Gleichzeitig verursachen Inflation, Deindustrialisierung und Sozialabbau ein Klima des Verzichts, das fatale Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit hat, weil es Rückenwind für die Forderungen der »Arbeitgeber« ist.

Es zeichnet sich bereits jetzt ab, wie sehr Militarisierung und Sozialabbau Hand in Hand gehen. Ein Panzer kostet mehrere Millionen Euro. Jeder Schuss 13.000 Euro. Und ein einziger Schuss aus dem neuen Panzerabwehrsystem »Mells« liegt bei 100.000 Euro. Natürlich sagt die Bundesregierung auch, woher diese Unsummen kommen sollen. So heißt es in der »Nationalen Sicherheitsstrategie«: »Angesichts der erheblichen aktuellen Herausforderungen an unsere öffentlichen Haushalte streben wir an, die Aufgaben dieser Strategie ohne zusätzliche Belastung des Bundeshaushaltes insgesamt zu bewältigen.« Keine zusätzlichen Schulden also, dafür Umverteilung innerhalb des Haushaltes. Damit wird die Sicherheitsstrategie zur Grundlage für eine forcierte gesellschaftliche Debatte über nationale Prioritäten, an deren Ende die Kürzung sozialer Leistungen stehen muss, um die Sicherheit nicht zu gefährden. Die militärpolitische »Zeitenwende« zieht zwangsläufig eine sozialpolitische »Zeitenwende« nach sich, stellte der Armutsforscher Christoph Butterwegge jüngst fest.

Dieser Strategie folgend, kündigt Friedrich Merz bereits die »Agenda 2030« an, während Christian Lindner die notwendigen »Brutalitäten in den Sozialsystemen« fordert. Dass dabei sogar auf die Referenz des ehemaligen Propagandaministers unter Hitler, Joseph Goebbels, zurückgegriffen wird, um die Notwendigkeit von Sozialabbau zu begründen, ist eine neue Qualität in der deutschen Debatte. Von Goebbels stammt das Zitat »Kanonen statt Butter«.

Dem Klimakollaps näher

Gewerkschaften ging es nie »nur« um die Verbesserung der Arbeits-, sondern immer auch um die Verbesserung der Lebensbedingungen. Es ist daher auch für die Welt der Arbeit relevant, dass Aufrüstung und Krieg die ökologische Zerstörung beschleunigen. Beim Abfeuern von Geschossen und Marschflugkörpern und beim Einsatz von Militärflugzeugen, Panzern, Kampfjets oder Militärschiffen werden enorme CO2-Emissionen freigesetzt. Allein der F-35-Kampfjet stößt pro Stunde mehr CO2 aus, als ein Deutscher im Jahr verursacht. Werden solche Emissionsquellen nicht abgeschaltet, lässt sich die Erderhitzung nicht stoppen.

Die britischen Wissenschaftler Linsey Cottrell und Stuart Parkinson schätzen den CO2-Fußabdruck der deutschen Waffenhersteller auf mehr als 3,4 Millionen Tonnen im Jahr; für den gesamten deutschen Militärsektor kommen sie, die Bundeswehr eingeschlossen, auf 4,5 Millionen Tonnen. Das entspricht dem CO2-Ausstoß von etwa einer Million Autos im Jahr. Und der niederländische Klimaforscher Lennard de Klerk errechnete, dass im Ukraine-Krieg allein im ersten Jahr 120 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen wurden. Mit jedem Euro, den die Bundesregierung für die Aufrüstung der Bundeswehr genehmigt, mit jeder Waffenlieferung in die Ukraine oder nach Israel treibt sie die negative Klimabilanz in die Höhe. Mehr Sicherheit bedeutet in Wahrheit mehr Unsicherheit.

Auf Druck der USA hat der Krieg in der Ukraine eine »Gaswende« in Europa beschleunigt, die gerade in Deutschland die Industrie unter Druck setzt und Tausende Arbeitsplätze gefährdet. Die Sanktionspolitik gegen Russland löste den großen europäischen Markt von billigem Pipelinegas aus Russland und band ihn an das US-amerikanische, dreckige und teure Frackinggas. Ein Schritt, der innerhalb nur weniger Monate die Position der europäischen Industrie schwächte und die der USA stärkte. Flankiert wird diese Entwicklung von der gezielten Strategie der USA, die europäische Industrie insbesondere in den Bereichen Autobatterien, Windräder, Solarzellen und Halbleiter abzuwerben. Niedrige Energiepreise und ein umfangreiches Förderprogramm mit üppigen Subventionen – der »Inflation Reduction Act« – schaffen dafür die Bedingungen. Es bräuchte gerade jetzt Investitionen in den Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und den ökologischen Umbau der Industrie, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Unternehmernahe und gewerkschafts­nahe Institute kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass dafür in den nächsten zehn Jahren insgesamt 600 Milliarden Euro notwendig wären. Der Grad der öffentlichen Investitionen in Energie, Verkehr, Glasfasernetze, Wohnungsbau und Infrastruktur bestimmt also die Zukunft des Kontinents und der Menschen, die auf ihm leben. Der Industrieumbau wird scheitern, wenn geostrategische Interessen die Haushaltspolitik dominieren.

Angriff auf die Mitbestimmung

Die aktiven Kriegsvorbereitungen der Bundesregierung haben grundlegende Auswirkungen auf Demokratie und Mitbestimmung. Der Chef des Bundeswehr-Verbandes, André Wüstner, forderte bereits »eine Kriegswirtschaft« und damit eine Unterordnung aller gesellschaftlichen Bereiche unter das Primat der Außenpolitik. Dass das auch Auswirkungen auf elementare Grundrechte haben dürfte, machte er deutlich, indem er die Anwendung von Notstandsparagraphen und den Einsatz der Bundeswehr im Landesinneren in Betracht zog. Dabei handelt es sich nicht etwa um unverbindliche Äußerungen eines einzelnen. Vielmehr macht die Bundesregierung Nägel mit Köpfen. »Heimatschutzregimenter« trainieren nicht nur den Schutz der kritischen Infrastruktur, sondern auch den Einsatz gegen Demonstrationen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung am 4. September 2024 den Entwurf eines »Artikelgesetzes zur Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft« beschlossen, das unter anderem die Anwendung des sogenannten Arbeitssicherstellungsgesetzes erleichtern soll. Im Falle eines Spannungsfalles können Beschäftigte, deren Tätigkeit der Versorgung der Bundeswehr oder der verbündeten Streitkräfte dient, aber auch Beschäftigte in Betrieben, die Militärausrüstung oder die entsprechenden Dienstleistungen erbringen, sowie Beschäftigte in Forschungsbereichen, soweit sie militärisch forschen, zur Sicherstellung ihrer Arbeitsleistung verpflichtet werden. Weiterhin heißt es: »Durch Artikel 10 werden die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, der Freizügigkeit, der freien Wahl des Arbeitsplatzes und des Schutzes vor Arbeitszwang eingeschränkt.«

Alles in allem bleibt also festzuhalten: Die arbeitenden Klassen haben in dieser »Zeitenwende« nichts zu gewinnen und alles zu verlieren.

Ulrike Eifler ist Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft und Mitglied des Vorstands von Die Linke

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